Geldpolitik vor Wende?

Zinsentscheid erfolgt: EZB senkt Leitzins - Geldpolitik nicht mehr restriktiv

06.03.25 18:06 Uhr

Zinsentscheid in Europa: EZB senkt Leitzins - Geldpolitik nicht mehr restriktiv | finanzen.net

Am Donnerstagmittag hat die Europäische Zentralbank (EZB) eine Entscheidung zum Leitzins getroffen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag die Leitzinsen für die Eurozone um 25 Basispunkte gesenkt. Der maßgebliche Einlagenzinssatz beträgt nun 2,5 Prozent, nach zuvor 2,75 Prozent. Der Schritt war am Markt allgemein erwartet worden. Es handelt es sich bereits um die fünfte Zinssenkung im Euroraum in Folge. Der Geldpolitik dürfte nun jedoch eine Wende bevorstehen.

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Experten: Zinssenkung in Zukunft wohl nicht mehr alle sechs Wochen

Analysten hatten laut "Dow Jones Newswires" bereits im Vorfeld der heutigen Zinsentscheidung registriert, dass die Auseinandersetzung zwischen Falken und Tauben innerhalb des EZB-Direktoriums an Schärfe gewonnen hat, wovon Reden von Isabel Schnabel und Piero Cipollone zeugten. Das jüngst veröffentlichte Protokoll der EZB-Ratssitzung vom 29./30. Januar zeigte überdies, dass schon damals ein unveränderter Leitzins als "Alternative" eine Rolle spielte.

Die EZB dürfte laut Analysten zwar auch in Zukunft an ihrer Methode festhalten, von Meeting zu Meeting über den Zins zu entscheiden und sich dabei am Inflationsausblick, der Dynamik der unterliegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission orientieren, aber viele Experten erwarten von nun an eine vorsichtigere Gangart bei den Zinssenkungen.

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Das dürfte sich auch in der Kommunikation der EZB niederschlagen, etwa dadurch, dass das Niveau der Leitzinsen nicht mehr als restriktiv bezeichnet wird, oder dass von einer Annäherung an das neutrale Niveau gesprochen wird.

EZB erwartet langsameren Rückgang der Inflation

Trübere Konjunkturaussichten für den Euroraum: Die Europäische Zentralbank (EZB) traut der Wirtschaft im Währungsraum im laufenden Jahr nur noch 0,9 Prozent Wachstum zu. Im Dezember hatten die Notenbank ihre Erwartungen bereits um 0,2 Prozentpunkte auf 1,1 Prozent heruntergesetzt.

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Für 2026 erwartet die EZB nun einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in den 20 Staaten mit der Gemeinschaftswährung um 1,2 Prozent. Im Dezember war die Prognose mit 1,4 Prozent noch optimistischer. Für 2027 sagt die Notenbank 1,3 Prozent Wachstum voraus.

Die Teuerung im Euroraum wird nach Einschätzung der Notenbank langsamer zurückgehen als zuletzt erwartet. Für das laufende Jahr rechnet die EZB mit einer Inflationsrate von 2,3 Prozent, im Dezember hatte die Notenbank noch 2,1 Prozent vorhergesagt.

Für 2026 erwartet die EZB unverändert einen durchschnittlichen Anstieg der Verbraucherpreise im Euroraum um 1,9 Prozent. Für 2027 sagt die Notenbank eine Jahresinflation von 2,0 Prozent voraus.

Wichtigste Aufgabe der EZB ist es, für einen stabilen Euro zu sorgen und so die Kaufkraft der Menschen zu erhalten. Erreicht sieht die Zentralbank ihr Ziel stabiler Preise mittelfristig bei einer Teuerungsrate von 2,0 Prozent im Euroraum.

Lagarde: Fiskalpläne sind wachstumsstützend

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) betrachtet die fiskalischen Pläne auf EU-Ebene und in Deutschland potenziell als wachstumsstützend. Im Rat sei man sich einig gewesen, dass sie das Wachstum in Europa stützen würde. Allerdings müsse man erst sehen, wie sich die Dinge weiterentwickelten und wie die Auswirkungen für den Inflationsausblick seien, sagte Lagarde in der Pressekonferenz nach der jüngsten EZB-Ratssitzung.

Zuvor hatte der EZB-Rat erwartungsgemäß beschlossen, die Leitzinsen um 25 Basispunkte zu senken und den Abbau der Anleihebestände wie geplant fortzusetzen. Explizite Aussagen zum weiteren Zinskurs machte das Gremium nicht. Es will seine Geldpolitik weiterhin von Sitzung zu Sitzung festlegen und sich dabei an den aktuellsten Daten orientieren. Es betrachtet seine Geldpolitik als weniger restriktiv als zuvor.

