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Hebelpapiere: Weder Hexenwerk noch Teufelszeug!

10.11.17 03:00 Uhr

Hebelpapiere: Weder Hexenwerk noch Teufelszeug! | finanzen.net

Hebelpapiere sind nichts für schwache ­Nerven - es drohen empfindliche Verluste bis hin zum Totalausfall. Auf Anleger, die bereit sind, das Risiko ­einzugehen, warten jedoch hohe Renditen.

von Astrid Zehbe, Euro am Sonntag

Aktien, Anleihen, Fonds- anteile und womöglich etwas Gold - ausgewogen und eher defensiv, so dürfte das Portfolio der meisten Anleger hierzulande aussehen. An spekulativere Finanzinstrumente wie Optionsscheine oder auch Knock-out-­Zertifikate trauen sich hingegen nur ­wenige. Zu undurchschaubar scheinen die Anlagevehikel, zu unüberschaubar die Risiken.



Tatsächlich liegen Chance und Risiko bei Derivaten nah beieinander. Die Gefahr hoher Verluste bis hin zum Totalausfall ist deutlich höher als bei anderen Anlageklassen. Für viele sind solche Investments darum gleichbedeutend mit dem Gang ins Casino. Zu Unrecht: Wer Verluste notfalls verschmerzen kann, nicht allzu gierig ist und ein geschicktes Timing an den Tag legt, kann mit kurzfristigen Trades auf dem Derivatemarkt die Gesamtrendite seines Portfolios erhöhen.

Kleiner Einsatz mit Wirkung

Ihren Ursprung haben diese häufig als Zockerpapiere verschrieenen Wertpapiere ausgerechnet in der defensiven Portfoliostrategie. Weil man mit ­ihnen nicht nur auf steigende (long), sondern auch auf fallende Kurse (short) setzen kann, lassen sie sich zur Absicherung des Depots gegen Marktrisiken verwenden. Dies funktioniert dank eines Hebels mit einem relativ geringen Einsatz. Kommt es an den Märkten zu Korrekturen, legen Short-Hebelpapiere überproportional stark zu und gleichen auf diese Weise die Verluste des Basiswerts - beispielsweise Einbußen des DAX - aus.

Umgemünzte Versicherung

Vor allem institutionelle Anleger nutzen diese Hebelprodukte wie eine Versicherung: Bei fallenden Märkten lassen sich mit ihnen die Verluste begrenzen, bei steigenden Märkten verfällt im schlimmsten Fall das Papier. Dies wird - wie bei Versicherungsprämien auch - in Kauf genommen. Schließlich bedeutet es im Umkehrschluss, dass der mit dem Derivat abgesicherte Basiswert zugelegt hat.

Für Privatanleger sind die Papiere aus anderen Gründen reizvoll. Zwar nutzt einer Umfrage des Deutschen Derivate Verbands zufolge rund ein Fünftel der Käufer diese Wertpapiere ebenfalls zur Depotabsicherung, knapp zwei Drittel der Anleger lockt jedoch vor allem eins: die hohe Rendite. Weil die Investoren lediglich einen Teil des Gesamteinsatzes selber tragen müssen und den Rest vom Emittenten gegen eine Gebühr quasi als Kredit erhalten, entsteht der Hebel, der die Produkte so lukrativ und gefährlich zugleich macht.



Denn er wirkt in beide Richtungen: Kauft ein Anleger beispielsweise ein Long-Zertifikat auf den DAX mit einem Hebel von fünf, würde das Papier um 50 Prozent steigen, wenn der DAX zehn Prozent zulegt. Fällt der DAX hingegen um zehn Prozent, wäre das Zertifikat nur noch die Hälfte wert. Fällt der DAX um 20 Prozent, wäre das Papier 100 Prozent im Minus und der Anleger müsste theoretisch Geld nachschießen, um weiter dabei zu sein. An diesem Punkt existiert darum eine Art Reißleine, die Knock-out-Schwelle, bei der das Zertifikat verfällt und das eingesetzte Kapital verloren ist.

Eine Frage des Hebels

Das Risiko hoher Verluste bis hin zum möglichen Totalausfall sollte für Investoren Motivation genug sein, diese Knock-out-Schwelle bei der Produktauswahl fest im Blick zu haben - trotz eines womöglich großen Hebels. Denn grundsätzlich gilt: Je näher die Knock-out-Barriere rückt, um so größer wird der Hebel, was wiederum die Rendite­chancen erhöht. Berechnen lässt sich dies über eine einfache Formel.

Vor diesem Hintergrund ist es ratsam, lieber auf einen Teil der Rendite zu verzichten und einen ausreichenden Abstand zur Knock-out-Barriere zu wählen. Wer einen möglichen Totalverlust verhindern will, kann gegebenenfalls auch eine Stop-Loss-Order einrichten, die rechtzeitig vor Erreichen der Knock-out-Schwelle greift.

Eine Frage der Laufzeit

Anleger müssen sich zudem entscheiden, ob sie auf endlos laufende Papiere setzen wollen oder auf solche mit einem festgelegten Laufzeitende. Hebel­papiere ohne eine Laufzeitbeschränkung - oft auch als Open-End-­Hebelzertifikate bezeichnet - haben den Vorteil, dass man als Anleger den Ausstiegszeitpunkt je nach Marktlage selbst bestimmen kann und so die Chance hat, eine höhere Rendite einzufahren.

