Jens Ehrhardt: "Es bleibt nur die Flucht nach vorn"
Deutschlands bekanntester Vermögensverwalter, Jens Ehrhardt, über die Folgen des globalen Gelddruckens, Investmentchancen in Europa und das zerbrochene Kali-Kartell.
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von Lucas Vogel, Euro am Sonntag
Als Jens Ehrhardt 1974 seine Doktorarbeit schrieb, bewies er — bewusst oder unbewusst — enormen Weitblick. Ehrhardt, inzwischen der Grandseigneur unter Deutschlands unabhängigen Vermögensverwaltern, untersuchte damals unter anderem den Zusammenhang zwischen Geldmengenvermehrung durch Notenbanken und Börsenkursentwicklung. Ein Thema, das heute — 40 Jahre später — ebenso aktuell wie brisant ist.
€uro am Sonntag: Herr Dr. Ehrhardt, zunächst zum Syrien-Konflikt. Die Kriegssorgen belasten die Aktienmärkte und lassen die Kurse von Gold und Öl steigen. Ist das der Beginn einer Dauerkrise, oder werden sich die Märkte schnell wieder beruhigen?
Jens Ehrhardt: Ich erwarte keine dauerhafte Belastung, selbst sofort nach Beginn des Irak-Kriegs stiegen die Kurse wieder. Die augenblickliche Schwäche erklärt sich primär aus Zinsängsten, aber auch markttechnisch aus zu viel vorangegangenem Optimismus und der üblichen Saisonschwäche in den Sommermonaten August und September. Gold steigt weniger wegen der Syrien-Krise als vielmehr wegen der hohen Nachfrage in China. Im ersten Halbjahr importierte China mit etwa 800 Tonnen mehr Gold, als die westlichen Gold-ETFs mit 680 Tonnen verkauften. Öl wird kurzfristig durch schwer kalkulierbare politische Faktoren beeinflusst. Mittelfristig dürfte die stark steigende US-Öl- und Gasproduktion den Ölpreis drücken. Ebenso die verstärkten Bemühungen Chinas, vermehrt Kohle und Solarenergie einzusetzen.
Wie reagiert man als Vermögensverwalter in solch einer Situation?
Zur Absicherung habe ich kleinere Positionen von DAX-Puts gekauft.
Blenden wir den Syrien-Konflikt als sogenannten externen Schock mal aus. Wie sehen Sie die Lage an den Aktienmärkten?
Ich bleibe mittelfristig positiv für Aktien, besonders aus monetärer Sicht in Japan und aus Bewertungssicht sowie günstiger Markttechnik in China. Das Sentiment ist eigentlich gut. Obwohl die Börsen in den USA und Deutschland zuvor auf oder nahe den Höchstständen notieren, war von Euphorie keine Spur. Das niedrige Handelsvolumen der Rally in diesem Jahr bewerte ich auch eher positiv. Sentiment und Markttechnik sprechen daher tendenziell für steigende Aktienkurse. Gerade in Europa, das als Anlagedestination gegenüber den USA bei Beratern lange im Abseits stand. Das beginnt sich gerade zu ändern. Schließlich ist Europa gegenüber den USA billig.
Also grünes Licht für Europa-Aktien?
Ich bin vorsichtig optimistisch. Ein Indikator, von dem ich sehr viel halte, die Geldmenge, will nicht steigen — trotz aller Bemühungen der Europäischen Zentralbank. Es bleibt der heftige Gegenwind durch die Banken, die wegen neuer Regulierung in den kommenden Jahren drei Billionen Euro an Krediten aus den Büchern bekommen müssen.
Und die Eurokrise?
Die Probleme sind natürlich da. Die Euphorie um die Konjunkturzahlen kann ich nicht ganz nachvollziehen. Auch die Hoffnung auf eine deutlich gelockerte Geldpolitik der EZB, wie sie in Südeuropa derzeit herrscht, kann ich nicht teilen.
