Habeck schlägt Krankenkassenbeiträge auf Kapitalgewinne vor
Er forderte am Sonntagabend im "Bericht aus Berlin" in der ARD, dass die Beitragsgrundlage erhöht werden sollte. Als Finanzierungsquelle für die Krankenkassen sollten künftig auch Kapitaleinnahmen herangezogen werden.
"Wir zahlen ja alle Sozialversicherungsbeiträge - diejenigen, die in den gesetzlichen Kranken- und Versicherungssystemen sind: Abgaben auf die Arbeitslöhne. Aber zum Beispiel Kapitalerträge sind davon freigestellt. Warum soll eigentlich Arbeit höher belastet sein als Einkommen durch Kapitalerträge? Das leuchtet mir nicht ein", sagte Habeck. "Deswegen schlagen wir vor, dass wir auch diese Einkommensquellen, die Menschen ja haben, sozialversicherungspflichtig machen, so dass wir dann den Druck auf die Arbeitslöhne deutlich reduzieren, Arbeiten günstiger machen und die Kapitaleinkünfte werden dann etwas höher mit Abgaben belegt." Das wäre laut Habeck "ein Schritt zu mehr Solidarität im System".
Mit Blick auf die steigenden Beiträge zur Krankenversicherung sagte der Bundeswirtschaftsminister zudem, dass er Beiträge, die eigentlich sachfremd sind, aus dem System rausholen wolle. "Die Rentenbeiträge der pflegenden Angehörigen werden über die Pflegeversicherung bezahlt. Und da gehören sie einfach gar nicht hin. Das muss man dann sozusagen in die normalen Rentenkassen zurücknehmen - gegebenenfalls dann mit Zuschüssen bearbeiten", sagte er.
Reaktionen auf Habecks Vorstoß
Knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl kamen prompte Reaktionen - nicht nur positive.
So warfen die Parteispitzen von CSU und FDP Habeck den Griff in die Taschen der Menschen vor. Auch der Koalitionspartner SPD lehnte den Vorstoß des Grünen-Wirtschaftsministers ab. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) warnte vor negativen Auswirkungen für die Mittelschicht. Als Idee für mehr Gerechtigkeit begrüßte hingegen der Sozialverband Deutschland (SoVD) Habecks Äußerung.
TK-Chef befürchtet weiteren Anstieg der Beiträge
Habeck kündigte an, die Grünen "würden gern die Beitragsgrundlage erhöhen". Er kritisierte, dass Kapitalgewinne bislang von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt seien. Habeck war auf Warnungen von TK-Chef Jens Baas angesprochen worden. Der Chef der Techniker Krankenkasse hatte in der "Süddeutschen Zeitung" prophezeit, ohne politisches Eingreifen drohe in diesem Jahrzehnt bei den Kassen ein Beitragsanstieg auf 20 Prozent.
Der Bund der Steuerzahler hat ausgerechnet, dass im Jahr 2024 ein durchschnittlicher Arbeitnehmer-Haushalt in Deutschland 52,6 Prozent seines Einkommens an den Staat gezahlt hat. Von einem Euro an Arbeitseinkommen bleiben demnach 47,4 Cent übrig. 31,7 Cent entfallen auf Sozialabgaben, der Rest auf Steuern und Umlagen.
SPD, CSU und FDP: Kein Griff in die Altersvorsorge der Bürger
Gesundheitsminister Karl Lauterbach reagierte mit einem Gegenvorschlag. "Bevor wir bei GKV Versicherten auch noch die Rücklagen für das Alter mit Beiträgen belasten, sollten wir privat Versicherte an Solidarität beteiligen", schrieb der SPD-Politiker auf der Plattform X. "Sie zahlen für Familien, Arbeitslose, Geringverdiener, Menschen mit Behinderung nicht mit. Das ist falsch."
Aus der CSU kam deutliche Kritik: "Die Grünen wollen nicht nur höhere Steuern. Jetzt wollen sie auch noch ans Sparguthaben der Menschen und ihre Erträge ran", sagte Parteichef Markus Söder der Deutschen Presse-Agentur. "Das lehnen wir grundlegend ab." Auf schon einmal versteuertes Geld dürfe nichts mehr erhoben werden.
