Kapitalerträge

Abgeltungsteuer - Wo der Fiskus zugreift

04.07.10 06:00 Uhr

Abgeltungsteuer - Wo der Fiskus zugreift | finanzen.net

Die 25-prozentige Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge bereitet vielen Anlegern weiter Kopfzerbrechen. Fiese Fallen lauern bei Zertifikaten, Optionen und Bonds. Worauf Anleger achten müssen.

von €uro-Redakteur Stefan Rullkötter

Das Warten auf den Steuerbescheid gerät dieses Jahr vielen Bürgern zur Geduldsprobe. Üblicherweise ist die Bearbeitung ihrer Einkommensteuererklärungen in maximal vier bis sechs Wochen erledigt. Für das Veranlagungsjahr 2009 benötigen die ­Finanzämter aktuell bis zu vier Monate. "Die Steuerformulare sind umfangreich und kompliziert wie nie - und die Angaben zu Kapitalerträgen deshalb oftmals falsch und unvollständig", kritisiert Dieter Ondracek, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft. Die Sachbearbeiter müssten vieles von Hand nacharbeiten.

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Zudem fehlen in vielen Erklärungen noch immer die Steuerbescheinigungen der Banken. Darin listen die Institute auf, welche Erträge und Verluste Depotkunden mit ihren Kapitalanlagen erzielten. Doch einige Banken schafften es wegen Softwareproblemen nicht, alle Vorgaben des Bundesfinanzministeriums zur Abgeltungsteuer rechtzeitig zum Abgabestichtag 31. Mai 2010 umzusetzen. Bankbescheinigungen werden deshalb auch noch im Juni verschickt.

Anleger können in dem Fall formlos eine Fristverlängerung beim Finanzamt beantragen. Das Grundübel - Verkomplizierung statt Vereinfachung der Besteuerung - bleib jedoch besonders bei Zertifikaten, Optionsscheinen und Bonds bestehen. "Besonders bei Zertifikaten verstehen mittlerweile selbst Fachleute nicht mehr alle Details", warnt der Münchner Steuerexperte Reinhard Friedl von der KB Vermögensverwaltung. Die größte Schwierigkeit bereiten bei dieser Wertpapierart die komplizierten Übergangsregelungen der Pauschalsteuer. Der Fiskus behandelt Zertifikate anders als Aktien, Fonds und festverzinsliche Wertpapiere. Deren Verkaufsgewinne sind steuerfrei, sofern Anleger diese bis zum 31. Dezember 2008 gekauft und mindestens ein Jahr im Depot gehalten haben.

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Für Zertifikate ist der Termin für steuerfreie "Altfälle" dagegen der vorgezogene Kaufstichtag 14. März 2007. "Bei späterem Erwerb gilt die Steuerfreiheit nur noch, wenn die Zertifikate bis zum 30. Juni 2009 verkauft wurden und die einjährige Spekulationsfrist dann abgelaufen war", erklärt Friedl. Kleiner Trost: "Anleger müssen für Gewinne aus Zertifikaten, die sie nach dem 14. März 2007 erworben und ab 1. Juli 2009 wieder verkauft haben, zwar Abgeltungsteuer zahlen, können aber zumindest mögliche Verluste verrechnen."

Wichtig: Zertifikate, die eine Kapitalgarantie bieten, gelten als "Finanzinnovationen" und fallen nicht unter diese Übergangsregelungen. Durch Verkauf oder Einlösung realisierte Wertsteigerungen unterlagen schon bisher der Besteuerung, auch wenn diese erst nach Ablauf der Spekulationsfrist erfolgten. Neben diesen Fristen droht Zertifikate­besitzern auch bei Depotüberträgen eine unangenehme Überraschung: "Zwischen Banken werden in vielen Fällen keine Einstandsdaten für Zertifikate übertragen", warnt Steuerexperte Friedl. "Beim späteren Verkauf muss die neue Depotbank dann pauschal auf 30 Prozent des Rückzahlungserlöses die 25-prozentige Abgeltungsteuer abführen." Gleiches kann auch passieren, wenn Zertifikate bankintern übertragen wurden. Eine Korrektur ist in allen diesen Fällen nur mit der Steuererklärung möglich.