Der Nachteil ist jedoch, dass die Emittenten der Papiere regelmäßig die Knock-out-Barriere nachziehen. Wer dies vergisst, dem droht ein böses Erwachen, beispielsweise weil bei einem seitwärts laufenden Markt die Schwelle immer näher rückt. Hebelpapiere mit Laufzeit­ende bergen dieses Risiko nicht. Dafür drohen Verluste, wenn das Zertifikat in einer Schwäche­phase des Basiswerts ausläuft und dadurch unterhalb des Kaufpreises notiert.

Ganz oder gar nicht

Eine besondere Variante solcher Produkte mit Laufzeitende sind Inline-Optionsscheine. Besitzer dieser Papiere wetten darauf, dass sich der Kurs eines ­Basiswerts innerhalb eines bestimmten Zeitraums in einem festgelegten Korridor bewegt. Wird weder die untere noch die obere Barriere bis zum Laufzeit­ende des Inliners berührt, erhalten Anleger zehn Euro pro Schein ausgezahlt. Berührt der Basiswert eine der Schwellen, verliert der Anleger sein eingesetztes Kapital.

Aufgrund ihrer Funktionsweise lassen sich die Papiere ebenfalls zu den Hebelprodukten zählen. Ein großer Vorteil ist, dass die mögliche Rendite anhand des Preises des Papiers schon beim Kauf feststeht. Kostet ein Schein beispielsweise fünf Euro, beträgt die mögliche Rendite 100 Prozent. Zudem lässt sich anhand des Kaufpreises sehr gut das Risiko einschätzen. Notiert ein Schein beispielsweise zwei Wochen vor Laufzeit­ende deutlich unter zehn Euro, deutet dies darauf hin, dass viele Marktteilnehmer davon ausgehen, dass eine der Barrieren womöglich gerissen wird. Unabhängig davon gilt bei Inlinern: je kürzer die Laufzeit, umso besser - auch wenn dies zulasten der Rendite geht. Ein Zeitraum von nur wenigen Wochen lässt sich besser überschauen als mehrere Monate.

Bloß kein Übermut

Anleger, die sich erstmals aufs Derivateparkett begeben, sind gut beraten, sich zunächst - etwa mithilfe eines virtuellen Depots bei einer Direktbank - mit dem Markt vertraut zu machen. So bekommen sie ein Gefühl dafür, wie die Produkte reagieren.

Zudem ist es wichtig, die erheblichen Verlustrisiken auch nach ersten Erfolgen nicht aus den Augen zu verlieren. Viele Anleger agieren lediglich mit etwas Spielgeld auf diesem Markt. Tradingerfolge sehen sie als Krönung des langfristig ausgerichteten Portfolios aus Aktien, Anleihen, Fondsanteilen und womöglich etwas Gold.

Investor-Info

Hebelprodukte
Chance und Risiko

Hebelprodukte ermöglichen Anlegern eine überproportional starke Partizipation an ­steigenden und fallenden Kursen eines Basiswerts, also etwa Aktien, Indizes, Rohstoffe oder Währungen. Zu den Hebelprodukten ­gehören vor allem zwei Arten von derivativen Wertpapieren: Optionsscheine und Knock-out-­Zertifikate. Sie unterscheiden sich unter anderem in der Preisbildung: Während diese bei Optionsscheinen wegen Einflussfaktoren wie Volatilität schwer nachzuvollziehen ist, sind Knock-out-Zertifikate transparenter. ­Beiden Arten gemein sind das Risiko eines Total­verlusts und die Chance auf hohe Renditen.

Knock-Out-Zertifikat
Auf Yen-Schwäche setzen

Die Bank of Japan hält an ihrer sehr lockeren Geldpolitik fest, während die US-Notenbank ihren Leitzins im Dezember abermals erhöhen dürfte. Das sollte für eine weitere Aufwertung des Dollar zum Yen sorgen. Mit einem endlos laufenden Knock-out-Zertifikat der Commerzbank (ISIN: DE 000 CD8 G3B 2) können Anleger davon profitieren. Gewinnt der Dollar, legt das Papier mit einem Hebel von circa neun zu. Von der Knock-out-Schwelle bei 101,1742 Yen ist der Wechselkurs derzeit elf Prozent entfernt.

Inline-Optionsschein
Silberner Korridor

Der Silberpreis schwankte in den vergangenen zwölf Monaten zwischen rund 15,50 und 18,50 Dollar. Ein Inline-Optionsschein der Deutschen Bank (ISIN: DE 000 DM8 CFQ 4) mit den beiden Werten als Unter- und Obergrenze kostet rund neun Euro. Werden diese beiden Barrieren bis 1. Dezember 2017 nicht berührt, winken zehn Prozent Rendite. Wird eine der beiden Barrieren berührt, verfällt der Schein sofort wertlos.

Bildquellen: Tatiana Popova / Shutterstock.com, INDRANIL MUKHERJEE/AFP/Getty Images