Sucht die EZB nach Argumenten für eine Fortsetzung ihrer Nullzinspolitik?
Die offiziellen Zahlen bilden die tatsächliche Arbeitsmarktsituation laut einer EZB-Studie nur unzureichend ab. Dies könnte auch Auswirkungen auf die Geldpolitik haben.
Insbesondere in Deutschland wartet man gespannt darauf, dass Mario Draghi endlich die Zinswende einleitet. Durch eine neue Studie der Europäischen Zentralbank könnte diese jedoch in weite Ferne rücken.
Europas Arbeitsmarkt schwächer als gedacht
Im vergangenen Jahr hat sich die Arbeitslosenrate in 23 von 28 EU-Staaten reduziert. Und seit Mitte 2013 wurden knapp fünf Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen - und damit der Abbau während der Finanzkrise kompensiert.
Doch was nach einer guten Bilanz aussieht, wird nun angezweifelt: Nach dem Ökonomie-Lehrbuch sollte eine Verbesserung der Beschäftigungssituation eigentlich dazu führen, dass die Löhne stärker steigen. Tatsächlich haben die Löhne laut einem Forschungspapier der EZB jedoch kaum zugelegt, was ein Hinweis auf anhaltende Probleme sein könnte.
Die Ursache hierfür scheint nun in der angewandten Methodik bei der Berechnung der Arbeitslosenquote gefunden zu sein: Die offiziellen Arbeitslosenzahlen des europäischen Statistikamtes Eurostat beziehen sich nämlich nur auf solche Erwerbslosen, die auch aktiv nach Arbeit suchen und innerhalb von zwei Wochen eine neue Stelle antreten können. Damit werden beispielsweise entmutigte Arbeitslose, die sich nicht mehr um eine Stelle bemühten, nicht mehr eingerechnet. Unberücksichtigt bleiben auch Teilzeitbeschäftigte, die gerne mehr arbeiten würden. Bei näherer Betrachtung liegt das Arbeitskräfteangebot also weiterhin deutlich über der Nachfrage. Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Gehaltsverhandlungen.
Laut den EZB-Experten belief sich die Unterauslastung auf dem Arbeitsmarkt einschließlich solcher Personengruppen Ende 2016 auf rund 15 Prozent. Das ist deutlich mehr als die offizielle Arbeitslosenquote für die Eurozone von 9,5 Prozent.
Weiterhin lockere Geldpolitik?
Um die Wirtschaft anzukurbeln hat die EZB unter ihrem Präsidenten Mario Draghi den Leitzinssatz, zu dem sich Banken kurzfristig Geld leihen können, auf null Prozent reduziert. Diese Maßnahme stößt zunehmend auf Kritik, insbesondere, nachdem die Inflation in der Eurozone im Februar auf den höchsten Stand seit vier Jahren geklettert ist.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sah zuletzt schon Anzeichen für ein Ende der Niedrigzinspolitik. Bei der EZB scheint man jedoch den umstrittenen Kurs fortsetzen zu wollen. Dafür spricht jedenfalls die Veröffentlichung der neuen Studie, schließlich liefert sie die nötigen Argumente, um an der ultra-lockeren Geldpolitik festzuhalten.
Die EZB betont regelmäßig die Bedeutung der Lohnentwicklung für die Inflation. Dass sich die Löhne nur verhalten entwickeln, dürfte daher ein wichtiger Grund sein, warum die Währungshüter an ihrer sehr expansiven Geldpolitik festhalten und bisher auch noch keinen Ausstieg signalisiert haben.
Redaktion finanzen.net
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