Geldanlage-Report Armin Brack

China-Aktien: Mega-Crash?

16.06.11 10:01 Uhr

China-Aktien: Mega-Crash? | finanzen.net

China-Aktien - Scheibchenweise "Enron"

Was derzeit mit China-Aktien in den USA passiert, ist das was am Gesamtmarkt Salami-Crash genannt wird. Eine ganze Heerschar von chinesischen ADRs geht zugrunde - wie es aussieht zurecht.

Westliche Anleger werden getäuscht, betrogen, abgezockt. Nun stürzen auch die Aktien von Milliarden-Firmen in sich zusammen. Für mich der größte Börsenskandal, seit den Bilanzmanipulationen von Enron und Worldcom.

Angefangen hat es mit einem kleinen, inzwischen fast schon in Vergessenheit geratenen, chinesischen Düngemittelhersteller: Bodisen Biotech. Bodisen war einer der ersten chinesischen Highflyer der "neuen Generation", also von China-Aktien, die in einen leeren Börsenmantel einer US-Firma geschlüpft waren. Börsengang durch die Hintertür, könnte man das nennen. Fünf Jahre ist das inzwischen her. Das Muster ist das Gleiche wie heute:

Die Firma weist in ihren offiziellen Geschäftsberichten, in den USA SEC-Filings genannt, hohe Wachstumsraten beim Umsatz in Kombination mit fast unglaublich hohen Gewinnmargen auf. Ein Traum für Momentum-Anleger. Hohes Wachstum ist das, wonach trendorientierte Anleger suchen. Aber Wachstum kostet meistens auch viel Geld und darunter leiden die Margen. Wachstum und hohe Margen, das ist die Zauberformel für hohe Kursgewinne. Die Aktie explodierte von sechs auf über 20 US-Dollar.

Dann beschäftigten sich einige Blogger intensiver mit dem Unternehmen und es wurde schnell klar, dass die Zahlen gefaked waren. Wenn etwas zu schön zu sein scheint, um wahr zu sein, dann ist es halt oft auch nicht wahr. Die Aktie wurde von der American Stock Exchange (AMEX) in den unregulierten Pink Sheets-Markt verbannt. Der Kurs näherte sich unter wilden Schwankungen immer mehr der Nulllinie an. Heute führt die Aktie ein Schattendasein bei 0,50 US-Dollar. Wer immer noch dabei ist, hat 95 Prozent und mehr seines Einsatzes verloren.

Der eigentliche Skandal war aber: Die Verantwortlichen sind damals nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Weder die Vorstände noch Stock Promoter Benjamin Wey wurden vor Gericht verurteilt. Sämtliche Klagen wurden abgewiesen. Die Ausrede des Unternehmens: Die "bösen" Leerverkäufer hätten die Aktie und das Unternehmen zu Fall gebracht, ließ Bodisen Biotech verlauten. Was natürlich Quatsch ist. Seit 2008 hat das Unternehmen bei rückläufigen Umsätzen nur noch Verluste geschrieben. Offensichtlich, dass die Bilanzen zu Beginn des Börsenlistings geschönt waren, um die Anleger zu täuschen.

Bemerkenswert, dass das Unternehmen ausgerechnet in einem 2007er-Buch von Rohstoff-Guru Jim Rogers, "Investieren in China", als heißer Tipp empfohlen wird - nachdem der Skandal bereits aufgeflogen war. Verharmlosung und keinerlei Konsequenzen für die Verursacher - vielleicht bereitete der Präzedenzfall Bodisen ja den Boden für eine ganze Armada an chinesischen Skandal-Aktien, die in den Jahren danach folgen sollten.

*Skandal zieht immer weitere Kreise

Die Liste der Verdachtsfälle wird immer länger. Im Geldanlage-Report habe ich bereits Ende Januar/Anfang Februar in einer zweiteiligen Serie auf den drohenden Skandal hingewiesen.

Die Verdächtigungen ziehen sich quer durch alle Branchen. Die Firmen heißen: Orsus Xelent, China INSOnline, China Auto Logistics, China Infrastructure Investment, Guanwei Recycling, Winland Online Shipping, CH Lighting International, Chisen Electric, China Education Alliance, China New Borun, China Biotics, China Sky One Medical, Fuqi International, Rino International, China Energy Savings Technology, Shanghai Medical Technology, Fuwei Films, China Yingxia, Asia Time oder China MediaExpress - und das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Armada an dubiosen Reverse Merger-Firmen.

