Berufsunfähigkeitsversicherung: Welche alternativen Policen es gibt
Wer aus speziellen Gründen keine Berufsunfähigkeitsversicherung bekommt, kann auf eine Reihe von Alternativen ausweichen. Das ist zwar grundsätzlich gut - aber nicht perfekt.
von Sabine Hildebrandt-Woeckel, Euro am Sonntag
Was mache ich, wenn ich krank werde oder einen Unfall habe und nicht mehr arbeiten kann? Alle, die ihren Lebensunterhalt durch Berufstätigkeit bestreiten, haben sich diese Frage wohl schon einmal gestellt. Und kennen meist auch schon die Antwort: Eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) sollte her. Neben der Kranken- und Haftpflichtversicherung, darin sind sich Versicherungsvertrieb und Verbraucherschützer einig, gehört die BU zu den unabdingbaren Policen - vor allem für Selbstständige. Aber auch für abhängig Beschäftigte wird sie dringend empfohlen.
Das Problem: Nicht jeder, der gern einen Vertrag abschließen möchte, bekommt ihn auch. Entweder, weil er in einem Beruf mit hohem Risiko arbeitet, beispielsweise im Handwerk oder als Krankenpfleger, oder weil er bereits Vorerkrankungen hat. Ein gutes Drittel aller Anträge wird im ersten Anlauf abgelehnt, hat Helge Kühl beobachtet, der als Versicherungsmakler in der schleswig-holsteinischen Gemeinde Neudorf-Bornstein arbeitet. Das heißt nicht immer, dass es am Ende nicht doch zu einem Abschluss kommt. Aber es gibt Klärungsbedarf und in der Folge oft Einschränkungen.
Vier Prozent werden abgelehnt
Nicht so dramatisch sieht der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) die Situation und verweist auf die eigene Statistik. Derzufolge schließen die Versicherer bei zwölf Prozent aller angenommenen Verträge bestimmte Leistungsfälle aus, bei drei Prozent wird ein Zuschlag zur Prämie erhoben, bei einem Prozent beides. Aber nur vier Prozent der Anfragen werden tatsächlich abgelehnt.
Allerdings, weiß Bianca Boss vom Bund der Versicherten, hat die Berufsunfähigkeitsversicherung von vornherein einen schlechten Ruf. "Viele, die eine abschließen sollten, gerade weil sie ein besonders hohes Risiko haben", so die Verbraucherschützerin, "versuchen es darum auch gar nicht erst." Oder sie lassen sich nach ersten unverbindlichen Anfragen und Absagen abschrecken. Das Ergebnis: Laut Statistischem Bundesamt gibt es gerade einmal in 30 Prozent der Erwerbstätigen-Haushalte in Deutschland eine private Berufsunfähigkeitsversicherung.
"Zu früh aufzugeben ist aber ein fataler Fehler", stellt nicht nur Verbraucherschützerin Boss klar. Auch die Münchner Finanzberaterin Constanze Hintze rät unbedingt dazu, sich zur Absicherung der Arbeitskraft umfassend beraten zu lassen - nicht nur zur BU selbst, sondern auch zu möglichen Alternativen. Keine davon kann zwar den echten BU-Schutz ersetzen, aber je nach persönlicher Situation und mitunter auch durch Kombination verschiedener Produkte lässt sich zumindest eine Teilabsicherung erreichen. "Und selbst eine schlechte Absicherung ist besser als gar keine", sagt Hintze.
Doch welche Möglichkeiten gibt es überhaupt? Experten nennen im Wesentlichen fünf Policen, die alle sehr unterschiedliche Ansätze haben:
• die Erwerbsunfähigkeitsversicherung (EU)
• die Grundfähigkeitsversicherung (GV)
• die Dread-Disease-Versicherung (DD), die schwere Krankheiten absichert
• die Unfallversicherung
Und seit einigen Jahren kommt noch
• die Multirente hinzu, die - vereinfacht ausgedrückt - Teile der anderen vier Policen mit Elementen der Pflegeversicherung vereint.
Der BU vom Grundansatz am ähnlichsten ist die Erwerbsunfähigkeitsversicherung, weil sie tatsächlich auf Arbeitsfähigkeit, sprich: Berufstätigkeit, abstellt. Allerdings hat sie auch einen eklatanten Nachteil. Denn sie zahlt nicht, wenn jemand nicht mehr in seinem aktuellen Beruf arbeiten kann, sondern nur, wenn er überhaupt keine Tätigkeit mehr für mindestens drei Stunden pro Tag ausüben kann. Zudem, so zumindest die Erfahrung von Versicherungsmakler Kühl, ist es heute auch nicht mehr so einfach, an eine Police zu kommen. "Nur wenige, die bei der BU abgelehnt werden, bekommen dann eine EU." Sie kann aber dann eine Alternative sein, wenn vor allem die zu hohen Beiträge gegen einen vollwertigen BU-Schutz sprechen.
