Erbschaftsteuer: Karlsruhe sieht rot
Das Bundesverfassungsgericht hat das geltende Erbschaftsteuerrecht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Wie Erben und Beschenkte jetzt richtig auf das Urteil reagieren.
von Stefan Rullkötter, Euro am Sonntag
Wolfgang Schäuble gibt den Musterschüler. Nur wenige Stunden nachdem das Bundesverfassungsgericht das geltende Erbschaftsteuerrecht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hatte, erklärte der Bundesfinanzminister: "Wir werden schnell erforderliche gesetzgeberische Schritte einleiten."
Die roten Roben erteilten vergangenen Mittwoch dem Gesetzgeber den unmissverständlichen Auftrag, nach zwei gescheiterten Versuchen endlich ein "rechtssicheres, verfassungskonformes und umsetzbares" Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz zu schaffen (Az. 1 BvL 21/12).
Konkret beanstandeten die Karlsruher Richter, dass der Fiskus derzeit Erben von Unternehmen und Betriebsvermögen wenig bis gar nicht zur Kasse bittet. Grund für die Verschonung: Gibt ein Unternehmer den Stab an einen Nachfolger weiter, sollen keine Arbeitsplätze gefährdet werden. Seit der vorerst letzten Erbschaftsteuerreform im Jahr 2009 haben Begünstigte daher die Wahl: Auf Antrag bleibt das Betriebsvermögen - nach Abzug eines extra Steuerfreibetrags von 150.000 Euro - zu 85 Prozent von der Abgabe verschont, wenn die Firma mindestens fünf Jahre fortgeführt wird und die Summe der Löhne und Gehälter von Mitarbeitern in diesem Zeitraum mindestens 400 Prozent der bisherigen Lohnsumme erreicht. Führen die Erben ein Unternehmen mindestens sieben Jahre lang weiter, können sie auf Antrag das Betriebsvermögen sogar komplett erbschaftsteuerfrei stellen.
Eklatante Ungleichbehandlung
Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass diese "nicht zielgenaue" Besteuerungspraxis mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes unvereinbar sei. Denn wird geerbtes oder geschenktes Geld- und Immobilienvermögen nicht in einem Firmenmantel, sondern privat übertragen, wird den Begünstigten die Abgabe -ohne weitere Verschonung - in der Regel auf Basis des vollen Verkehrswerts berechnet.
Eine eklatante Ungleichbehandlung, die nur aufgrund der hohen Erbschaftsteuerfreibeträge für Familienangehörige (überlebender Partner 500.000 Euro, Kinder 400.000 Euro) in vielen Fällen keine praktischen Folgen hat. Dagegen gibt es für Geschwister und nichteheliche Lebenspartner bei Erbschaften und Schenkungen einen vergleichsweise geringen Steuerfreibetrag in Höhe von 20.000 Euro.
Die Verfassungsrichter haben dem Gesetzgeber möglicherweise auch deshalb eine Hintertür offengelassen - und die Anwendung des derzeitigen Erbschaftsteuerrechts bis zum 30. Juni 2016 gestattet. "Ich nehme nicht an, dass wir diese Frist ausschöpfen werden", verspricht Schäuble. Anton Steiner, Präsident des Deutschen Erbrechtsforums ist da skeptisch: "Erfahrungsgemäß nutzt die Politik von Karlsruhe verordnete Stichtage für Gesetzesreformen bis ultimo aus."
Zumindest herrscht nun für alle bisher erfolgten Erbschaften und Schenkungen Rechtssicherheit. Auch Auswirkungen auf bereits ergangene Erbschaftsteuerbescheide und laufende Veranlagungsverfahren sind grundsätzlich nicht zu befürchten. "Nur bei einer exzessiven Ausnutzung der Verschonungsregelungen besteht die Gefahr, dass Veranlagungen seit dem 17. Dezember 2014 noch geändert werden. Für diese Fälle greift der Vertrauensschutz nicht", warnt Horst Vinken, Präsident der Bundessteuerberaterkammer.
Dass das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht komplett umgeworfen wird, ist unwahrscheinlich. Die Bundesregierung will nur die Punkte reformieren, die das Bundesverfassungsgericht beanstandet hat. Besonders bemerkenswert: Nach den Änderungen soll sich das Steueraufkommen bei Erbschaften und Schenkungen "nicht signifikant" ändern. Für das laufende Jahr werden daraus 4,8 Milliarden Euro erwartet - was vergleichsweise wenig ist. Denn insgesamt kassieren Bund, Länder und Gemeinden rund 641 Milliarden Euro an Steuern.
Clever und überlegt handeln
Vor diesem Hintergrund müssen künftige Erben und Beschenkte nicht in Panik verfallen, sondern können Vermögensübertragungen strategisch und in Ruhe planen:
■ Für Privatpersonen wird sich auch nach einer Reform des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts nicht viel ändern: Sie werden Vermögen in der Familie weiterhin steuergünstig übertragen können, indem sie ihre hohen Freibeträge ausschöpfen. Wer zu Lebzeiten Teile seines Vermögens verschenkt, kann diese Vorteile alle zehn Jahre neu nutzen.
■ Der Steuervorteil bei der Übertragung von Eigenheimen dürfte dauerhaft erhalten bleiben: Erben Angehörige eine selbst genutzte Immobilie (Einschränkung für Kinder: mit bis zu 200 Quadratmeter Wohnfläche), fallen keine Steuern an, selbst wenn das Objekt Millionen wert ist. Dafür müssen die Erben ihren Erstwohnsitz in der Immobilie nehmen. Ziehen sie binnen zehn Jahren aus, müssen sie Erbschaftsteuer nachzahlen, falls die Steuerfreibeträge von 500.000 Euro (Ehepartner) oder 400.000 Euro (Kinder) ausgeschöpft sind.
■ Bei großen Unternehmensvermögen fordert das Bundesverfassungsgericht, Steuerprivilegien an verschärfte Voraussetzungen zu knüpfen. Davon betroffene Unternehmerfamilien können prüfen, ob sie ihre Firma übergeben, bevor ein neues Recht in Kraft tritt.
■ Erben und Beschenkte von Kleinbetrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern müssen sich auf Verschlechterungen einstellen. Das Bundesverfassungsgericht fordert nämlich, dass Steuererleichterungen, anders als bisher, auch hier daran geknüpft werden, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Daher dürften bei diesen Unternehmen zahlreiche Übergaben vor dem
1. Juli 2016 vollzogen werden.
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