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Vorsicht bei Discountzertifikaten

Wenig kooperationsbereit zeigt sich die Finanzverwaltung auch bei den beliebten Discountzertifikaten, bei denen Anleger ein Anrecht auf eine Aktie zu einem unter dem aktuellen Kurs liegenden Preis (Discount) erhalten, gleichzeitig aber auf die Chance eines Kursanstiegs über eine festgelegte Höhe (Cap) hinaus verzichten. Nun will der Fiskus eine vorteilhafte Verlustverrechnungsmöglichkeit für Anleger streichen: Der Umtauschverlust konnte bislang als "negative Kapitaleinnahme" sofort mit Zinsen, Dividenden oder Gewinnen aus anderen Wertpapieren verrechnet werden. Abgeltungsteuer wurde dann nicht fällig.

"Anleger stehen bei Verlusten jetzt deutlich schlechter da, wenn der Emittent bei Fälligkeit der Zertifikate statt des Nennwerts die im Kurs gefallenen Aktien ins Depot bucht", erklärt Friedl. Denn dieses Umtauschminus können sie zunächst einmal nicht mehr steuerlich geltend machen. Dieser fiskalische Nachteil ist bereits im Entwurf zum Jahressteuergesetz 2010 festgeschrieben.


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"Der ehemals höhere Anschaffungspreis für das Zertifikat geht als fiktiver Kaufkurs auf die neu erhaltenen Aktien über", erläutert Steuerexperte Friedl. Werden die Papiere anschließend mit Verlust verkauft, kann dieses Minus nicht mit anderen Kapitaleinnahmen verrechnet werden, sondern nur noch mit Gewinnen aus Aktien. "Sollte der Besitzer der Zertifikate ansonsten keine Aktien im Depot haben, kann er mit dem Verlust überhaupt nichts anfangen", warnt Friedl. Er kann allenfalls darauf hoffen, dass die von ihm gehaltenen Discountzertifikate im Kurs zulegen und künftig den Kaufkurs des Derivats erreichen. Dann kann er steuerlich und wirtschaftlich immerhin ein Nullgeschäft verbuchen, wenn er die Aktien beim "Break-Even" verkauft. Im Klartext: Liefert der Emittent bei Fälligkeit des Zertifikats die im Kurs gefallenen Aktien, gelten jetzt die gleichen ungünstigen Regelungen wie bei der Aktienanleihe. Die Andienung der Aktien ist künftig "steuerneutral", und ein damit verbundener Verlust - der Kurswert der gelieferten Aktien ist geringer als die Anschaffungskosten des Zertifikats - ist dann steuerlich nicht mehr relevant.

Selbst wenn das Umtauschminus deutlich über den Kapitalerträgen im Jahr liegt, behält die Bank auf die positiven Einnahmen Abgeltungsteuer ein. Die Gesetzesänderung verpflichtet die Banken allerdings nicht, diese neu geregelte Praxis noch rückwirkend für 2009 umzusetzen. Im laufenden Jahr könnten Anleger demnach Minuszertifikate steuersparend kurz vor Fälligkeit verkaufen. Dann fallen Verluste kaum geringer aus, lassen sich aber sofort verrechnen.

Lesen Sie, welche steuerlichen Fallstricke es bei Termingeschäfte und Bundesschatzbriefen gibt

Auch Inhaber von Optionsscheinen müssen bei der Verlustverrechnung auf der Hut sein. "Verfallen sogenannte Knock-out-Papiere wertlos, wird der entstandene Totalverlust nicht in den Verrechnungstopf eingebucht", erklärt die Münchner Steuerberaterin Birgit Hosemann: Ein steuerrelevanter Verlust entsteht nur, wenn eine Veräußerung zu einem Preis stattfindet. Ähnliche Probleme gibt es bei den sogenannten Stillhaltergeschäften - der Verkauf von Kaufoptionen auf bestehende Aktienpositionen oder von Verkaufsoptionen unter Beachtung des zum Kauf der Aktien notwendigen Geldbetrags. "Der im Verlustfall gezahlte ‚negative Barausgleich‘ kann nicht steuermindernd verrechnet werden, Gewinne unterliegen aber in voller Höhe der Abgeltungsteuer", kritisiert Hosemann.

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Schließlich müssen Anleger bei Zero-Bonds, Bundesschatzbriefen vom Typ B und Sparbriefen auf Steuerfallen achten: Zinserträge werden nach Anweisung des Bundesfinanzministeriums dem Sparer in das Jahr zugeordnet, in das sie wirtschaftlich gehören. "Damit ist für den Zufluss nicht der Zeitraum maßgebend, für den die Zinsen gezahlt werden, sondern der Fälligkeitstermin", erklärt der Landshuter Steuerberater Patrick Lerbs.

