DIPS-Kolumne

Zinsniveau – Quo Vadis?

14.06.12 09:38 Uhr

Zinsniveau – Quo Vadis? | finanzen.net

Die aktuelle Lage am deutschen Zinsmarkt ist prekär und wird von mehreren Faktoren beeinflusst.

Griechenland steht kurz vor der entscheidenden Wahl in Bezug auf den Verbleib im Euro, Spanien hat Hilfe für sein marodes Bankensystem beantragt und der nachhaltig niedrige Zins der EZB sowie die beiden durchgeführten Dreijahrestender führen zu einer nie geahnten Kapitalflut im europäischen Bankensektor.

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Von Dr. Svend Reuse, Fachbeirat DIPS, Abteilungsleiter Controlling, Sparkasse Mülheim

Dies müsste sich eigentlich auf die Inflation und das Zinsniveau in Deutschland auswirken. Dies ist aber mitnichten der Fall. Die entsprechenden Entwicklungen zeigt Abbildung 1, welche den EZB Leitzins, die Rendite 10jähriger Bundesanleihen und die p.a. Veränderung des Verbraucherindex einander gegenüberstellt. Die Differenz aus der Rendite der Bundeswertpapiere und der Steigerung der Verbraucherpreise wird an dieser Stelle vereinfacht als Realzins tituliert.

Abbildung 1: Zinsen, Inflation und Realzins seit 01.1999 (Quelle: Datenreihen der Bundesbank)

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Die Ergebnisse sind aufschlussreich: Nicht der nur der EZB Zins, sondern auch der Zinssatz von 10-jährigen Bundesanleihen ist seit Ausbruch der Finanzmarktkrise im September 2008 im freien Fall. Die Entwicklung der Verbraucherpreise ist hingegen nicht ganz eindeutig. Partiell herrschte in 2009 sogar Deflation vor, ein Anstieg der Teuerungsrate auf knapp 3% in 2011 stellt das Maximum der Entwicklung dar. Dies zeigt auch die Entwicklung der Realzinsen: Die Renditen der Bundesanleihen sinken überproportional zur Inflation – seit Mitte 2011 liegen negative Realzinsen für den Bund vor, eine elegante Möglichkeit, sich über schleichenden Werteverfall der Verbindlichkeiten zu entschulden.

Doch wie ist diese Entwicklung zu erklären? Zum einen springt die Inflation trotz der hohen Geldmenge nicht an. Dies liegt darin begründet, dass viele Banken ihr Geld bei der EZB „parken“ und es somit nicht dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung stellen. Dies ist für die EZB zurzeit ein lukratives Geschäft, das sie aus der Differenz zwischen Einlage- und Ausleihzins (0,75%) profitiert. Das Ziel der Banken- und damit auch Staatsfinanzierung wird hierdurch jedoch bestenfalls bedingt erreicht. Zum anderen sinken die Zinsen für deutsche Staatsanleihen aufgrund des hohen Nachfrageüberhanges an deutschen Anleihen. Anleger suchen vermeintlich „sichere Häfen“. Hier bietet sich die Bundesrepublik als „geringstes Übel“ an. Kaum eine andere Anlage gilt als ähnlich risikolos, zumal die Wirtschaft in Deutschland – zumindest bis vor kurzem – als Wachstumsmotor Europas gelten konnte. Der gesunkene Kapitaldienst ist jedoch primär durch die signifikant niedrigen Zinsen zu erklären – auch in Deutschland steigen die Staatsschulden stetig und die Haushaltsprobleme in einigen Bundesländern und Kommunen sind nicht von der Hand zu weisen.

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Folglich sind die Nominalzinsen in Deutschland historisch niedrig und die Inflation vergleichsweise gering. Die aktuelle Staatschuldenkrise – als solche muss man sie bezeichnen – wird aus Sicht des Autors auf absehbare Zeit nicht zu einer Erhöhung des Leitzinses führen. Auch steigende Renditen deutscher Bundesanleihen sind nicht anzunehmen – die hohe, nicht dem Wirtschaftskreislauf zugeführte Geldmenge muss irgendwo risikolos angelegt werden.

Solange die Märkte das Vertrauen in die Bonität Deutschlands nicht verlieren, wird das Zinsniveau auf einem nachhaltig niedrigen Niveau verweilen. Die seit mehr als 10 Jahren erstmals auftretenden negativen Realzinsen untermauern diese eigentlich irrationale Entwicklung. Zudem ist eine Flucht in Sachwerte – Immobilien, Gold und im weitesten Sinne auch Aktien – festzustellen. Gerade die Aktienindizes sind ein klares Beispiel: trotz der größten Krise der letzten Jahrzehnte ist ein DAX Stand von um 6.000 Punkten festzustellen – ein erneuter Beweis dafür, dass die im Markt vorhandene Geldmenge investiert werden muss.

Für Investoren bedeutet dies, dass sie mit einer Seitwärtsbewegung des Zinsmarktes, ggf. sogar mit Schwankungen nach unten rechnen müssen. Im Gegenzug steigen die Preise für (kreditfinanzierte) Immobilien an. Die nachhaltig niedrigen Zinsen auch am Baufinanzierungsmarkt haben bereits dazu geführt, dass die Preise in den bevorzugten Wohngegenden gestiegen sind und die Kreditfinanzierungsvorteile für private Käufer von Immobilien überkompensieren.

Für steigende Zinsen spricht derzeit wenig. Erst wenn sich die die Lage an den Märkten entspannt, wenn mehr Kapital wieder in risikoreichere Assetklassen fließt, wird eine Erhöhung des Zinsniveaus auch in Deutschland möglich sein. Dieses Szenario ist gleichbedeutend mit der nachhaltigen Rettung des Euros in seiner jetzigen Form und der Beruhigung der Märkte – etwas, was seit ca. 4 Jahren versucht wird und politisch wie auch wirtschaftlich eine komplexe Aufgabe darstellt. In diesem Kontext sind auch Eurobonds als Unsicherheitsfaktor in der Zinsprognose zu nennen. Sollte es im Rahmen einer gemeinsamen Fiskalpolitik hierzu kommen, kann dies – je nach Ausgestaltung der gemeinsamen Bonds – zu weiteren Verwerfungen bei den Renditen deutscher Staatsanleihen führen.

Das dips Deutsches Institut für Portfolio-Strategien ist die finanzwirtschaftliche Forschungseinrichtung der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in Essen. Im Fokus der wissenschaftlichen Arbeit stehen praxisrelevante Problemstellungen des Portfolio-Managements sowie optimierte Index-Konzepte.
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