Vor China MediaExpress hatte ich in der Geldanlage-Report-Ausgabe vom 05. Februar 2011 bei einem Kurs von 9,91 Euro ausdrücklich gewarnt. Unmittelbar danach wurde der Handel mit den Aktien gestoppt und für mehrere Wochen komplett ausgesetzt. Die Wiederaufnahme erfolgte dann am unregulierten Pink Sheets-Markt, zu einem Bruchteil des ursprünglichen Kurses. Aktuell notiert die Aktie nur noch bei 1,33 Euro.

*Eine neue Dimension

Die oben genannten Aktien hatten alle eines gemeinsam: Sie waren - ebenso wie Bodisen Biotech - Reverse Merger, Mantel-Deals, Börsengänge durch die Hintertür. Fast alle waren zunächst nur am unregulierten OTC-Markt notiert (auch wenn viele später an die Nasdaq oder die New York Stock Exchange wechselten und damit Seriosität vorspiegelten). Anleger wussten also worauf sie sich einließen, wenn sie diese Aktien kaufen. Zumindest wenn sie keine blutigen Anfänger waren.

Davon abgegrenzt waren die offiziellen China-IPOs, die Initial Public Offerings, also klassische Börsengänge, wo Firmen eigene Aktien über Kapitalerhöhungen an institutionelle und private Anleger verkauft haben. Wo ausführliche Due Diligence-Prozesse laufen, in denen Unternehmen und Bilanzen vor dem Börsengang geprüft werden. Wo die ganz Großen Investmentbanken mit von der Partie sind.

Ein solches Papier ist bzw. war Longtop Financial. Das Unternehmen galt als einer der größten Softwareentwickler für Finanzdienstleister in China. Longtop erlöste beim Börsengang im Oktober 2007 182 Millionen US-Dollar. Am ersten Handelstag schoss der Kurs um 85 Prozent in die Höhe. Das Interesse der Anleger an dem Papier war riesig.

Longtop gilt beim Börsengang als absolute Qualitätsaktie. Das "Who is who" der internationalen Investmentbanker war mit von der Partie - beim Börsengang und als Investoren.

JP Morgan Chase hält immer noch fast zwei Millionen Aktien, die Ende März 62 Millionen Euro wert waren. FMR, die zur bekannten Fidelity Fonds-Familie zählen, haben 261 Millionen US-Dollar investiert. Die so genannten Lead Underwriter, die den Börsengang für Longtop abgewickelt haben, waren Goldman Sachs und die Deutsche Bank. Als Wirtschaftsprüfer fungierte Deloitte Touche Tohmatsu, die zu den größten Vier weltweit zählen.

Sechs Jahre lange setzte Deloitte Bestätigungsvermerke unter sämtliche Bilanzen von Longtop Financial, ohne irgendwelche Beanstandungen. Erst als Short-Seller Andrew Left auf seinem Blog CitronResearch detaillierte Anschuldigungen erhob, begann Deloitte die Angaben von Longtops Banken zu überprüfen. Und siehe da: Große Teile des Cashbestandes von 300 Millionen US-Dollar existierten nur auf dem Papier, Belege für Transaktionen waren nicht auffindbar.

Es sieht nach Betrug im großen Stil aus. Als Deloitte weiter nachforschen wollte, wurde das von Longtop selbst verhindert. Dokumente wurden den Wirtschaftsprüfern gezielt vorenthalten. Die einheimischen Banken, die offenbar die Machenschaften deckten, wurde mitgeteilt, Deloitte seien nicht mehr die Bilanzprüfer von Longtop. Inzwischen gab Longtop-Chairman Jia Xaio Gong zu: "Es gab gefakte Umsätze in der Vergangenheit, also gibt es auch gefaktes Cash in den Bilanzen".

Nun endlich trat Deloitte als Buchprüfer zurück, die an der New York Stock Exchange gelistete Aktie ist seit 17. Mai vom Handel ausgesetzt. Den Aktionären droht ein Totalverlust.

*Sino-Forest: Der nächste Hammer

Der Aufschrei an der Wall Street war noch kaum verhallt, da erschüttert bereits der nächste Fall die Börsianer: Sino-Forest, ein börsennotierter chinesischer Waldbetreiber, wird bezichtigt Vermögenswerte und Grundstücke falsch ausgewiesen zu haben.