Wen würde es betreffen?
FDP-Chef Christian Lindner warnte vor einem "Abkassieren der Mittelschicht in Deutschland". Habeck nehme damit auch eine weitere Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland in Kauf, sagte Lindner den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.
Der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann rechnete vor, dieser "große Habeck-Klau" könne sogar für kleine Sparraten sechsstellige Minderungen ihrer Erträge bedeuten. "Das halte ich für verantwortungslos." SdK-Vorstandschef Daniel Bauer sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Millionäre und Milliardäre würde dies nicht treffen, da die Krankenversicherungsbeiträge eben durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt sind."
Grüne: "Großzügige Freibeträge" angedacht
Grünen-Wahlkampfleiter Andreas Audretsch sagte: "Es ist ungerecht, wenn eine Alleinerziehende in Teilzeit oder ein Polizist mehr zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung beiträgt als jemand, der sehr viel Geld im Aktienhandel verdient." Auch für Unternehmen sei es gut, wenn wir die Beitragssätze so gering wie möglich halten, sagte er.
Grünen-Chef Felix Banaszak betonte, es gehe um mehr Gerechtigkeit. "Es geht hier nicht um den Kleinsparer. Für Kleinsparer ändert sich nichts." Dafür sollten "sehr großzügige Freibeträge" sorgen. Zahlen nannte Banaszak nicht.
Anders als bei den Sozialbeiträgen werden in Deutschland Kapitalerträge bei der Festsetzung der Einkommenssteuer bereits berücksichtigt. Sie werden gemäß Kapitalertragsteuer mit 25 Prozent plus Solidaritätszuschlag versteuert - über einem Freibetrag von 1.000 Euro.
Hohe Sozialabgaben - Weniger Ungleichheit
Im Fokus des Bundestagswahlkampfs steht bisher vor allem, wie die Wirtschaftsflaute und diverse Belastungen in Deutschland eingedämmt werden könnten. So hatte AfD-Chefin Alice Weidel kürzlich gesagt, der "normale deutsche Arbeitnehmer" arbeite mindestens zur Hälfte für den Staat. Tatsächlich wird seit Jahren kontrovers debattiert, wie die Milliardenkosten, die für die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland anfallen, auf Beschäftigte und Arbeitgeber verteilt werden sollen.
Forscher haben festgestellt, dass in Staaten mit höheren Sozialausgaben eine geringe Kluft zwischen dem reichen Bevölkerungsanteil und Menschen mit durchschnittlichem Vermögen besteht. Der aktuelle Verteilungsreport 2024 des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt den Zusammenhang: Der Vermögensanteil der in Bezug auf das Einkommen unteren Hälfte der Bevölkerung ist demnach in den Staaten deutlich höher, in denen auch die "Sozialschutzausgaben pro Einwohner" höher liegen.
Sozialverband: Kleine Sparguthaben sollen frei bleiben
In Deutschland hatten die meisten der 94 gesetzlichen Krankenkassen zu Jahresbeginn ihren Zusatzbeitrag kräftig auf im Schnitt 2,91 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens angehoben. Dieser kommt auf den allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns obendrauf. Vor diesem Hintergrund gab die SoVD-Vorsitzende Michaela Engelmeier Habeck Rückendeckung.
Für die Finanzierung der Krankenkassen müssten auch andere Einkünfte als heute einbezogen werden, sagte Engelmeier der Funke Mediengruppe. "Aber: Dabei muss darauf geachtet werden, dass etwa Einkünfte aus kleinen Sparguthaben beitragsfrei bleiben." Insbesondere die zuletzt immer stärker gestiegenen Zusatzbeiträge belasteten niedrige und mittlere Einkommen stark, sagte Engelmeier. Kassenbeiträge auf Kapitalgewinne wären dagegen solidarisch.
Und was sagen die Krankenkassen?
Verhalten zeigten sich die Krankenkassen. "Die Frage, welche Einkunftsarten für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, die immerhin 90 Prozent der Bevölkerung versichert und versorgt, herangezogen werden, erfordert eine gesellschaftspolitische Antwort", sagte Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, der dpa.
Von Andrea Thomas
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