Zentralbanken gegen Corona: So verändern die Notenbanken das Spiel der Märkte
Die Zentralbanken der Welt greifen gegenwärtig in einem noch nie dagewesenen Ausmaß in das globale Finanzgeschehen ein und sorgen damit für extreme Verzerrungen am Markt. Vielen Ökonomen zufolge ist dies jedoch der völlig falsche Ansatz.
Werte in diesem Artikel
• FED und EZB überschwemmen die Märkte mit billigem Geld
• "Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen."
• Inflationsrisiko steigt enorm
Um eine globale Finanzkrise zu verhindern, die sich aufgrund der extremen Schutzmaßnahmen rund um die Corona-Pandemie nicht so einfach verhindern lässt, haben die Zentralbanken der Welt erneut ihre "Bazooka" hervorgezaubert und pumpen nun sturmflutartig frische Liquidität in den Finanzmarkt. Dabei zeigen historische und aktuelle Beispiele, wie in Deutschland zwischen den Jahren 1919 und 1923 oder gegenwärtig in Venezuela und Simbabwe, dass Gelddrucken allein nicht ausreicht, um eine Krise zu lösen.
US-Notenbank übernimmt Vorreiterrolle
Mit einem Wertpapieraufkaufprogramm in Höhe von rund zwei Billionen US-Dollar, welches ab dem 15. März in Kraft trat, entgegnete die US-Notenbank der Corona-Krise mit einer noch nie dagewesenen Liquiditätsflut. Dementsprechend beläuft sich die Bilanzsumme des Federal Reserve Systems aktuell schon auf weit über 6,3 Billionen US-Dollar, was fast 30 Prozent des US-amerikanischen Bruttoinlandsprodukts entspricht.
Dabei baute die amerikanische Zentralbank schon seit Mitte September 2019, lange vor der Corona-Krise, ihre Bilanz massiv aus. Denn zur Bekämpfung der sogenannten Repo-Krise kaufte die mächtigste Bank der Welt schon damals massenweise Wertpapiere auf. Dementsprechend ist der Liquiditätsbedarf der Märkte in den zurückliegenden Tagen, gerade für derartige Rückkaufgeschäfte (Repos), schon extrem gesunken. Dennoch erwartet der Chefökonom der Deutsche Bank Securities, Torsten Slok, dass die Bilanz der US-Notenbank bald die 7-Billionen-Marke überschreiten wird. Der Experte nimmt sogar an, dass die Bank jetzt nicht nur vollkommen das US-Staatsdefizit monetisiert, sondern darüber hinaus auch das Doppelte aller Nettoemissionen an US-Bonds aufkauft.
"Whatever it takes" - Runde 2
Im Gegensatz zur US-Notenbank hält sich die Europäische Zentralbank mit ihren Maßnahmen, gegen einen erneuten Ausbruch einer Finanzkrise, noch relativ zurück. So befindet sich die EZB, nach der Einschätzung von Jack Allen-Reynolds von Capital Economics, aktuell nur mit einer Zehe im Markt. Dabei setzte die Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, unlängst einen Tweet ab, welcher viele an die "Whatever it takes"-Ansprache ihres Vorgängers, Mario Draghi, zurückerinnert hat. "Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Unser Bekenntnis zum Euro ist grenzenlos. Wir sind entschlossen, im Rahmen unseres Mandates das volle Potenzial unserer Möglichkeiten zu nutzen", so Lagarde auf Twitter.
Im Vorfeld dieser Ankündigung beschloss der EZB-Rat, während einer Notsitzung, ein erneutes Anleihekaufprogramm in Höhe von insgesamt 750 Milliarden Euro. Dieses sogenannte Pep-Programm (Pandemic Emergency Purchase Programme) bezieht sich dabei, wie die vorherigen QE-Programme auch, auf private und staatliche Anleihen. Zusammen mit den bereits seit mehreren Jahren laufenden Programmen wird die EZB somit nun jeden Monat Anleihen im Wert von rund 100 Milliarden Euro aufkaufen. Da die fünf größten Euro-Staaten im Jahresverlauf jedoch noch Staatspapiere im Gesamtwert von mindestens einer Billion Euro emittieren werden, wird die aktuelle Pep-Programmsumme bei weitem nicht genügen.
Ökonomen sind sich uneins über die Maßnahmen
Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der enormen Liquiditätsflut durch die Zentralbanken, treibt nun auch einen Keil zwischen die Ökonomen. Während Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) nur lobende Worte für die Politik der EZB übrighat, macht BWL-Professor und Bankenexperte Hans-Peter Burghof der Zentralbank schwere Vorwürfe. "Wie schon in der Euro-Schuldenkrise 2012 zeigt sich Europas Zentralbank als handlungsfähig in einer Situation, in der eine umfassende systemische Krise droht und die europäische Politik sich noch in Schockstarre befindet", so die Einschätzung von Heinemann. Im Gegensatz zu dem ZEW-Ökonomen hat der BWL-Professor jedoch eine etwas andere Auffassung der aktuellen Sachlage. "Die EZB hat ja beim Auftreten der Krise reflexhaft die geopolitische Kanone wieder herausgeholt. Sie will das Geld auf alle Fälle billig halten. Das ist der falsche Weg. Wir haben keine konjunkturelle Krise, wir haben eine ganz andere Krise, die wirtschaftliche Prozesse unterbricht", so Professor Burghof in einem BNN-Interview.