Dabei galt Sino-Forest mitnichten als "Wald- und Wiesen-Firma", zumindest bisher nicht. Die Börsenbewertung der Aktie lag in der Spitze bei über fünf Milliarden US-Dollar. Das Unternehmen ist noch wesentlich prominenter als Longtop Financial. Haupthandelsplatz ist hier Kanada. Auch hier sind prominente Investoren an Bord. Unter anderem der Hedgefonds-Manager John Paulson, der mit einer Wette auf das Zusammenbrechen des US-Immobilienmarktes Milliarden verdiente. Der lesenswerte Bestseller "The Greatest Trade Ever" von Gregory Zuckerman beschreibt im Detail die Vorgehensweise von Paulson.

Inzwischen schwindet der Ruhm. Paulson bzw. dessen Hedgefonds war mit 14 Prozent größter Einzelaktionär von Sino-Forest. Seine Buchverluste belaufen sich aktuell auf 340 Millionen US-Dollar. Paulson kann es verkraften. Er managt aktuell 34 Milliarden US-Dollar. Dennoch zeigt es die Dimensionen des Falles.

Genau wie bei Longtop waren es Short-Seller, die den vermeintlichen Skandal aufgedeckt haben. Diesmal das in Hong Kong ansässige Research-Haus Muddy Waters. Waters liefert dabei ein 40-seitiges Dossier, in dem die Anschuldigungen im Detail erläutert und mit Fakten untermauert werden.

Muddy Waters genießt inzwischen einen exzellenten Ruf in der Szene. Sämtliche bisherigen Enthüllungsstorys über China-Aktien erwiesen sich als richtig. Aufgedeckt wurden unter anderem die Betrugsfälle Orient Paper, Rino International, China MediaExpress und Duoyuan Global Water.

Der Hauptvorwurf: Sino-Forest habe den Wert seiner Wälder um rund 900 Millionen US-Dollar zu hoch ausgewiesen. Die Antwort von Sino-Forest fällt alles andere als überzeugend aus: "Das Board of Directors und das Management von Sino-Forest möchten klarstellen, dass es keine wesentlichen Veränderungen im operativen Geschäft oder Ungenauigkeiten in seinen Geschäftsberichten gibt, auf die der Markt aufmerksam gemacht werden sollte. Desweiteren empfehlen wir den Aktionären bei der Reaktion auf den Muddy Waters-Report extreme Vorsicht walten zu lassen."

Sieht so ein klares Dementi aus? Sicher nicht. Das liest sich eher wie ein von Anwälten formuliertes Statement, das möglichst neutral gehalten ist, um einerseits nichts zugeben zu müssen, andererseits aber auch keine Falschaussagen zu machen, die später vor Gericht gegen das Unternehmen verwendet werden könnten.

*Alle warten auf neue Enthüllungen

Nicht nur die Aktien selbst, auch das Vertrauen der Anleger in chinesische Aktien erreicht immer neue Tiefstände. Es scheint nur eine Frage der Zeit bis weitere Ungereimtheiten enthüllt werden.

Auch die heiß gehandelten China-Internet-IPOs geraten inzwischen in den Fokus der Short-Seller. Die Euphorie hat sich längst in Panik verwandelt. Bei ChinaCache International beispielsweise, einem Webhosting-Unternehmen, das zu 13,90 US-Dollar an den Markt kam, um dann an den ersten Handelstagen auf über 30 US-Dollar zu steigen. Im Februar meldete es den Rücktritt von Chief Operating Officer Richard Xu - aus persönlichen Gründen wie es hieß. Seither befindet sich die Aktie quasi im freien Fall und notiert aktuell bei unter 8,00 US-Dollar.

Auch bei Renren, das als das Facebook Chinas gilt, kam es in den letzten Tagen zu einem massiven Abverkauf. Ausgerechnet der Finanzchef von Longtop Financial, Derek Palaschuk, sollte beim Börsengang von Renren als Chef-Buchprüfer fungieren.

So gewinnt man das Vertrauen der Anleger sicher nicht zurück.

MEIN FAZIT:

- Die Bilanzierungsskandale bei in den USA oder Kanada notierten chinesischen Unternehmen weiten sich aus.

- Inzwischen sind auch Unternehmen betroffen, die über ein reguläres IPO an den Markt gekommen sind und bisher als solide oder gar als Blue Chips galten.

- Diese Entwicklung lässt befürchten, dass weitere Skandale folgen werden. Anleger sollten bei China-Aktien höchste Vorsicht walten lassen.

Armin Brack ist Chefredakteur des Geldanlage-Reports. Gratis anmelden unter: www.geldanlage-report.de. Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.