Stromversorgung

Atomausstieg: Boom bei Erdgas

30.05.11 06:00 Uhr

Atom war gestern. Die Zukunft gehört den er­neuerbaren ­Energien. Bis es so weit ist, wird die Nachfrage nach Erdgas enorm steigen. Wer davon profitiert.

von Sabine Gusbeth, Euro

Es war Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, der die Kardinalfrage stel­lte. Beim elfstündigen Sitzungsma­rathon der Ethikkommission zur Atomkraft nahm der Kirchenmann den Chef des Energiekonzerns Eon ins Gebet: „Was, wenn nicht die Atomkraft, kann die Brücke zu einer Stromversorgung mit erneuerbaren Energien sein?“, fragte er Johannes ­Teyssen, der als Sachverstän­diger geladen war. Dieser beichtete: „Es wird ganz massiv Erdgas sein.“

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Die 17-köpfige Ethikkommission, eingesetzt von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Atomunfall in Japan, wird bis Ende des Monats Empfehlungen für eine neue nationale Energiestrategie abgeben. Für die meisten Mitglieder des Gremiums ist unstrittig: Den erneuerbaren Energien gehört die Zukunft. Ebenso herrscht Konsens darüber, dass nicht von heute auf morgen komplett auf sie umgestiegen werden kann. Dazu fehlen sowohl die notwendigen Speicher, in denen Strom für windstille, bewölkte ­Tage gespeichert wird, als auch flexible Kraftwerke, die die schwankende Stromversorgung aus Erneuerbaren ausgleichen, und Stromleitungen, die den Wind­kraftstrom aus Norddeutschland in den Süden transportieren können.

Bis diese Infrastruktur gebaut ist, muss eine Übergangslösung gefunden werden. Die Brückentechnologie Atomkraft ist für die schwarz-gelbe Bundes­regierung nach dem GAU im japanischen Fukushima nicht mehr angesagt. Ein Ersatz muss her. Dieser soll folgende Eigenschaften erfüllen: Strom muss jederzeit verfügbar und dabei preiswert, sicher und umweltverträglich erzeugt werden.

Einfache Formel. „Das klingt nach der Quadratur des Kreises: Ist es aber nicht“, betont Rainer Seele, Chef der BASF-Tochter Wintershall. Die Lösung heiße Erdgas. Dass Seele zu dieser Einschätzung kommt, verwundert kaum. Schließlich ist Wintershall der größte deutsche Erdgasproduzent.

Die Bundesregierung jedenfalls folgt Seeles Argumentation und setzt auf Erdgas. Dies geht aus einem Sechs-Punkte-Papier von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) für einen schnelleren Ausstieg aus der Atomkraft hervor. Demnach sollen konventionelle Kraftwerke, also Kohle und Gas, die Ver­sor­gungs­­sicherheit und Netzstabilität in der Übergangsphase sichern. Insbesondere Gaskraftwerken kommt dabei „eine besondere Rolle zu“, heißt es in dem ­Strategiepapier.

Wintershall-Chef Seele hatte sich ohnehin „sehr gewundert“, dass Erdgas im alten Energiekonzept keine Rolle spielte. Denn Gaskraftwerke lassen sich schnell an- und ausschalten, sodass bei Wind­stille nicht plötzlich der Strom ausfällt. Gas kann vergleichsweise einfach gespeichert werden. Die nötige Infrastruktur, also Pipelines, durch die der Rohstoff in Deutschland verteilt werden kann, ist bereits vorhanden. Zudem entsteht bei der Verstromung von Gas nur halb so viel klimaschädliches CO2 als bei der Stromproduktion aus Kohle.

Zwar ist es bislang teurer, Strom aus Gas statt aus Kohle zu erzeugen, doch ­diese Rechnung gilt nur noch bis 2013. Ab dann müssen die Versorger für jede Tonne CO2, die sie ausstoßen, ein Verschmutzungsrecht kaufen (siehe hierzu auch Euro 10/2009).

Den Löwenanteil des deutschen Strom­bedarfs decken mit über 40 Prozent Kohlekraftwerke. Knapp ein Viertel kam bislang aus Atommeilern. Diese Menge soll nun aber so schnell wie möglich ersetzt werden. Erneuerbare Energien machen derzeit 17 Prozent aus. 14 Prozent des Stroms werden aus Gas gewonnen. Dieser Anteil wird in den kommenden Jahren ­enorm wachsen.

Dabei ist Deutschland jedoch auf Importe aus dem Ausland angewiesen. Erdgas aus Russland und Norwegen deckt heute je ein Drittel des deutschen Bedarfs. Auch die Niederlande sind ein wichtiger Lieferant. Nur etwa 14 Prozent des benötigten fossilen Energieträgers werden in Deutschland selbst gefördert. Hinzu kommt, dass die heimische Förderung seit Jahren zurückgeht.

Der größte Gasproduzent in Deutschland ist der US-Mineralölkonzern ExxonMobil. Er fördert über zwei Drittel der heimischen Produktion. Doch weil konventionelle Quellen zunehmend erschöpft sind, sucht er nach Alternativen: „Einen deutlich dreistelligen Millionenbetrag“, will Zentraleuropa-Chef Gernot Kalkoffen in die Erforschung unkonventioneller Vorkommen in Deutschland investieren.

