QE und die Folgen

Notenbanker: Die Magier der Märkte

02.07.13 03:00 Uhr

Ob Europa, Japan oder die USA — billiges Geld bekämpft die Wachstums- und Schuldenkrisen. Warum Draghi, Bernanke und Co so mächtig sind. Wo die Risiken lauern.

von Kerstin Kramer, Euro am Sonntag

Gestatten, Mark Carney, heißt es ab kommender Woche in London. Der Kanadier tritt sein Amt als neuer Gouverneur der britischen Notenbank an — als erster Nicht-Brite in der langen Geschichte der ehrwürdigen Bank of England. Ein Ruf wie Donnerhall eilt dem 48-Jährigen voraus. Nicht nur, dass er zu einem Termin mit Mitgliedern des britischen Parlaments lässige Slipper statt konservativer Schnürschuhe trug. Carney gilt als Rockstar der Finanzwelt, seit er als Gouverneur der Zentralbank von Kanada sein Heimatland während der globalen Finanzkrise vor einem Absturz in die Rezession bewahrte — nicht zuletzt mit sehr lockerer Geldpolitik.

Großbritannien kämpft dagegen mit einer hartnäckigen Konjunkturflaute. Trotz unbequem hoher Inflationsraten glauben die Börsianer, dass Carney in Großbritannien die Geldschleusen weit öffnen wird. Und sie hoffen es.

Denn fluten die Notenbanker die Märkte mit Geld, löst das Euphorie aus. Immer wieder löschten die Währungshüter auf diese Weise in den vergangenen Jahren diverse Brandherde: von der Immobilienkrise in den USA 2007 über die globale Finanz- und Wirtschaftskrise bis hin zur Staatsschuldenkrise in der Eurozone. Wie mächtig die Notenbanker sind, zeigten die magischen Worte von Mario Draghi im Juli vergangenen Jahres. Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) sagte damals, die EZB werde im Rahmen ihres Mandats alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten. „Und glauben Sie mir, es wird ausreichen“, ergänzte er.

Später kündigte er ein Anleihekaufprogramm für angeschlagene Staaten an. Doch da hatten ihm die Märkte bereits geglaubt, und die Risikoaufschläge italienischer und spanischer Bonds sanken, ohne dass Draghi seine Drohung überhaupt wahr machen musste. Der Euro war gerettet.

„Die Glaubwürdigkeit der Notenbanken ist enorm gestiegen“, sagt Martin Hüfner, Chefvolkswirt beim Vermögensverwalter Assenagon. „Hätte Angela Merkel diesen Satz ­geäußert, wäre die Reaktion der Märkte ausgeblieben.“ Das klare Bekenntnis signalisiert auch ein neues Selbstverständnis der EZB: Sie sieht sich nicht nur als verantwortlich für die Stabilität der Preise, sondern für die Stabilität der Eurozone.

Radikale Wende in Japan
Wie radikal Notenbanker die Märkte herumreißen können, zeigt auch das Beispiel Japan. Premier Shinzo Abe und Notenbankchef Haruhiko Kuroda wollen seit Jahresbeginn mit einer Mischung aus Gelddrucken, Konjunkturhilfen und ­einem schwachen Yen Wachstum ­erzwingen und zwei Jahrzehnte wirtschaftlicher Stagnation und Deflation hinter sich lassen. Bis Ende 2014 will Kuroda über Käufe heimischer Staatsanleihen die Geldbasis verdoppeln und die Inflation auf zwei Prozent treiben. Seit Jahresbeginn fiel der Yen gegenüber dem US-Dollar um 12 Prozent. Der Aktien­index Nikkei legte dagegen um 32 Prozent zu.

Die Macht der Geldpolitiker kann die Märkte aber auch beunruhigen. So reichten vergangene Woche wenige Sätze des amerikanischen Notenbankchefs Ben Bernanke aus, die Märkte nachhaltig zu erschüttern. Weltweit stiegen die Anleiherenditen, die Kurse von Anleihen und Aktien und die Preise von Öl und Gold fielen rund um den Globus.

Dabei hatte der Fed-Chef lediglich verkündet, er werde die Anleihekäufe im Umfang von derzeit 85 Milliarden Dollar reduzieren. Und auch nur, wenn sich die amerikanische Wirtschaft weiterhin erholen werde. Von höheren Zinsen war nicht die Rede.

