So legt die deutsche Mittelschicht an
Die Mittelschicht trägt maßgeblich zur Vermögensbildung in Deutschland bei. Doch dauerhaft niedrige Zinsen gefährden das erreichte Wohlstandsniveau. Eine Studie von Union Investment zeigt, dass sich die Spargewohnheiten der Durchschnittsbürger deutlicher unterscheiden als gedacht. Darauf müssen Finanzindustrie und Politik reagieren, ist Gastautor Hans Joachim Reinke überzeugt.
von Hans Joachim Reinke, Gastautor von Euro am Sonntag
Seit über 30 Jahren befinden sich die langfristigen Zinsen im stetigen Sinkflug. Die Bundesbürger sparen zwar im internationalen Vergleich mit durchschnittlich neun Prozent ihres Nettoeinkommens immer noch relativ viel. In den USA beispielsweise sind es nach vielen Jahren weit unterhalb dieser Neunprozentmarke mit der Konjunkturerholung nun 5,7 Prozent. Doch von den 5,2 Billionen Euro Geldvermögen sind 81 Prozent zinslastig angelegt. Sie bilden praktisch kein Vermögen mehr. Eine einfache Rechnung verdeutlicht das: Ließ sich in den 90er-Jahren mit Rentenanlagen das Ersparte in nur zwölf Jahren verdoppeln, benötigen Anleger heute dafür 72 Jahre. Diese Zeit hat keiner! Ein Wandel der Sparkultur ist notwendig.
Doch Wandel erfordert zunächst Wissen. Wie spart die deutsche Mittelschicht tatsächlich? Gibt es "den deutschen Sparer"? Im Auftrag von Union Investment hat das Handelsblatt Research Institute unter Leitung von Professor Bert Rürup das Sparverhalten der deutschen Mittelschicht - und damit etwa 60 Prozent aller Haushalte - untersucht. Grundlage waren die Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) und die in der Marktforschung etablierten Sinus-Milieus des Heidelberger Sinus-Instituts, die Schlüsse auf die Wertvorstellungen, die unterschiedliche Risikobereitschaft und die materiellen Bedürfnisse der Mittelschicht zulassen.
Die jungen Milieus prägen
das Sparverhalten der Zukunft
Ein wichtiges Ergebnis der Studie: Die Lebensstile (Milieus) haben einen größeren Einfluss auf das Sparverhalten als etwa Bildungsstand oder Einkommen. So wird die generelle Bedeutung der Einkommenshöhe bisher stark überschätzt. Tatsächlich legen Haushalte, die verschiedenen Milieus angehören, bei ähnlich hohen Einkommen unterschiedliche Verhaltensweisen beim Sparen sowie bei der Wahl der Anlageformen an den Tag. Ähnliches gilt für die Bedeutung des Bildungsniveaus. Auch hier weichen Sparmotive, -verhalten und -formen von Haushalten mit ähnlichem Bildungsstand stark voneinander ab.
Insgesamt zählen die Forscher fünf Sinus-Milieus zur Mittelschicht. Die sogenannte traditionelle Mitte stellt mit 10,8 Millionen Bürgern (15,3 Prozent der Gesamtbevölkerung) derzeit noch das größte und mit einem Durchschnittsalter von 68 Jahren älteste Milieu dar. Es speist sich aus dem Kleinbürgertum und der Arbeiterschaft und besitzt mit durchschnittlich 1.893 Euro das niedrigste Haushaltsnettoeinkommen der Mittelschicht. Die Sicherheit und Ordnung liebende Kriegs- und Nachkriegsgeneration ist wirtschaftlich versorgt. Mehr als ein Drittel wohnt im Eigenheim. Bevorzugt werden sichere und liquide Geldanlagen. Dabei steht klar das Ziel im Vordergrund, Erreichtes zu bewahren - gerade auch für potenzielle Erben.
Der "bürgerlichen Mitte" lassen sich rund 9,9 Millionen Bürger (14 Prozent, durchschnittlich 51 Jahre alt und mit 2.499 Euro Haushaltsnettoeinkommen) zurechnen. Das Zentrum der deutschen Mittelschicht hat sich vielfach bereits sozial und beruflich etabliert. Überdurchschnittlich häufig verfügen sie über eine eigene Wohnimmobilie. Sie sparen am regelmäßigsten und am intensivsten. Praktisch alle Sparformen werden eingesetzt, dabei dominieren jedoch sichere und liquiditätsorientierte Anlageformen. Im bürgerlichen Milieu leben relativ viele Fondssparer.