Lagarde: EZB-Zinspause im April möglich

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) könnte nach den Worten von EZB-Präsidentin Christine Lagarde im April eine Zinspause einlegen. "Wenn die Daten für eine Zinssenkung sprechen, werden wir senken, wenn sie für eine Zinspause sprechen, werden wir pausieren", sagte Lagarde in der Pressekonferenz nach der jüngsten EZB-Ratssitzung auf die Frage, ob die Richtung des Zinskurses noch klar sei. Die EZB werde sehr aufmerksam sein und "agil" auf die Daten reagieren.

Ökonomen-Stimmen zu geldpolitischen Entscheidungen der EZB

Die Leitzinsen im Euroraum sinken zum sechsten Mal seit Sommer 2024. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den für Banken und Sparer wichtigen Einlagensatz um 0,25 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent verringert, wie die Notenbank am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Die Bekämpfung der Inflation komme gut voran, heißt es in der Mitteilung. EZB-Präsidentin Christin Lagarde bekräftigte frühere Aussagen, dass künftige Zinsentscheidungen von der weiteren Entwicklung der Konjunkturdaten abhängig seien. Es gebe keinen festgelegten Fahrplan für die weitere Geldpolitik.

Einschätzungen von Ökonomen zu den geldpolitischen Entscheidungen im Überblick:

Mark Wall, Chefvolkswirt Deutsche Bank

"Die EZB befindet sich in einer schwierigen Lage. Auf der einen Seite die Drohung von US-Zöllen in naher Zukunft, die weitere Leitzinssenkungen rechtfertigen könnten. Auf der anderen Seite die Verpflichtung, in den nächsten Jahren höhere Verteidigungsausgaben zu tätigen, die zur Sicherung der strategischen Autonomie Europas erforderlich sein werden. Dieses Umfeld erfordert eine geschickte Handhabung der Geldpolitik."

Michael Heise, Chefökonom bei HQ Trust

"Die Notenbank rechnet damit, den Zielwert von zwei Prozent schon am Ende des Jahres zu erreichen, nachdem die Inflationsrate in den vergangenen vier Monaten darüber lag. Risiken für diese Prognose gibt es gleich mehrere: Etwa die bis zuletzt recht stark steigenden Lohn- und Lohnnebenkosten, die mit einer Verzögerung in die Preise überwälzt werden dürften. Zudem werden die immens großen, schuldenfinanzierten Ausgabenprogramme für die Verteidigung und die Infrastruktur in Deutschland zusammen mit lockereren Verschuldungsregeln EU-weit die Nachfrage in stark ausgelasteten Branchen erhöhen und preissteigernd wirken. (...) Eine weitere Lockerung der Geldpolitik im April dürfte angesichts der Preisrisiken nicht angemessen sein. Es ist mit einer Zinssenkungspause zu rechnen."

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank

"Die EZB bereitet die Finanzmärkte auf eine Pause vor. Möglicherweise wird dies bereits auf der nächsten Zinssitzung im April der Fall sein. Aus unserer Sicht werden die europäischen Währungshüter aber im weiteren Jahresverlauf die Zinsen fortgesetzt senken. Ein Einlagensatz von 2% bleibt realistisch. Weitere geldpolitische Lockerungen werden fallende Inflationsraten ermöglichen. Es kommt zu Basiseffekten im Bereich von Dienstleistungspreisen. Von den geplanten historisch hohen Ausgaben der potenziellen neuen Bundesregierung gehen zunächst keine Inflationsgefahren aus."

Claus Vistesen, Chefvolkswirt Eurozone bei Pantheon Macroeconomics

"Wir gehen immer noch von einer Pause im April aus. Allerdings räumen wir ein, dass dieses Treffen nun völlig offen ist und von den Maßnahmen des Weißen Hauses abhängt, die unvorhersehbar sind. (...) Die Wahrscheinlichkeit, dass die heutige Senkung die letzte ist, ist gestiegen."

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt bei der ING Bank

"Angesichts der zunehmenden Unsicherheit und der Aussicht auf umfangreiche fiskalische Anreize ist die Marschrichtung der EZB nach der heutigen Zinssenkung nicht mehr so klar wie noch vor einigen Wochen. Eine Pause bei der nächsten Sitzung, um sich mit der neuen makroökonomischen Realität abzufinden, scheint nun möglich. Doch auch wenn die Notwendigkeit weiterer Zinssenkungen allmählich schwindet, ist die EZB noch nicht aus dem Schneider. Steigende Anleiherenditen aufgrund höherer Staatsverschuldung könnten der Eurozone bald ein weiteres Thema bescheren: die Kontrolle der Zinskurve."

Jens-Oliver Niklasch, Analyst Landesbank Baden-Württemberg

"Es läuft eigentlich weiterhin darauf hinaus, dass die EZB weiterhin datenabhängig und von Meeting zu Meeting entscheidet. Vermutlich wird sie auch mal eine Zinspause einlegen. (...) Beim nächsten Treffen wird der EZB-Rat schon wieder klüger sein, aber wir glauben erst für den Juni an die nächste Senkung um 0,25 Prozentpunkte. Im April wird die EZB pausieren."

Redaktion finanzen.net / Dow Jones Newswires / (dpa-AFX)

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