Europas Aktien: Aufgehellte Perspektiven
Anfang 2012 galten Eurostaaten wie Griechenland, Italien oder Spanien als schwarze Löcher, in denen Geld spurlos verschwindet. Das hat sich geändert. In Europas Peripherie keimt Hoffnung auf, auch Investoren haben die abgestrafte Region wiederentdeckt.
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von Andreas Höß, Euro am Sonntag
Matteo Achilli war von Anfang an klar, dass er keine große Hilfe vom italienischen Staat erwarten konnte. Als er im Februar 2012 den Schritt in die Selbstständigkeit tat, war es gerade drei Monate her, dass die Finanzmärkte seinem Land das Vertrauen entzogen hatten und Regierungschef Silvio Berlusconi aus dem Amt gejagt wurde. Europa spekulierte damals, ob Italien Hilfsgelder braucht oder sogar gleich aus der Eurozone austritt. Doch Achilli glaubte an seine Idee.
„Ich wusste, dass ich kein Marketingbudget und keine Erfahrung hatte“, erinnert sich der Student der Mailänder Wirtschaftsuni Bocconi. Trotzdem wagte er es. Mit nur 19 Jahren baute Achilli das soziale Netzwerk Egomnia auf, dessen Zweck gut in die Zeit passt: Es bringt junge Akademiker mit Konzernen zusammen, die Personal suchen. Heute, zwei Jahre später, nennt man Achilli den „Zuckerberg Italiens“. Von Rom aus verwaltet er die Plattform, die im vergangenen Jahr immerhin eine halbe Million Euro abgeworfen haben soll. 600 weltweit agierende italienische Unternehmen und 100.000 User tummeln sich auf Egomnia.
Auch wenn der Jungunternehmer noch weit von den Erfolgen des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg entfernt ist: Das Beispiel zeigt, dass es im lange abgeschriebenen Süden Europas Erfolgsgeschichten gibt. Es keimt Hoffnung auf, dass die Krise bald überwunden ist. Das zieht auch jene Menschen an, die der Region den Rücken gekehrt hatten und ihr Geld gleich mitnahmen: Investoren und Großanleger. Ablesbar ist das an den steigenden Kursen der Staatsanleihen aus Spanien oder Italien, die lange ein Gradmesser der Angst waren.
Rückkehr von Vertrauen und Geld
Seit die Europäische Zentralbank (EZB) im Sommer 2012 bekannt gab, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, um Länder zu retten, ordern milliardenschwere Fondsmanager wie Michael Hasenstab vom Templeton Global Bond Fund wieder im großen Stil Schuldpapiere, die zuvor als toxisch galten. Investoren äußern Interesse an Staatskonzernen aus Griechenland oder Portugal, die verkauft werden sollen, um Staatsschulden abzubauen. Auch die Aktien an den Börsen in Athen, Mailand oder Madrid sind wieder gefragt und Hedgefondsmanager wie John Paulson investieren aggressiv in griechische Banken.
Die Gründe für diesen Umschwung sind vielfältig. Sie reichen von niedrigen Zinsen und Anlagenotstand über das Sicherheitsnetz der EZB und die Rettungsschirme der Politik bis zu besseren Konjunkturaussichten. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble glaubt etwa, der vom ihm eisern durchgepaukte Dreisatz aus Sparmaßnahmen, Strukturreformen und Hilfsgeldern beginne zu wirken. Die Eurozone habe die Neuverschuldung in nur drei Jahren halbiert, die Wettbewerbsfähigkeit in Südeuropa steige, die Konjunktur ziehe an.
Fakt ist: Das Vertrauen in die Region ist gestiegen. Anfang 2012 gab es Zweifel, ob der Euro fortbesteht. Das habe sich geändert, glaubt Olgerd Eichler, der den rund eine Milliarde Euro großen Aktienfonds Mainfirst Top European Ideas verwaltet. Er rechnet damit, dass sich Europas Staaten in einigen Jahren über gemeinsame Anleihen finanzieren werden. „Die Politiker kämpfen mit allen Mitteln für den Euro und haben die EZB als mächtigen Verbündeten“, sagt Eichler. „Euroaustritte sind vom Tisch, schwache Staaten werden durchgefüttert.“
Für Eichler ist das aber nur ein Grund, weshalb er in Europas Peripherie investiert. Rund 150 Millionen Euro hat er in die Aktienmärkte in Spanien und Italien gesteckt und damit zum Beispiel Papiere von Banken wie Unicredit oder Banco Bilbao Vizcaya oder Versorgern wie Iberdrola gekauft. Der andere Grund: Der deutsche Leitindex DAX knackt längst wieder Höchststände, die Börsen in Spanien oder Italien sind trotz der jüngsten Aufholjagd von alten Rekorden noch Lichtjahre entfernt.
