Das BIP spielt doch eine Rolle: Warum der Indikator wichtig ist
Neuseeland akzeptiert das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht mehr als Maß aller Dinge. Dabei besitzt der Wohlstandsindikator viele Vorteile.
von Bjørn Lomborg, Gastautor für €uro am Sonntag
Neuseeland wird dafür gelobt, als erstes Land der Welt einen "Haushalt des Wohlergehens" eingeführt zu haben, mit dem der Schwerpunkt weg vom BIP hin zum "Wohlergehen der Menschen" gelegt werden soll. Diejenigen, die etwas gegen den BIP-Indikator haben - insbesondere Grüne, die Wirtschaftswachstum für die Umweltverschmutzung verantwortlich machen -, sehen dies als neue Möglichkeit, um aufzuhören, Geld hinterherzujagen, und anzufangen, sich um die Menschen zu kümmern.
Die Jagd nach einem höheren BIP kann man leicht kritisieren: Der Indikator wurde im Industriezeitalter eingeführt und enthält viele Dinge, die offensichtlich nicht vorteilhaft sind. Aber trotzdem bleibt das BIP für Politik und Verwaltung der mit Abstand beste Indikator. Ignorieren wir es zugunsten alternativer Indikatoren für Wohlbefinden, wird die allgemeine Lebensqualität der Menschen wahrscheinlich sinken.
Dass Neuseeland seinen Schwerpunkt auf das Wohlbefinden legt, fühlt sich sicherlich richtig an. So wird die Regierung beispielsweise mehr für wichtige Prioritäten wie die mentale Gesundheit ausgeben. Wächst aber der gesamte wirtschaftliche Kuchen nicht - was sich im BIP widerspiegelt -, wird Neuseeland bei anderen wichtigen Maßnahmen sparen müssen. Ohne mehr Geld, das ausgegeben werden kann, werden nur gute Absichten übrig bleiben.
Das BIP ist in erster Linie deshalb wichtig, weil durch das Wirtschaftswachstum über eine Milliarde Menschen aus extremer, bitterer Armut befreit werden konnten. Eine aktuelle Studie über 121 Länder zeigt, dass in den letzten 40 Jahren die Durchschnittseinkommen der ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung ebenso schnell gewachsen sind wie die gesamten Nationaleinkommen. Steigert man also das BIP, hilft man damit den Ärmsten.
Aber die Bedeutung des BIP reicht weit über das Einkommen hinaus. Wenn Länder reicher werden, leben die Menschen länger, geht die Kindersterblichkeit zurück, und können Regierungen mehr für Gesundheitspolitik ausgeben. Ebenso können die Menschen, wenn sie mehr verdienen, für sich selbst und für ihre Kinder gutes Essen kaufen und gesündere Entscheidungen treffen.
Darüber hinaus trägt ein höheres BIP dazu bei, die Ausbildung zu verbessern, da Länder und Eltern sich bessere Lehrer und mehr Lehrmaterialien leisten und ihr Kinder länger zur Schule schicken können. Deshalb nehmen Länder mit höherem Pro-Kopf-BIP auf dem Index für Menschliche Entwicklung (HDE, Human Development Index) der Vereinten Nationen, der Langlebigkeit, Ausbildung und Lebensstandard misst, im Allgemeinen einen höheren Platz ein.
Die vielfältigen Vorteile des Wirtschaftswachstums sind nicht auf die ärmeren Länder der Welt beschränkt. Auch reichere Volkswirtschaften konnten ihren HDI-Wert in den letzten Jahrzehnten weiter verbessern, da dauerhaftes Wirtschaftswachstum ihren Bürgern ein besseres Leben ermöglicht.
Mit mehr Geld kann man sich
mehr Möglichkeiten kaufen
Am wichtigsten ist vielleicht, dass das Pro-Kopf-BIP sehr gut dazu geeignet ist, das subjektive Wohlbefinden zu erfassen, das im Mittelpunkt des menschlichen Wohlbefindens steht. Als Forscher das Bruttonationaleinkommen (BNE, einen engen Verwandten des BIP) mit fünf "Post-BIP"-Alternativen verglichen, kam heraus, dass das BNE das subjektive Wohlbefinden besser als die meisten der anderen Kennzahlen abbildete - und der einzige etwas bessere Indikator beruht auf einer komplexen Mischung von 50 Indikatoren. Die Forscher schlossen daraus, dass "wirtschaftliche Aktivitäten und der Wohlstand, den sie erzeugen, das Leben für eine große Mehrheit der Menschen tatsächlich lebenswert machen".
Die Wahrheit ist einfach: Mit mehr Geld kann man sich mehr Möglichkeiten kaufen. Hinter dem neuseeländischen Schwerpunkt auf Wohlergehen stehen beste Absichten. Aber wenn das BIP nicht steigt, hat die Regierung für ihre großen Pläne weniger Geld. Und verglichen damit, was es sonst haben könnte, wird das Land über weniger allgemeines Wohlergehen, schlechteren Umweltschutz und schwächeres Humankapital verfügen.
Kurzvita
Bjørn
Lomborg,
Direktor des
Copenhagen
Consensus Center
Der 54-jährige Däne
ist ein wegen seiner Thesen umstrittener
Politikwissenschaftler, Dozent, Statistiker und Buchautor. Weltweit bekannt wurde er durch den kontrovers diskutierten Bestseller "The Skeptical Environmentalist" (deutsch: "Apocalypse No! Wie sich die menschlichen Lebensgrundlagen wirklich entwickeln").
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