Was ist ein Leistungsfall?
Immer beliebter ist in den vergangenen Jahren die Grundfähigkeitsversicherung geworden. Sie springt - wie der Name schon sagt - dann ein, wenn bestimmte Grundfähigkeiten wie Sehen, Hören, Gehen oder Sitzen abhandengekommen sind. Vor allem im Handwerk wird sie von der Versicherungswirtschaft inzwischen sogar aktiv als Alternative zur BU angeboten. Durchaus im eigenen Interesse, wie Insider einräumen. Denn echte BU-Versicherungen sind in dieser Berufsgruppe mittlerweile praktisch unbezahlbar und damit unverkäuflich geworden. Bei der unter anderem aufs Handwerk spezialisierten Signal-Iduna-Gruppe beispielsweise muss ein 30-jähriger Dachdecker rund 172 Euro monatlich für die BU hinblättern. Für die GV reichen günstigstenfalls rund 44 Euro.
Seit 20 Jahren ist sie schon auf dem deutschen Markt, doch anfangs war sie kaum gefragt. Inzwischen steigen immer mehr Assekuranzen ein. 47 Tarife von 22 Anbietern zählte Anfang vergangenen Jahres das Analysehaus Morgen & Morgen aus Hofheim am Taunus und stellte immerhin knapp der Hälfte Höchstnoten aus. Heute können nicht nur deutlich mehr Fertigkeiten abgesichert werden als vor zehn oder 20 Jahren. Laut Anbietern wurden auch die Konditionen verbessert und so nah wie möglich an die BU herangeführt.
Doch es gibt auch Kritikpunkte, insbesondere in Bezug auf die Frage, was ein Leistungsfall ist. Mitunter müssen mindestens drei Grundfähigkeiten gleichzeitig betroffen sein, also beispielsweise Sitzen, Hören und Gehen oder Knien, Heben und Arme nutzen. "Und natürlich reicht es nicht, dass jemand schlecht sieht oder undeutlich spricht", erklärt Helge Kühl. Die Fähigkeit muss vielmehr fast vollständig verloren sein. "Eine Hürde, die echt hoch ist - oft zu hoch", so der Berater. Damit beispielsweise die Fähigkeit Sprechen als verloren gilt, darf der Versicherte bei einigen Policen kein verständliches Wort mehr sagen können. Wenn aber jemand in seinem Beruf Kundenkontakt hat, kann er diesen schon sehr viel früher nicht mehr ausüben.
Rente oder Einmalbetrag
Wie die Erwerbsunfähigkeitsversicherung hat die Grundfähigkeitsversicherung aber auch einen großen Vorteil: Sie zahlt im Leistungsfall eine lebenslange Rente. Für Constanze Hintze ist dies ein sehr wichtiger Aspekt. Eine überlegenswerte Alternative sei die GV aber trotzdem nur, "wenn die versicherten Grundfähigkeiten einen Bezug zur aktuellen Berufstätigkeit haben", stellt die Finanzberaterin klar.
Die Dread-Disease-Versicherung zahlt im Leistungsfall keine Rente, sondern einen Einmalbetrag. Versichert sind vorher definierte schwere Krankheiten wie Krebs, Herzinfarkt oder Parkinson. Die DD empfiehlt sich aus Sicht von Versicherungsexperten vor allem dann, wenn solche Krankheiten in der Familie bekannt sind - oder wenn jemand große Ängste davor hat. Und auch für Selbstständige kann eine DD-Police sinnvoll sein, beispielsweise dann, wenn im Ernstfall für Umbauten oder Umorganisation Geld benötigt wird oder jemand trotz Krankheit weiterarbeiten will. Bei Unternehmern oder Freiberuflern kommt dies gar nicht so selten vor - "das lehrt nun mal die Erfahrung", bilanziert Bianca Boss. Selbst nach Bypass-Operationen oder Krebserkrankungen wird weitergearbeitet. Eine EU oder BU würde die Zahlungen dann sofort einstellen. Für die DD spielt das überhaupt keine Rolle. Sie tritt ein, sobald die Diagnose gestellt wird.
Kombi-Lösung namens Multirente
Allerdings sollte eine Absicherung gegen schwere Krankheiten nie der alleinige Schutz sein, darin sind sich alle Fachleute einig. Empfehlenswert ist eine Kombination - idealerweise mit BU oder EU. Oder, wenn die eben nicht zu bekommen sind, als Ergänzung zu anderen Ausschnittsdeckungen, also beispielsweise zusammen mit einer Grundfähigkeitsversicherung und/oder einer Unfallversicherung. Wobei auch Letztere, bei der es ebenfalls in der Regel eine Einmalzahlung gibt, in jedem Fall nur als Ergänzung gesehen werden sollte - wenngleich sie mitunter von findigen Versicherungsvertretern als vollwertiger Ersatz angepriesen wird. Tatsächlich ist statistisch gerade einmal in fünf Prozent der Fälle ein Unfall Grund für eine Berufsunfähigkeit.