"Diese Rettungsaktionen sind widerlich und erbärmlich"
In Bezug auf die umfassenden Rettungsaktionen der Zentralbanken findet auch der Hedgefonds-Manager Mark Spitznagel sehr klare Worte. "Diese Rettungsaktionen sind widerlich und erbärmlich. Wer Risiken in der Erwartung eingeht, Gewinne zu erzielen, muss diese auch tragen", so Spitznagel in einem NZZ-Interview. Analog dazu stellt sich auch Howard Marks, der Chef des Oaktree Capital Hedgefonds, die Frage, warum man Unternehmen, unabhängig von ihren Fundamentaldaten, überhaupt retten sollte. Denn nach der Auffassung des Profis funktionieren die Märkte nur mit einem gewissen Maß an Furcht vor Verlusten und dabei ist es sicherlich nicht die Aufgabe der Notenbanken und Regierungen diese Angst zu eliminieren.
Eine derartige Einschätzung teilt auch Michale Wilson, CIO von Morgan Stanley. Denn Wilson bezeichnet die mögliche Rezession, die durch die Corona-Krise ausgelöst werden könnte, lediglich als Deckmantel für die politischen Entscheidungsträger, um über gewohnte Hilfen hinauszugehen und verantwortungslose Akteure zu retten. Der Kreditstratege der Deutschen Bank, Jim Reid, sieht in diesem Zusammenhang sogar eine neue Phase des jahrelangen Trends zum staatsbetreuten Kapitalismus.
Das freie Spiel der Märkte ist Geschichte
Die außerordentlichen Schritte der Notenbanken beeinflussen die globalen Finanzmärkte in einem nie dagewesenen Ausmaß. "Die Zinsen zeigen nicht mehr an, was sich an den Kapitalmärkten unter normalen Umständen ergäbe, sondern das, was die Zentralbanken sehen möchten", so Hedgefonds-Manager Spitznagel gegenüber der NZZ. Dass das freie Spiel der Märkte längst Gesichte ist und die Höhe eines Zinssatzes keinerlei Rückschlüsse mehr über das bestehende Risiko eines Kredits zulässt, lässt sich gegenwärtig an italienischen und griechischen Staatsanleihen ablesen. Während die beiden Länder unter normalen Umständen, aufgrund ihrer schlechten Bonität, Zinsaufschläge jenseits der 5-Prozent-Marke bezahlen müssten, rentieren die zehnjährigen Staatsanleihen dieser Staaten lediglich in Range von 1,3 und 2,3 Prozent. Dabei konnte sogar festgestellt werden, dass sich die Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen von Italien, nach der "Whatever it takes"-Aussage von Frau Lagarde, urplötzlich von weit über zwei Prozent auf zeitweise 1,3 Prozent verringerten.
"Der Zins ist eine der wichtigsten volkswirtschaftlichen Variablen. Normalerweise enthält er wichtige Informationen, die Unternehmer zum Beispiel für die Entscheidung darüber als Kriterium nutzen, ob sie ein Projekt durchführen oder nicht. Generell geht es eher darum, ob man spart oder sein Geld lieber ausgibt. Inzwischen ist der Zins so tief, dass er seine Steuerfunktion verloren hat", so Spitznagel weiter.
Die Geldschwemme steigert das Inflationsrisiko
Dass mit der "Geld-Bazooka" keine Krise gelöst werden kann, zeigen nicht nur aktuelle Beispiel in Südamerika und Afrika, sondern auch zahlreiche Versuche in der Vergangenheit. "Eine undifferenzierte geld- und fiskalpolitische Expansion ist […] nicht die richtige Antwort [auf die aktuelle Krise]", so auch die Einschätzung von William White, dem ehemaligen Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Zudem werden die unkontrollierten Liquiditätsschwemmen der Währungshüter, früher oder später zu einer außerordentlichen Inflation führen, da das viele frische Geld nur auf ein sehr begrenztes Warenangebot trifft.
Aktuell ist die Teuerungsrate jedoch noch kein Thema, da viele Geschäfte immer noch geschlossen haben und somit kaum ein Unternehmer, außer die Lebensmitteleinzelhändler, die Möglichkeit hat die Preise anzuheben. Zum anderen wirkt sich gegenwärtig auch der stark gefallene Ölpreis sehr mildernd auf die Inflation aus. "Sollte der Ölpreis unter 30 Dollar pro Barrel bleiben, könnte die Inflation im Mai sogar auf null Prozent zurückgehen", so die Einschätzung von Chris-Oliver Schickentanz, dem Chefstrategen der Commerzbank.
Pierre Bonnet / finanzen.net
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