Zu den charakteristischen Merkmalen dieser Wertpapiere zählt, dass ihre Zinskupons während der Laufzeit steigen. Die Zinsen werden aber erst bei Fälligkeit oder beim Verkauf über den realisierten Gewinn steuerlich erfasst. Der Vorteil: "Altverluste aus Spekulationsgeschäften lassen sich mit dem Verkaufsgewinn verrechnen", erläutert Lerbs.

Eine steuerliche Gestaltungsoption, die bei laufenden Zinseinkünften nicht zulässig ist. Für Anleger zu beachten: Diese Verluste sind nur bis Ende 2013 verrechenbar. Anleger sollten aber penibel prüfen, ob sie für diese Option anderweitig Gewinne realisieren - oder ob die damit verbundenen Transaktionskosten nicht höher sind als die Steuerersparnis. Wer als Zertifikate-Besitzer oder Derivate-Inhaber mit seiner Steuererklärung 2009 die Anlage KAP beim Finanzamt einreicht, muss einen weiteren Fallstrick beachten. "Nicht in jedem Fall ist garantiert, dass das Finanzamt dann die Anlage KAP auch tatsächlich bearbeitet", warnt Steuerberaterin Hosemann.

Nur auf ausdrücklichen Antrag (Zeile 4 der Anlage KAP) führt der Fiskus eine sogenannte Günstigerprüfung durch. "Stellt sich heraus, dass ein Sparer mit seinem Steuersatz besser gestellt ist, erfolgt die Besteuerung der Kapitalerträge im Steuerbescheid, und die bereits einbehaltene Abgeltungsteuer wird angerechnet", erklärt Hosemann. Für deren Berücksichtigung ist notwendig, dass die Steuerbescheinigung der Bank über die einbehaltene Abgeltungsteuer im Original beim Finanzamt eingereicht wird.

Hoffnungsschimmer bietet auch ein Musterverfahren des Bunds der Steuerzahler beim Finanzgericht Münster (Az. 6 K 1847/10 E), das bald vor dem Bundesfinanzhof landen dürfte. Seit Einführung der Abgeltungsteuer können Werbungskosten, die im Zusammenhang mit Kapitalanlagen stehen, nicht gesondert geltend gemacht werden und sind mit dem Sparerpauschbetrag (801 Euro Singles, 1602 Euro zusammen veranlagte Ehepaare) abgegolten. Davon würden besonders Anleger profitieren, die Wertpapiere auf Kredit gekauft haben und Schuldzinsen derzeit nicht mehr abziehen können. Zumindest hier kann sich das Warten lohnen. _

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Trotz Nachbesserungen bleibt die Abgeltungsteuer kompliziert. Wo drohen Anlegern die größten Nachteile?
Birgit Hosemann:
Bei Knock-out-Zertifikaten sind Totalverluste überhaupt nicht verrechenbar - bei Gewinnen aber kassiert der Fiskus die Pauschalabgabe.

Gibt es einen Gestaltungskniff?
Hosemann:
Ja, eine Vereinbarung mit der Depotbank, dass beim Knock-out-Ereignis ein Minimalbetrag - zum Beispiel 0,001 Euro pro Anteil - zurückgezahlt wird. Ob so ein Verkauf anerkannt wird und daraus entstehende Verluste absetzbar sind, ist aber höchstrichterlich nicht geklärt. Die Oberfinanzdirektion Münster etwa lehnt das für NRW ab.


Birgit Hosemann

Was kann man in dem Fall tun?
Hosemann:
Mit Hinweis auf das beim Bundesfinanzhof anhängige Verfahren Einspruch einlegen - und Ruhen des Verfahrens beantragen (Az. IX R 50/09).

Gibt es sonst Ungerechtigkeiten?
Hosemann:
Auch bei Stillhalterge- schäften ist das Pauschalsteuersystem schief: Der vom Anleger gezahlte Bar- ausgleich auf eine Option wird nicht steuermindernd berücksichtigt, Gewinne aus derartigen Geschäften unterliegen dagegen voll der Abgeltungsteuer.

Wie deklariert man Erträge aus Stillhaltergeschäften ab 2009 korrekt, wenn man sie mit Altverlusten aus Stillhaltergeschäften verrechnen will?
Hosemann:
Anleger müssen in Zeile 10 (Kästchen 23) der Anlage KAP den positiven Saldo von Einnahmen und Ausgaben aus ihren Stillhaltergeschäften eintragen und in Zeile 60 einen Antrag auf Verlustverrechnung stellen. Belege dafür sind nur auf Anfrage beizufügen.

Stefan Rullkötter

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