Und nach der Bundestagswahl, kommt da ein Befreiungsschlag?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Ein Schuldenschnitt für Griechenland wahrscheinlich, etwas mehr Kredite über die KfW vielleicht. Aber eine dauerhafte Alimentierung der Südländer durch den Norden ist politisch nicht zu machen. Viel wichtiger ist sowieso, dass die Zinsen für Staatsanleihen in den Krisenstaaten wieder gefallen sind. Italien konnte sich zuletzt für 1,1 Prozent für ein Jahr refinanzieren.
Während die Eurozone noch um den Weg aus der Krise streitet, haben sich die Japaner fürs Gelddrucken und eine Währungsabwertung entschieden. Wie nachhaltig ist der dadurch ausgelöste Boom am Aktienmarkt?
Ja, es gibt eine Rally. Aber die Bewertungen der Unternehmen sind angesichts eines Gewinnsprungs von über 40 Prozent in Ordnung. Auch die Kurs-Buch-Verhältnisse sind okay. Fundamental ist also nichts übertrieben. Investieren sollte man aber nur mit Währungsabsicherung. Denn nur wenn der Yen weiter fällt, können japanische Aktien steigen.
Werden japanische Anleihen diese Abwertung überstehen? Jeder Anleger muss bei der Inflationspolitik doch eigentlich verkaufen?
Deswegen wird ja die Notenbank die Anleihen aufkaufen und die Zinsen niedrig halten.
Das ist Finanzierung über die Notenpresse, die historisch noch immer schlecht ausgegangen ist.
Natürlich kann man sagen, dass die Hausse am Aktienmarkt nur auf einer Geldschwemme basiert. Aber wir leben in extremen Zeiten, und da muss man vielleicht normale, konservative Ansätze überdenken. Es ist nun mal so: Dort, wo Geld gedruckt wird, in den USA und jetzt in Japan, gibt es zumindest etwas Wachstum und steigende Aktienkurse.
Befürworten Sie das Gelddrucken zur Bekämpfung der Finanz- und Schuldenkrise?
Man muss beachten, dass wir im globalen Wettbewerb mit den anderen Währungszonen stehen. Und wenn die alle geldpolitisch Gas geben, ist es schwer, ein konservativer Bundesbanker zu bleiben. Schließlich wertet die eigene Währung dann auf, und man verliert Wettbewerbsfähigkeit. Der Euro ist ja für alle Euro-Krisenstaaten immer noch viel zu teuer. Vielleicht haben wir währungspolitisch den Rubikon schon überschritten. Vielleicht bringen geldpolitische Vorsicht und Sparen in diesem Umfeld nichts, sondern führen uns in eine soziale Krise.
Also einfach der Geldpolitik vertrauen und Aktien kaufen?
Ich hatte da auch lange Bauchschmerzen. Aber Bundesbank-Politik funktioniert nur in normalen Zeiten. Aber die haben wir momentan einfach nicht. Wir befinden uns konjunkturell in vielen Staaten in einer Situation, in der nur die Flucht nach vorn bleibt.
Kann das langfristig gut gehen?
Wir bewegen uns natürlich auf unbekanntem Terrain. Die größte Gefahr ist langfristig, dass die Inflation unkontrolliert steigt. Was machen die Notenbanken dann? Dann wird Gold die beste Anlageklasse sein. Gold als Versicherung sollte man haben. Aber bis der Versicherungsfall eintritt, kann es noch lange dauern. Bis dahin muss man als Anleger auch Aktien kaufen, wenn man kein gutes Bauchgefühl hat.
Gilt das auch für den US-Aktienmarkt, der ja bisher mit 13 Prozent in diesem Jahr sehr gut lief?
Hier sieht man es wieder: Die USA haben in diesem Jahr am meisten stimuliert, und hier ist der Aktienmarkt am besten gelaufen. Aber es gibt auch mittelfristige Argumente, die für Amerika sprechen. Die USA haben die Verschuldung weiter laufen lassen und die Banken schnell wieder auf die Beine bekommen. Während J P Morgan und Goldman Sachs Milliardengewinne machen, kämpfen viele europäische Institute wie die Commerzbank immer noch mit den Folgen der Finanzkrise.
Also kommt man um US-Aktien nicht herum?