Völlig neu ist dieser große Einfluss der Notenbanken nicht. Schon immer lauerten Anleger auf deren Zinsschritte. Neu sind aus Hüfners Sicht aber die großen Bewegungen, die die Währungshüter auslösen. Die höhere Glaubwürdigkeit der Notenbanken erklärt der Ökonom mit einer zunehmend handlungsunfähigen Politik. „In der Europäischen Union haben wir 27 Staaten, das verkompliziert die Zusammenarbeit“, meint er. In den USA blockierten sich Demokraten und Republikaner immer wieder gegenseitig. Die Fed komme dagegen schnell zu Potte, ohne lange parlamentarische Debatten. Für Hüfner ist klar: „Die Position der Notenbanken ist so stark, weil sich die Politik zu uneinig ist.“

Die Politik in den USA und Europa ist sich nicht nur uneinig. Es fehlt angesichts riesiger Defizite schlicht an Spielraum für fiskalpolitische Impulse, um Wachstum anzukurbeln. Die Notenbanken springen mit Geldpolitik ein. Mit Folgen. „Die einst hochgepriesene Unabhängigkeit der Zentralbanken ist nun fast geräuschlos unterhöhlt worden, auch weil der Spielraum in der nationalen Fiskalpolitik der Regierungen zusehends geringer wird“, sagt Andreas Utermann, Chef-Anlagestratege von Allianz Global Investors.

So ist die Bank of Japan zum Erfüllungsgehilfen der Politik geworden. Das Tandem aus Ministerpräsident Abe und Notenbankchef Kuroda betreibt gemeinsame Geld- und Fiskalpolitik. Kurodas Vorgänger Masaaki Shirakawa wurde aus dem Amt gedrängt, weil er die von Abe geforderte aggressive Geldpolitik kritisch gesehen hatte. Zwar ist der neue Kurs eine, vielleicht sogar die letzte, Chance für Japan, auf einen Wachstumspfad zurückzukehren. Doch der Kurs ist riskant. Die Staatsverschuldung Nippons liegt bei etwa 240 Prozent der Wirtschaftsleistung. Steigen nicht nur die Preise, sondern auch die Zinsen, steht Japan vor dem Staatsbankrott — mit verheerenden globalen Folgen.

Umstritten ist auch der Kurs der EZB. Kritiker wie Bundesbank-Chef Jens Weidmann sehen ihre Unabhängigkeit bedroht. Sie verletze ihr Mandat, weil sie über Anleihekäufe Staatsfinanzierung betreibe, so Weidmann. Die ist ihr aber laut den europäischen Verträgen verboten. Zudem verteile das Bondprogramm Haftungsrisiken zwischen den Steuerzahlern des Euroraums um — da­rüber müssten eigentlich die Parlamente entscheiden.

Draghi hält dagegen: Ohne das Programm hätte die EZB ihr Ziel stabiler Preise nicht erreichen können. Außerdem argumentiert die EZB, sie gewähre den Krisenstaaten Hilfen nur indirekt, indem sie Bonds über den Sekundärmarkt kauft. Ob sie sich im Rahmen ihres Mandats bewegt, versucht aktuell das Bundesverfassungsgericht zu beantworten.

So mächtig die EZB kurzfristig auch auf die Märkte wirken kann — letztlich kann sie mit ihren Maßnahmen den Regierungen nur Zeit verschaffen, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Strukturelle Probleme lassen sich aber nicht mit der Notenpresse lösen: „Draghi hat im Juli 2012 für Entlastung gesorgt“, sagt Hüfner. „Aber die Politik ist gefordert, in Bildung zu investieren, Innovationen zu fördern, Lohnstückkosten zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.“

Kein Aufschwung ohne Reformen
Das sehen die Notenbanken selbst auch so. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die als Bank der Zentralbanken gilt, warnt: „Die Zentralbanken sind zunehmend überlastet, nachdem jahrelang fest darauf vertraut wurde, dass sie die Wirtschaft durch eine sehr akkommodierende Geldpolitik ankurbeln“, heißt es im Jahresbericht. Die BIZ fordert energische Sanierungs- und Reformprogramme. Und die können nur von Politikern kommen, mahnen die Notenbanker.

