Roland Klaus-Kolumne Roland Klaus

Widerrufsjoker: Kein Grund für moralische Bedenken

06.03.17 09:03 Uhr

Widerrufsjoker: Kein Grund für moralische Bedenken | finanzen.net

Über die Kreditinstitute rollt derzeit eine Widerrufswelle für Baufinanzierungen aus den Jahren 2010 bis 2013.

Kein Wunder: Aufgrund fehlerhafter Darlehensverträge lassen sich etliche Tausend Euro sparen, indem Verbraucher vorzeitig aus den Darlehen aussteigen. Doch wer dies tut, muss sich manchmal Vorwürfe gefallen lassen: Er halte sich nicht an geschlossene Verträge, bereichere sich zu Lasten der Banken oder handele gar unmoralisch. Bei näherer Betrachtung ist dies Unsinn.

Wenn ich Freunden und Bekannten von der Möglichkeit erzähle, mit Hilfe des Widerrufsjokers viele Tausend Eure bei der Baufinanzierung zu sparen oder sich eine gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung zurückzuholen, dann höre ich manchmal ein Argument: Eigentlich sei es ja Haarspalterei, was wir da betrieben. Als Käufer einer Immobilie habe man sich doch damals zur Abnahme eines langfristigen Kredits verpflichtet. Deshalb sollte man nicht versuchen, sich aus der Verantwortung zu stehlen, nur weil sich die Zinsen für eine Baufinanzierung mittlerweile mehr als halbiert haben.

Nun bin ich der Letzte, der jemanden, der so oder ähnlich argumentiert, davon zu überzeugen versucht, doch noch seinen Vorteil mit dem Widerrufsjoker zu versuchen. Wer darauf verzichten möchte, seine laufende 5-Prozent-Finanzierung auf 1,5 Prozent abzusenken, kann das gerne tun. Auf der anderen Seite sage ich aber auch ganz klar: Verbraucherrecht ist kein Gnadenrecht. Niemand, der mit Hilfe des Widerrufsjokers versucht, die Kosten für seine Baufinanzierung deutlich zu senken, handelt unmoralisch oder unethisch.

Denn seien wir doch mal ehrlich: Die Banken lassen doch auch keine Gelegenheit aus, einen Vorteil für sich herauszuschlagen. Wenn es früher beispielsweise darum ging, eine Leitzinssenkung an die Kunden weiterzugeben, dann werden zunächst die Einlagezinsen gesenkt und erst deutlich später (wenn überhaupt) die Sollzinsen auf den Kontokorrentkredit. Und noch früher - die Älteren von Ihnen erinnern sich vielleicht noch - als es noch Zinserhöhungen der Notenbanken gab, da war es genau andersherum. Da wurden ratzfatz die Kreditzinsen hoch gesetzt und wenn es gar nicht anders ging irgendwann auch mal die Guthabenzinsen.

Oder nehmen wir das ganz aktuelle Beispiel: Bausparkassen kündigen jene Alt-Verträge, die Kunden als lukrative Geldanlage verwenden, ohne zu bauen. Das ist aus meiner Sicht der "Widerrufsjoker mit umgekehrten Vorzeichen". Beim Widerruf von Baufinanzierungen nutzt der Verbraucher eine - wenn man so will - juristische Spitzfindigkeit sowie die gesunkenen Zinsen für seinen persönlichen Vorteil. Bei der Kündigung von Bausparverträgen sind es die Kreditinstitute, die genauso vorgehen.

Von daher ist es wirklich drollig, wenn nun einige Banken behaupten, der Gesetzgeber oder die obersten Richter verweigerten ihnen den Schutz. Zum einen hat der Gesetzgeber bereits die Widerrufbarkeit von Altdarlehen (vor Juni 2010) massiv eingeschränkt. Zum anderen hat der BGH unlängst einige Entscheidungen getroffen, die Verbraucheranwälte, gelinde gesagt, für schwer verständlich halten - einfach deswegen, weil sie früherer Rechtsprechung zum Kredit-Widerruf widersprechen. Offenbar versucht man in Karlsruhe nun, den Widerrufsjoker nicht ausufern lassen. Auf der anderen Seite sind viele Kreditverträge aus der Zeit nach Juni 2010 immer noch so fehlerhaft, dass auch mild gestimmte BGH-Richter nicht umhin können, deren Widerrufbarkeit festzustellen, wie beim jüngsten Urteil aus dem November.

Jene Banken, die den Widerrufsjoker auf faire Art und Weise aus der Welt schaffen wollten, hatten in den vergangenen Jahren die Möglichkeit, dies über eine sogenannte Nachbelehrung zu tun. Dazu hätten sie ihren Kunden nur eine korrigierte Widerrufsbelehrung schicken müssen und - natürlich - eine neue Widerrufsfrist einräumen müssen. Genutzt hat diese Gelegenheit kaum ein Kreditinstitut.

Deswegen sage ich: "Banken, seid keine Pussies!" Wer seine Kreditverträge vernünftig gestaltet hat, der hat nichts zu befürchten. Es gibt einige dieser Kreditinstitute, die kaum Ärger mit dem Widerrufsjoker haben. Wer aber geschlampt hat (und das ist die Mehrzahl der Banken), der sollte seine Fehler entweder korrigieren oder mit den unangenehmen Folgen leben. Er sollte aber nicht jammern und sich mit Hinweis auf die Moralkeule aus der Verantwortung zu ziehen versuchen.

Fazit: Verbraucher müssen kein schlechtes Gewissen haben, wenn Sie beispielsweise auf der Website der Interessengemeinschaft Widerruf (www.widerruf.info) ihren Kreditvertrag daraufhin überprüfen lassen, ob er eine falsche Widerrufsklausel enthält. Das ist ihr gutes Recht und Sie haben dabei sowohl die Verbraucherzentralen als auch diverse höchstrichterliche Urteile auf Ihrer Seite.

Wer auf dieses Verbraucher-Recht aus freien Stücken verzichtet, kann dies gerne tun. Nur niemand sollte sich einreden lassen, dass er unethisch handelt oder sich auf Kosten der "armen" Banken bereichert. Das ist schlicht Unsinn.

Roland Klaus arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und ist Gründer der Interessengemeinschaft Widerruf (www.widerruf.info). Sie dient als Anlaufstelle für alle, die sich zum Thema Widerruf von teuren Kreditverträgen informieren und austauschen wollen und bietet eine kostenlose Prüfung von Widerrufsklauseln in Immobiliendarlehen an. Bekannt wurde Klaus als Frankfurter Börsenreporter für n-tv, N24 und den amerikanischen Finanzsender CNBC sowie als Autor des Buch „Wirtschaftliche Selbstverteidigung“. Sie erreichen Ihn unter kontakt@widerruf.info

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