Deutsche Anleger lieben Verlierer
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Der Unterschied zwischen Anleger in Deutschland und den USA könnte kaum größer sein. Die Deutschen kaufen gerne Verlierer, die Amerikaner mögen Gewinner.
In den Wochen nach dem großen Börsencrash im März haben Anleger beherzt Aktien gekauft. In Europa rannten private Anleger dem Broker eToro sprichwörtlich die Bude ein, in den USA etablierte sich das Phänomen Robinhood in Windeseile. Doch bei dem, was Anleger kaufen, bestehen erhebliche Unterschiede. Natürlich wird in den USA gezockt, da setzten private Neulinge auf Titel wie Hertz und lassen die Aktie emporschnellen, ehe sie in sich zusammenfällt. Beim Investieren dominieren aber Gewinnertitel wie Amazon, Apple, Paypal oder Tesla. Die Deutschen dagegen kauften ab März vor allem eine Aktie - Wirecard. Dabei gab es Qualität in großer Breite im Sonderangebot. Ob Infineon, Nvidia, Allianz, Delivery Hero oder Beyond Meat und DeLonghi - über alle möglichen Branchen war viel zu holen. Doch es musste primär Wirecard sein. Dicht dahinter kamen Titel wie Lufthansa oder Thyssen, auch nicht gerade die Verfechter neuer Technologie nach Corona. Daraus muss man als Anleger lernen und wir setzen dies im Börsendienst ebenso wie an unseren Trainingstagen um. Denn Anlegerfehler kann man machen, aber man sollte aus ihnen lernen.
Wichtig ist dabei auch, bei umstrittenen Aktien nicht auf vermeintlich totsichere Einschätzungen zu vertrauen und dann eine Aktie überproportional ins Portfolio zu nehmen. Wirecard war bei vielen Anleger ab März noch einmal mehr gewichtet, übergewichtet. Leider hatten die privaten Anleger ein schlechtes Vorbild - die DWS. Als dankbare und unsichtbare Helfer beim Wirecard-Hype fungierten auch der Wirtschaftsprüfer EY, mitunter die Finanzaufsicht, aber auch viele sogenannte Sell-Side-Analysten. Jene Analysten, von denen man gerne tolle Kursziele liest, die sich aber oft im Marketing-Stil zu einer Aktie äußern. Bei Wirecard schwammen sehr viele auf der Euphoriewelle ganz oben.
So hat sich auch die aktive Fondsbranche bei Wirecard in Grund und Boden blamiert. Allen voran die DWS, deren Starfondsmanager Tim Albrecht nach dem Debakel zu verschleiern versucht, dass er bei Wirecard noch aggressiver gezockt hat als viele so oft geschmähte Privatanleger. Die wiederum haben ihr Vertrauen in das relativ junge DAX-Unternehmen vielfach auf das große Bekenntnis der DWS und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY gestützt. Auch gegen EY behalten sich viele Adressen Klagen vor, doch moralisch ist der Schaden weitaus größer.
Vielen privaten Anlegern könnte man den Vorwurf machen, zu sehr auf Wirecard gesetzt zu haben. Die Aktie war verglichen zu ihrem Gewicht im DAX exorbitant hoch gehandelt bei Kleinanlegern, agierend dabei mit oder ohne Hebel. In vielen Depots lag sie mit einem Anteil von zehn Prozent oder mehr, bei Facebook besprachen Gruppen jahrelang nur diese einzige Aktie. Nun ist allerdings ein konstruktiver Ansatz gefragt und keine Häme jenen gegenüber, die mit Wirecard auf die Nase gefallen sind. Wer Markus Braun einmal persönlich erlebt hat und Wirecard lange verfolgt, hatte immer ein mieses Bauchgefühl. Bloß steht zwischen Bauchgefühl und Betrugsnachweis eine hohe Hürde und diese hätte auch erst 2021 oder weit später übersprungen werden können. Mit anderen Worten - niemand wusste genau, wann die Bombe platzt.
Jeder Anleger macht Fehler an der Börse, doch man kann aus ihnen lernen. Die Grundzüge eines sinnvollen Depotaufbaus haben viele Anleger nicht beachtet, doch man kann diese Unwucht korrigieren. In ein gut strukturiertes Depot gehören ganze Märkte und Regionen, Branchen und die sogenannten Trend-Märkte der Zukunft. Man kann sich ein solches Depot vorstellen wie die bekannte Ernährungspyramide. ETFs oder Indexzertifikate machen mit mindestens 50 Prozent die Basis des Depots aus.
Die andere Hälfte darf man durchaus zum großen Teil mit breit gestreuten Aktien oder Anlagezertifikaten bestücken. Nur die oberen zehn Prozent, in Ausnahmefällen etwas mehr, sollten zum puren Zocken mit Hebel genutzt werden. Und am Ende gilt für deutsche Anleger insbesondere, dass man seinen eigenen Bias bekämpfen muss und ihn kennen sollte. Jener Bias, mit dem man sich im Weg stehen kann und der einen manchmal eher zu den Verlierern als zu den Gewinnern führt.
Benjamin Feingold ist seit mehr als 20 Jahren Börsianer und langjähriger Redakteur bei Börse Online sowie bei der Financial Times Deutschland gewesen. Zusammen mit Daniel Saurenz gründete er 2013 das Investmentportal Feingold Research, das täglich Analysen und Investmentideen zur Börsenentwicklung veröffentlicht.
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