Entsprechend hoch schätzen einige Finanzexperten die Gewinnchancen dort ein. Gemessen an den Vermögenswerten der börsennotierten Konzerne, dem sogenannten Buchwert, sind Aktien aus Spanien, Italien, Portugal, Griechenland oder Irland günstig zu haben. Und das in einer Zeit, in der Konzernmanager dort auf steigende Gewinne hoffen und so positiv in die Zukunft blicken wie lange nicht mehr. Besonders die Märkte in Italien und Spanien, die gut investierbar sind und viele global tätige Unternehmen beherbergen, gelten unter Fondsmanagern als Favoriten. So hat an den Börsen das Wort „Aufholpotenzial“ zuletzt das Prädikat „Krisenstaat“ abgelöst.
Auch bei Andreas Hauser von der Fondsboutique Habbel, Pohl und Partner lösen Nachrichten von verpassten Spar- und Reformzielen, wackelnden Regierungen, kriselnden Banken oder steigenden Schulden keine Schocks mehr aus. „Wir haben uns mit den hohen Schulden abgefunden“, sagt er. „Ob Griechenland oder Portugal noch mehr Hilfsgelder brauchen, ist für uns zweitrangig.“ Schon Mitte 2012 glaubte Hauser, dass die Börsen in Südeuropa das Schlimmste hinter sich haben. Wie der italienische Start-up-Unternehmer Achilli wagte er damals einen Neubeginn. Weil es keine Aktienfonds gab, die nur in Südeuropa investieren, legte er zusammen mit Universal Investment selbst einen auf. Querelen über die geografische Definition von Südeuropa mit der Finanzaufsicht Bafin verzögerten das Projekt noch bis Februar 2013, dann ging es an den Start. Rund zwölf Millionen Euro haben Privatanleger in den Fonds investiert — der damit bisher ein Nischenprodukt ist.
Ist die Krise wirklich vorbei?
„Wer in Peripheriestaaten investiert, braucht Mut“, räumt auch Fondsmanager Eichler ein. Das starke Auf und Ab an Athens Börse erinnert ihn an einen „Pennystock“ — weshalb er die Finger von griechischen Aktien lässt, die seit Sommer 2012 rund 135 Prozent zugelegt haben. Angesichts dieser Kursexplosion müssen sich Anleger wohl auch fragen, ob sie die leichten Gewinne schon verpasst haben. Zudem diskutieren Experten nach wie vor hitzig darüber, ob und wann Europa die Krise endgültig abschütteln wird.
Weitere Probleme in den Peripheriestaaten könnten etwa die Bankenstresstests aufdecken, die im Zuge der von der EU vergangene Woche beschlossenen Bankenaufsicht stattfinden werden. Und auch wirtschaftliche Rückschläge sind jederzeit möglich. Die Konjunkturforscher des Internationalen Währungsfonds (IWF) erwarten derzeit zwar, dass 2014 selbst Länder wie Griechenland, Spanien und Italien die Rezession hinter sich lassen. Allerdings waren deren Prognosen in der Vergangenheit immer wieder zu optimistisch. Der harte Sparkurs und die hohe Arbeitslosigkeit lassen Ökonomen wie den Nobelpreisträger Paul Krugman sogar daran zweifeln, ob es in Südeuropa überhaupt einen echten Aufschwung geben wird.
Tatsächlich sind die sozialen Verwerfungen groß, viele Bürger in Griechenland oder Spanien spüren bisher kaum etwas von der Erholung. Prekär ist die Lage beispielsweise in Villaverde Bajo, einem Vorort von Madrid, in dem die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist.
Hier lebt Alejandra Fernandez. Seit sie vor zwei Jahren ihren Job als Sachbearbeiterin in einem Großunternehmen verloren hat, ist auch sie arbeitslos. Nun macht die 25-Jährige Weiterbildungsmaßnahmen und arbeitet als Aushilfe im Friseursalon einer Freundin. Geld bekommt sie dafür nicht. Selbstvertrauen dagegen schon: „Ich habe eine Zukunft“, sagt sie. Ihre Hoffnung hat sie also nicht verloren.
Europas Krise fakten und hintergründe
Staatsschulden
Zuletzt ist die Diskussion um Europas Schulden abgeflaut. Die Schuldenstände selbst sind aber weiter drastisch gestiegen. Gemessen an der Wirtschaftsleistung werden Griechenlands Staatsschulden bis Ende des Jahres laut IWF auf 173 Prozent zulegen – trotz Schuldenerlassen und Sparmaßnahmen. 2010 waren es noch 148 Prozent. In anderen Ländern ist das Bild ähnlich. Italien wird bis Ende 2013 Schulden in Höhe von 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angehäuft haben (2010: 119 Prozent), Irland und Portugal je 123 Prozent (2010: 92 beziehungsweise 93 Prozent). Mit 93 Prozent wird die Schuldenquote in Spanien vergleichsweise niedrig ausfallen. 2010 lag sie allerdings noch bei 61 Prozent und damit nur einen Prozentpunkt über der in Maastricht vereinbarten EU-Schuldengrenze. Positiv: Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass die Krisenländer weniger neue Schulden aufnehmen als in den vergangenen Jahren. Italien könnte mit 3,1 Prozent die
Defizitkriterien fast einhalten. Größter Defizitsünder: Irland mit rund sieben Prozent.