Die "sozialökologische Mitte" stellt mit fünf Millionen Bürgern (7,2 Prozent, durchschnittlich 50 Jahre alt und 2.591 Euro Haushaltsnettoeinkommen) das kleinste Lager der Mittelschicht dar. In keinem anderen Milieu ist die Wertorientierung so stabil ausgeprägt wie im sozialökologischen. Hier sind besonders viele Akademiker und Beamte vertreten, die im nächsten Jahrzehnt aus dem Erwerbsleben ausscheiden werden. Viele besitzen Immobilien und haben breit vorgesorgt. Häufig werden weitere Geldanlagen für die Zeit nach dem Eintritt in den Ruhestand nicht geplant. Es besteht eine Präferenz für nachhaltige Anlagen. Auffällig ist der relativ hohe Fondsbesitzanteil.
Das "adaptiv-pragmatische Milieu" bildet mit 6,3 Millionen Menschen (8,9 Prozent, durchschnittlich 38 Jahre, 2.638 Euro Haushaltsnettoeinkommen) die leistungsbereite moderne Mitte der Gesellschaft. Ihre Mitglieder sind anspruchsvoll, zielorientiert und wollen die Kapitalanlagen optimiert wissen. Man schafft es, traditionelle Werte und gesellschaftliche Modernisierung miteinander zu kombinieren. Dabei befinden sich viele in einer beruflichen oder familiären Aufbauphase. Vorsorgesparen ist nicht sonderlich stark ausgeprägt.
Etwa gleich alt ist die "spaßorientierte untere Mitte der Hedonisten" mit 10,6 Millionen Menschen (15,1 Prozent, im Schnitt 38 Jahre, Haushaltsnettoeinkommen 2.411 Euro). Ihnen geht es weniger um Besitz - und das wirkt sich auf ihr Sparverhalten aus. Denn das Leben im Hier und Jetzt lässt nur wenig Raum für die langfristige Vermögensplanung. Die Hedonisten legen Geld unregelmäßig und wenig zielorientiert an, dafür aber deutlich risikofreudiger. Starre Angebote werden nicht angenommen. Eine Ausnahme bildet das Bildungssparen.
Bis ins Jahr 2025 wird schon aus rein demografischen Gründen die Bedeutung der traditionellen und bürgerlichen Mitte abnehmen, die sozialökologische Mitte bleibt stabil. Hingegen werden die beiden jungen Milieus, die adaptiv-pragmatische und die hedonistische Mitte, voraussichtlich zu Trendsettern mit Vorbildcharakter für heranwachsende Generationen. Sie prägen das Sparverhalten der Zukunft.
Die alten Muster in der
Geldanlage greifen nicht mehr
Kehren wir zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen zurück. Das Niedrigzinsumfeld bedroht zunehmend den Wohlstand der Mittelschicht. Denn das Anlageverhalten von gestern, das auf einem funktionierenden Zinseszinseffekt beruhte, führt heute zu einer dramatischen Fehlallokation und beschert morgen vielen Deutschen eine finanzielle Lücke. Die alten Muster in der Geldanlage greifen nicht mehr.
Um das zu verhindern, benötigen wir eine Evolution des Sparens. Hier sind nicht nur die einzelnen Anleger, sondern auch die Finanzdienstleistungsindustrie und die Politik gefragt. Wir benötigen in Deutschland einen breiten Anreiz zur langfristigen Vermögensbildung, anstatt beispielsweise die Bildung von Eigenkapital in Form der Aktie durch Maßnahmen wie die Abgeltungsteuer oder die immer noch nicht zu Grabe getragene Finanztransaktionsteuer zu diskriminieren. Für uns als Vermögensverwalter liegt der Schlüssel für einen erfolgreichen Wandel der Sparkultur darin, die Kundenbedürfnisse mit den passenden Anlagen zusammenzubringen. Dabei übernimmt die Beratung eine Schlüsselrolle. Wir müssen auch sicherheitsorientierten Anlegern Brücken in den Kapitalmarkt bauen, damit sie den erforderlichen Mehrertrag oberhalb der Inflationsrate erzielen. Nur so lässt sich Wohlstand sichern.
zur Person:
Hans Joachim Reinke
Vorstandschef der Union Investment Gruppe
Reinke absolvierte eine Ausbildung zum Bankkaufmann und ist diplomierter Bankbetriebswirt. Seine berufliche Laufbahn startete er 1987 bei der Volksbank Wachtberg. 1991 kam er zur Union Investment. Im Jahr 2000 übernahm er die Leitung des Gesamtvertriebs. Im August 2001 erfolgte die Ernennung zum Geschäftsführer der Union Investment Privatfonds. 2004 wurde er Mitglied des Vorstands der Union Asset Management Holding AG. Seit Juli 2010 steht er als Vorstandsvorsitzender an der Spitze der gesamten Union-Investment-Gruppe.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und mit aktuell mehr als 220 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.
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Bildquellen: Union Asset Management Holding AG