Derweil fragen sich viele Börsianer, welche negativen Folgen die ultralockere Geldpolitik in allen großen Industrienationen haben wird. Denn die Vergangenheit hat gezeigt: Geld im Überfluss ist gefährlich. Billiges Geld hat bei der Entstehung vieler Finanzblasen eine entscheidende Rolle gespielt. So half Alan Greenspan, bis 2006 Chef der US-Notenbank, mit seiner Niedrigzinspolitik, den US-Häusermarkt in ungesunde Höhen zu treiben. Auch die New-Economy-Blase im Jahr 2000 führen Kritiker teilweise auf eine zu expansive Geldpolitik zurück.

Die Gefahr ist erneut akut: „Wir sehen überall Blasen“, warnte Bill Gross, Chefstratege des weltgrößten Anleihe-Investors Pimco, kürzlich in einem Fernsehinterview. „Die Notenbanken sind an einem kritischen Wendepunkt angelangt, an dem die Nachteile ihrer aggressiven Maßnahmen möglicherweise ihre Vorteile überwiegen und zudem eine hemmende Wirkung auf das Wachstum ausüben“, so Gross. Trotz dieser Warnrufe scheint eine strengere Geldpolitik in der Euro­zone noch weit entfernt. Zu groß sind die Probleme in den Krisenländern. EZB-Chef Draghi wird wohl noch einige Male den richtigen Ton treffen müssen — wie Mark Carney, der neue Mann in London. Aber für den Rockstar unter den Notenbankern dürfte das vermutlich kein Problem sein.

Investor-Info

Zinsen Bedeutendes Instrument Die Zinspolitik gehört zu den wichtigsten Instrumenten der Notenbanken, um Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Sie legen fest, zu welchem Zinssatz sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank Geld beschaffen können. Niedrige Leitzinsen beflügeln die ­Kreditnachfrage, Investitionen und Konsum, weil am Leitzins wichtige Zinsen wie für Unternehmens­kredite und Hypothekendarlehen hängen.

Anleihen
Quantitative Lockerung

Ist die Möglichkeit der Zinssenkung ausgeschöpft, können Notenbanken Staats- und Unternehmens­anleihen mit langer Laufzeit aufkaufen. Dadurch steigen die Preise für diese Papiere, während die Renditen sinken. Die Zinslast hoch verschuldeter Staaten verringert sich, Unternehmen bekommen günstigere Kredite. Kauft die Notenbank – wie in den USA – mit Hypotheken besicherte Wertpapiere, müssen Hausbesitzer monatlich weniger bezahlen. Die Fed befindet sich mittlerweile in der dritten Runde dieser quantitativen Lockerung. Bis Mitte 2014 will sie nun die Anleihekäufe auslaufen lassen.

Währung
Stellschraube für Exporte

Über Interventionen am Devisenmarkt versuchen vor allem exportabhängige Staaten, ihre Währung abzuwerten. Das verbilligt die Erzeugnisse auf dem Weltmarkt und hilft produzierenden Unternehmen. Beispiel Japan: Der starke Yen machte Unternehmen wie Sony oder Toyota das Leben schwer. Nun versucht das Land, seine Währung zu schwächen, unter anderem indem die Notenbank Yen verkauft und Dollar ankauft. Erster Erfolg: Die japanischen ­Exporte kletterten im Mai um 10,1 Prozent.

Geldmenge
Aufgeblähte Bilanzen

Durch Anleihekäufe und Zinssenkungen steigt die Geldmenge, die sich im Umlauf befindet, ebenso aber auch Inflationsrisiken. Im deflationsgeplagten Japan ist das gewollt, denn in Erwartung fallender Preise werden Investitionen aufgeschoben. Nun will die Bank of Japan in zwei Jahren die Geldmenge verdoppeln. Sie soll jährlich um 60 bis 70 Billionen Yen (470 bis 550 Milliarden Euro) steigen – durch massive Staatsanleihekäufe. Die Inflation soll so auf zwei Prozent steigen. Nebeneffekt der Geldflut: Die Bilanzen der Zentralbanken haben sich gewaltig aufgebläht. Seit 2007 hat sich ihr Vermögen auf rund 20 Billionen Dollar verdoppelt.