Hilfsgelder
Im April 2010 war Griechenland der erste Eurostaat, der Hilfsgelder beantragte. Seither hat die Troika aus EU, IWF und EZB den Krisenländern fast 500 Milliarden Euro zugesagt – ohne verdeckte Hilfen wie Staatsanleihenkäufe. Gut 400 Milliarden davon sind bereits ausgezahlt. Den größten Posten erhielt mit rund 225 Milliarden Griechenland, so eine Aufstellung des Bundesfinanzministeriums. Im Mai 2010, nur einen Monat nach der ersten Griechenland-Krise, flüchtete Irland unter den schnell aufgespannten temporären Rettungsschirm EFSF und bekam Kredite in Höhe von 67,5 Milliarden Euro zugesagt. Der Löwenanteil des Geldes ist aufgebraucht, Irland will bald ohne Hilfen auskommen. Im Mai 2011 wurden Portugal bis Mitte 2014 knapp 80 Milliarden Euro zugesichert. Ein Sonderfall ist Spanien. Die Iberer bürgen lediglich für ihre Banken, die 100 Milliarden Euro aus dem nun permanenten Rettungsschirm ESM abrufen können. Mit zwölf Milliarden Euro an ESM-Geldern wurde jüngst auch Zypern kapitalisiert. Deutschland haftet derzeit für rund ein Viertel der ausgezahlten Hilfen. Unter Experten und Politikern ist es umstritten, ob die Kredite zurückgezahlt werden oder ob die Retter riesige Summen abschreiben müssen.
Börsenfieber
Seit die Unsicherheit über das Überleben der Eurozone im Sommer 2012 zurückgegangen ist, gab es an Europas Börsen eine veritable Aufholjagd – sowohl an den Anleihemärkten als auch an den
Aktienbörsen. Die Kurse von Staatsanleihen aus der Peripherie stiegen, die Renditen gingen im Gegenzug deutlich zurück. In Spanien lagen sie für zehnjährige Papiere im Juni 2012 noch über 7,5 Prozent – Experten gehen bei einem so hohen Wert davon aus, dass ein Land sich nicht lange selbst finanzieren kann. Derzeit rentieren spanische Staatspapiere mit 4,3 Prozent, italienische Pendants mit 4,2 Prozent. Das wiedergewonnene Vertrauen beflügelte auch die Aktienmärkte. An der Börse in Madrid stiegen die Kurse seit Juni 2012 um rund 75 Prozent, in Athen explodierten sie sogar um mehr als 130 Prozent. Zum Vergleich: Der deutsche Leitindex DAX legte in derselben Zeit um knapp 50 Prozent zu. In ähnlicher Höhe bewegen sich auch die Kursgewinne der Leitindizes in Irland, Portugal und Italien.
Investor-Info
Fondszuflüsse
Neue Hoffnung für Europa
Der Alte Kontinent steht bei Investoren hoch im Kurs: Es fließt wieder Geld in europäische Aktienfonds. Seit 15 Wochen dauern die Zuflüsse an – für die Anlageklasse ist es der beste Lauf seit elf Jahren, ermittelte die Bank of America Merrill Lynch.
Fonds
Mit verteilten Risiken
Europa-Optimisten, die Wert auf eine breite Streuung legen, greifen zu Fonds und ETFs. Kostengünstig und unkompliziert ist der ComStage ETF Stoxx Europe 600, der die Wertentwicklung von 600 europäischen Aktien abbildet. Besser schlägt sich der MainFirst Top European Ideas, für den Olgerd Eichler aktiv nach Aktien mit starkem Gewinnwachstum sucht. Fündig wird er dabei unter anderem in Italien und Spanien. Mutige Anleger investieren in den Aktien Südeuropa UI, dessen Schwerpunkt neben Frankreich auf Italien und Spanien liegt. Seit Auflage im Februar 2013 gewann der Fonds rund sieben Prozent. Allerdings ist das Volumen mit rund zwölf Millionen Euro relativ gering. Eine defensive Alternative ist der MEAG Euro Ertrag, der unter anderem in italienische und spanische Schuldtitel sowie irische Unternehmensanleihen investiert. Den Aktienanteil des Mischfonds hält Fondslenker Ingmar Przewlocka zwischen 20 und 40 Prozent.
Euro Periph. Value Zertifikat
Italien, Spanien, Portugal
58 Prozent Plus seit Auflage im Juli 2012: Die Wertentwicklung des Papiers der Royal Bank of Scotland (RBS) auf unterbewertete Unternehmen der Euro-Peripherie kann sich sehen lassen. Der Korb enthält 15 Konzerne aus südlichen Krisenstaaten, die international unterwegs sind und von einer Erholung der globalen Konjunktur profitieren dürften. Dazu zählen der italienische Autobauer Fiat, der spanische Baukonzern ACS und der Baustoffhersteller Cimpor aus Portugal. Dividenden werden reinvestiert. Einmal jährlich setzt die RBS alle Korbmitglieder auf ihre anfängliche Gewichtung zurück. Die Verwaltungsgebühr liegt bei einem Prozent jährlich.
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