Von vornherein verschiedene Teildeckungen kombiniert die sogenannte Multirente: Invalidität durch Unfall, schwere Organschäden (inklusive Krebserkrankungen), Verlust von Grundfähigkeiten und Pflegebedürftigkeit. Ihr Vorteil gegenüber den Einzelpolicen: Sie zahlt in allen Fällen eine Rente. Allerdings sind die Rahmenbedingungen sehr uneinheitlich - und damit auch unübersichtlich.
Angeboten werden Multi-Risk-Policen sowohl von Lebensversicherungen als auch von Unfallversicherungen, wo sie als Funktionsinvaliditätsversicherung bezeichnet werden - und zumeist noch zwei Nachteile haben: Der Leistungsum- fang ist geringer und es gibt für den Versicherer ein Kündigungsrecht. Zudem ist der Markt noch recht klein und die Nachfrage gering, wie Helge Kühl und Constanze Hintze betonen. Verbraucherschützer empfehlen die Multirente nur, wenn BU oder EU nicht möglich oder zu teuer sind und auch hier die abgesicherten Grundfähigkeiten einen Bezug zur Berufstätigkeit haben.
Insgesamt, darüber ist sich die Fachwelt einig, sind alle Alternativen immer nur die zweitbeste Lösung. Selbst wenn ein BU-Schutz nur mit Ausschlüssen oder Abschlägen angeboten wird, ist er zumeist die bessere Wahl, stellt Bianca Boss klar. Und wird es zu teuer, ergänzt Helge Kühl, kann es vielleicht sogar sinnvoll sein, eine BU mit verkürzter Laufzeit abzuschließen, beispielsweise um eine Finanzierung abzusichern. In jedem Fall aber gilt: Ganz auf den Schutz seiner Arbeitskraft verzichten sollte niemand - es gibt immer eine Lösung.
Gegensteuern:
Wenn Anträge zur Berufsunfähigkeit abgelehnt werden, hat dies in der Regel zwei Gründe: Entweder Sie als Person stellen ein zu hohes Risiko dar, weil Sie bereits Vorerkrankungen haben. Oder Sie üben einen Beruf aus, dem von vornherein ein höheres Risiko zugeschrieben wird. In beiden Fällen gibt es für Versicherungswillige Möglichkeiten, gegenzusteuern.
Persönliches Risiko: Naturgemäß steigt das Krankheitsrisiko mit zunehmendem Lebensalter. Zudem gibt es Erkrankungen, die sich durch die Ausübung bestimmter Berufstätigkeiten verschlimmern. Gleichzeitig können sich Krankheiten aber auch verbessern.
Kümmern Sie sich daher frühzeitig, am besten bereits vor Abschluss des Studiums oder der Ausbildung, um Ihren Berufsunfähigkeitsschutz. Dieser bleibt nämlich auch dann bestehen, wenn im Lauf Ihrer späteren Berufstätigkeit Ihr Risiko zunimmt.
Krankheiten, die länger als fünf Jahre zurückliegen, spielen bei der Einstufung in der Regel keine Rolle mehr. Es kann sich in einem solchen Fall also lohnen, es erneut zu versuchen.
Berufsgruppe: Unbestritten birgt der Beruf des Dachdeckers von vornherein ein höheres Risiko als der des Architekten. Zahlreiche Studien belegen, dass in risikoreichen und körperlich anstrengenden Berufen fast jeder Zweite vor dem regulären Ende seines Arbeitslebens aufhören muss, in anderen ist es nur jeder Zehnte. Alle Versicherer arbeiten daher mit sogenannten Risikogruppen. Diese reichen von "geringem berufsbedingten Berufsunfähigkeitsrisiko", in die vor allem akademische Berufe fallen, über "unterdurchschnittliches bis mittleres Risiko" (etwa Chemiker oder Medienkaufleute), "erhöhtes Risiko" (Erzieher, Lehrer) bis zu "hohes Risiko" (Koch, Krankenschwester).
Ganz schwierig wird es bei den sogenannten Hochrisikogruppen: Hier sind fast alle Handwerksberufe betroffen, aber auch Musiker oder Piloten. Die Prämien werden unbezahlbar oder es wird überhaupt kein Angebot gemacht. Aber: Fixe Einstufungen gibt es nicht. Vor allem in den mittleren Risikobereichen arbeitet fast jeder Versicherer mit anderen Rastern.
Beugen Sie vor:
• Verfassen Sie vor Antragstellung eine ausführliche Tätigkeitsbeschreibung
• Erfragen Sie immer bei mehreren Versicherern, in welche Berufsgruppe Sie eingestuft werden
• Verhandeln Sie im Zweifel: Durch eine Umstufung lässt sich viel Geld sparen
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