Kündigungen und Abfindungen

Rechtsanwalt Keller: "Oft falsche Vorstellungen"

19.06.16 16:00 Uhr

Rechtsanwalt Keller: "Oft falsche Vorstellungen" | finanzen.net

Wann Arbeitgeber Mitarbeitern kündigen dürfen und ihnen eine Abfindungen zahlen müssen, wird von den Beteiligten oft falsch eingeschätzt. Rechtsanwalt Thomas Keller über verbreitete Rechtsirrtümer im Arbeitsrecht.

von Stefan Rullkötter, Euro Magazin

Euro: Müssen betriebsbedingte Kündigungen zwingend wirtschaftlich begründet sein?
Thomas Keller: Häufig wird unzutreffend davon ausgegangen, dass der Arbeitgeber nur betriebsbedingt kündigen kann, wenn die Entscheidung, die er trifft, auch wirtschaftlich sinnvoll oder gar die beste Entscheidung ist. So wird oft übersehen, dass etwa betriebsbedingte Kündigungen bei Betriebsstillegungen auch dann möglich sind, wenn die Betriebsstillegung wirtschaftlich betrachtet nicht sinnvoll ist.

Dürfen also auch "gesunde" Betriebe geschlossen werden?
Jeder Unternehmer darf entscheiden, seinen Betrieb zu schließen. Auch dann, wenn er mit dem Betrieb auch dauerhaft Gewinne erzielen kann. Eine Unternehmerentscheidung, die Grundlage einer Kündigung ist, kann durch die Arbeitsgerichte nur sehr eingeschränkt überprüft werden.

Können Management-Fehler betriebsbedingte Kündigungen unwirksam machen?
Oft wird davon ausgegangen, eine Kündigung sei nur unter erschwerten Bedingungen möglich, wenn die zur Kündigung führende wirtschaftliche Situation durch das Management der Gesellschaft oder gar die Investoren verursacht ist. Wer eine etwaige Krise verschuldet hat, ist für den Ausgang eines Kündigungsrechtsstreits aber nicht beachtlich.

Haben Mitarbeiter automatisch Anspruch auf eine Abfindungszahlung, wenn sie betriebsbedingt gekündigt werden?
Viele Arbeitnehmer verstehen das Kündigungsschutzgesetz falsch und meinen, ihnen stehe eine Abfindung in Höhe von 0,5 Bruttomonatsgehältern pro Jahr der Betriebszugehörigkeit zu; Der maßgebliche Paragraf 1a beschreibt aber nur die Folgen für den Fall, dass der Arbeitgeber ein solches Angebot unterbreitet. Ein Anspruch auf eine Abfindung ist aber davon abhängig, dass der Arbeitgeber ein Angebot macht. In der Praxis haben solche Angebote einen gewissen Seltenheitswert.

Welche anderen rechtliche Grundlagen kann es für Abfindungsansprüche geben?
Abfindungen können sich ergeben, wenn sie in dem Arbeitsvertrag bereits vereinbart sind (äußerst selten), wenn das Arbeitsgericht das Arbeitsverhältnis nach einer unwirksamen Kündigung auf Verlangen des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers wegen Unzumutbarkeit einer weiteren Zusammenarbeit auflöst (nahezu ebenso selten) oder wenn ein zwischen Betriebsrat und Unternehmen vereinbarter Sozialplan oder ein zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft abgeschlossener Tarifsozialplan dies vorsieht. Konkret heißt das, das eine Abfindung nicht geschuldet ist und nicht erzwungen werden kann, wenn ein Kündigungsgrund vorliegt und der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ohne zusätzliche Abreden mit dem Arbeitnehmer/dem Betriebsrat/der Gewerkschaft beendet.

Können Arbeitsgerichte Mitarbeitern eine Abfindung zusprechen?
Im Regelfall geht es bei der Kündigungsschutzklagen um die Feststellung, ob das Arbeitsverhältnis trotz Kündigung fortbesteht; jede Abfindung ist hier Verhandlungssache und das Gericht hat nur in - praktisch sehr seltenen - Ausnahmefällen die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis gegen Verurteilung zur Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Bedeutet: Gewinnt der Arbeitnehmer den Rechtsstreit nach Ausspruch einer Kündigung, dann besteht das Arbeitsverhältnis weiter und der Arbeitnehmer kann und muss zur Arbeit erscheinen. Verliert er den Rechtsstreit, ist das Arbeitsverhältnis beendet, und zwar ohne Zahlung einer Abfindung. Ungeachtet eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung.

Wie geht man bei Abfindungs-Verhandlungen taktisch am besten vor?
Jeder Anwalt geht hier etwas anders vor. Ich überlege mir nach einer fundierten Diagnose der tatsächlichen und rechtlichen Situation und vor allem unter Einbeziehung der Handlungsspielräume und der Psyche der beteiligten "Spieler", welche Lösung für die konkrete Situation angemessen ist und versuche mit meinem Vorgehen (mit gutem Ergebnis, hoffe ich), die oft als unschön gefundene "Basar"-Situation zu vermeiden.

Welche Rolle spielt dabei der "Faktor Zeit"?
Der Arbeitgeber profitiert von einer schnellen Entscheidung des Arbeitnehmers. Er wird daher Zeitdruck aufbauen. Umgekehrt wirkt sich Geduld auf Seiten der Arbeitnehmer eher zu deren Gunsten aus. Aus Arbeitgebersicht sollte ein zeitraubender Rechtsstreit vermieden werden. Das finanzielle Risiko, nach verlorenem Rechtsstreit Gehälter nachzahlen zu müssen, steigt mit Zeitablauf; erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, versteht sich.

Sollten Arbeitnehmer den Betriebsrat für Abfindungsverhandlungen hinzuziehen?
Arbeitnehmer sind oft gut beraten, den Betriebsrat einzuschalten und dessen Unterstützung zu suchen. Schließlich kann ein Widerspruch des Betriebsrats gegen den Ausspruch einer Kündigung zu einer rechtlichen Komplikation und damit zu einer höheren Abfindung führen.

Kurz-Vita: Thomas Keller ist Partner der Kanzlei Keller Menz in München und seit
20 Jahren auf Arbeitsrecht spezialisiert.

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