Bei der konventionellen Förderung wird der Rohstoff in reinen Erdgasfeldern oder als Nebenprodukt bei der Förderung von Erdöl gewonnen. Dabei entweicht Erdgas praktisch von selbst. Als unkonventionelle Vorkommen bezeichnet man dagegen Gesteinsschich­ten, in denen sich eine Vielzahl kleiner Gasblasen befindet. Dieses kann extrahiert werden, indem der Boden horizontal durchbohrt wird. Anschließend werden Chemikalien und Wasser in den Boden gepresst, um das Gas zu fördern. Das Verfahren beansprucht große Flächen und ist umweltschädlicher als die konventionelle Förderung.

Vorreiter dieser Methode sind die USA: Dort wird inzwischen fast die Hälfte des Gasbedarfs aus unkonventionellen Quellen gespeist. Das Land hat damit Russland als größten Erdgasproduzen­ten der Welt abgelöst und verschifft den Rohstoff als Flüssiggas weltweit. Durch das höhere Angebot sind die Gaspreise weltweit gesunken.

Seit Kurzem suchen Gasfirmen, allen voran ExxonMobil, auch in Europa nach unkonventionellen Vorkommen. Allein in Deutschland werden riesige Mengen vermutet, insbesondere in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Doch in den dicht besiedelten Landstrichen stößt die Erschließung, anders als im Flächenstaat USA, bereits auf massiven Widerstand.

Noch ist ohnehin fraglich, ob sich die Förderung von unkonventionellem Gas in Deutschland überhaupt finanziell lohnt. Die Erforschung hat gerade erst begonnen. ExxonMobil rechnet im besten Fall damit, in fünf bis zehn Jahren hierzulande Gas aus Schiefergestein und Kohleflözen gewinnen zu können. Bei Eon Ruhrgas, Europas größtem Gashändler, glaubt man, dass dieses auf lange Sicht allenfalls „einen gewissen Beitrag zur Versorgungssicherheit in Europa leisten“ kann, wie Vorstandsmitglied Hans-Peter Floren es formuliert. Wintershall zeigt sich ebenfalls wenig euphorisch. Die zusätzlichen Gasmengen, die Deutschland künftig benötigt, müssen also durch Importe gedeckt werden.

Erfahren Sie auf der folgenden Seite, welche Firmen von einem Gasboom profitieren.

Wintershall der größte deutsche Erdgasproduzent
Von einer steigenden Nachfrage profitieren vor allem ausländische Produzenten, die konventionelles Gas fördern und über bestehende Leitungen nach Deutschland liefern können, allen voran der russische Staatskonzern Gazprom, aber auch der norwegische Energieriese Statoil und das staatliche niederländische Unternehmen Gasunie.

Schatzsuche im Ausland. Bei den deutschen Fördergesellschaften ge­hören jene zu den Gewinnern, die im Ausland in der konventionellen Gasförderung stark vertreten sind: der größte deutsche Gasproduzent Wintershall, aber auch Eon Ruhrgas und RWE Dea. Sie alle sind an Gasquellen in Russland, der Nordsee, Nordafrika oder dem Nahen Osten beteiligt und wollen ihr Engagement dort ausbauen.

Gas aus den USA spielt hingegen auf dem deutschen Markt kaum eine Rolle. Zum einen existiert in Deutschland kein Hafen mit LNG-Terminal, von dem aus Gas in das Pipeline-Netz eingespeist werden kann. Zum anderen liefern die USA dorthin, wo sie den höchsten Preis erzielen können. Aktuell ist das Japan, wo aufgrund des Ausfalls mehrerer Atomkraftwerke dringend alternative Energiequellen gebraucht werden.

Ohnehin ist Deutschland schon jetzt ein Pipeline-Land. Kaum ein anderer Staat ist so gut an internationale Gasleitungen angeschlossen und hat eine so dichte inländische Infrastruktur. Zusätzlich sollen ab Oktober durch die erste von zwei Röhren der neuen Ostseepipeline Nord Stream 27,5 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr vom russischen ­Wyborg ohne Umwege ins deutsche Lubmin strömen (siehe Euro 2/2010).

Über Leitungen wie Nord Stream gelangt das Erdgas ins deutsche Pipeline-Netz. Die­ses kann nach Ansicht von Experten auch eine erhöhte Gasmenge problemlos aufnehmen. Anders als etwa beim Ausbau des Stromnetzes sind hier also kaum weitere Investitionen notwendig. Notwendig dagegen sind weitere Kraftwerke, um das Gas in Strom um­zuwandeln. Das verspricht zusätzliche Aufträge für Kraftwerksbauer wie den DAX-Konzern Siemens oder seinen französischen Konkurrenten Alstom. Bislang gibt es 60 solcher Anlagen in Deutschland. Bis 2014 werden nach aktuellem­ Stand elf weitere ans Netz gehen. Experten rechnen jedoch damit, dass bei einem Atomausstieg bis 2020 zusätzlich zehn größere Gaskraftwerke gebaut werden müssten.

So hat Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) bereits angekündigt, zwei große oder drei bis vier kleine Gaskraftwerke bauen zu lassen, um die verbliebenen vier Atommeiler in Bayern zu ersetzen. Er will so den Anteil von Gas an der bayerischen Stromversorgung auf bis zu 50 Prozent erhöhen.

Wie das Szenario auf Bundesebene aussehen wird, zeigt sich im Juli. Dann will die Bundesregierung die neuen Ener­giegesetze verabschieden. Das Votum von Kardinal Marx ist bereits gefallen: Der Gottesmann bezeichnete Atomenergie jüngst als „Teufelszeug“ und forderte den schnellstmöglichen Ausstieg. Eon-Chef Teyssen hofft auf Absolution und bietet seine Unterstützung an: „Eon ist Europas größter Gashändler. Da können wir helfen.“