Ja, langfristig auf keinen Fall. Die Amerikaner sind einfach pragmatischer in der Lösung von Problemen. Dazu kommt noch der Shale-Gas-Boom, der die Energiekosten drückt und die Handelsbilanz verbessert. Kurzfristig würde ich momentan trotzdem Asien und Europa übergewichten. Dort sind die Bewertungen einfach attraktiver, und von daher gehe ich hier von einer relativen Stärke gegenüber US-Aktien aus.
Auch weil die Zinsen dort zuletzt stark anstiegen?
Tatsächlich sind die höheren Zinsen hemmend. Die Aktien von Hausbauern sind ja schon erheblich eingebrochen. Die Erholung am Häusermarkt wird maßgeblich von institutionellen Investoren bestimmt, die Häuser kaufen, um sie zu vermieten. Dieses Geschäft funktioniert nur mit niedrigen Zinsen. Es ist einfach so: Der US-Konsument ist immer noch sehr hoch verschuldet und die Einkommensentwicklung schwach. Er kann kein neues Haus kaufen.
Das Bankensystem in den USA ist wieder auf den Beinen, das in Europa ist schwach. Wie sehen Sie das Finanzsystem in China, das ja vor einigen Wochen aufhorchen ließ, als die Zinsen für Interbankgeschäfte in die Höhe schnellten?
Eine große Bankpleite wie mit Lehman vor fünf Jahren in den USA ist in China unvorstellbar. Das Land wird wirtschaftspolitisch viel zu stark von der Regierung dirigiert, die ja gesehen hat, welch schreckliche Folgen so eine Pleite haben kann. Und weil China eine minimale Außenverschuldung hat und sein eigenes Geld drucken kann, haben die Politiker in Peking alle Möglichkeiten. Deswegen glaube ich auch weiter nicht an eine harte Landung der chinesischen Konjunktur.
Ein Spielball der Interessenpolitik ist K + S, lange eine Ihrer Lieblingsaktien. Wie sehen Sie die Situation?
Ich hatte zum Zeitpunkt des Absturzes keine Positionen bei K + S. Denn abgesehen von den jüngsten Vorkommnissen haben die hohen Investitionen in Kanada, wo ein großes Kalivorkommen erschlossen werden soll, die Aktie ja schon länger belastet. Nun ist das Management in einer Zwickmühle. Einerseits ist das Engagement in Kanada vernünftig, weil die Förderkosten dort sehr günstig sind und die Reserven in Deutschland nicht ewig reichen. Andererseits wird es schwierig sein, die noch fehlenden zwei Milliarden Dollar am Kapitalmarkt zu bekommen. Eine Anleihe in dem Umfang kann ich mir nicht vorstellen, und der niedrige Börsenkurs lässt eigentlich auch keine Kapitalerhöhung zu.
zur Person:
Jens Ehrhardt wurde 1942 in Hamburg geboren. Sein Vater Alfred war Fotograf und Dokumentarfilmer, die Mutter entstammte aus einer Familie von Schiffsmaklern. Er studierte BWL, arbeitete anschließend
in der seinerzeit größten deutschen Vermögensverwaltungsgesellschaft und gründete 1974 seine eigene Vermögensverwaltung. Heute verwaltet die DJE Kapital AG zehn Milliarden Euro. Der begeisterte Segler ist Vater von zwei Kindern.
Mischfonds auch
für Privatanleger
Bereits seit 2001 verwaltet Jens Ehrhardt für institutionelle Anleger den Mischfonds DJE Concept. Der Fonds hat eine hervorragende Historie. Seit Anfang dieses Jahres gibt es eine Tranche für Privatanleger (ISIN: LU 085 822 403 2), die mit einer höheren Kostenquote das gleiche Konzept fährt: Ehrhardt legt die Quoten für Aktien, Anleihen und Cash nach Analyse von Marktindikatoren in den wichtigen Kategorien Fundamentaldaten, Monetäre Einflüsse und Markttechnik fest. Ähnlich wie beim lange bewährten FMM-Fonds. Im Gegensatz zu diesem ist der Fonds allerdings offensiver in der Grundausrichtung sowie schneller und radikaler bei der Reaktion auf Marktveränderungen. Cashquoten von 50 Prozent und Aktienquoten von netto 120 Prozent gab es schon. Das ist wegen des noch geringen Volumens von rund 200
Millionen möglich.
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