Krankheitskosten: So bekommen Sie Ihr Geld vom Fiskus zurück
In Steuerbescheiden sind außergewöhnliche Belastungen oft falsch berücksichtigt worden. Nun gibt’s die Erstattung von Finanzamt. Wie es geht.
von Martin Reim und Stefan Rullkötter, Euro am Sonntag
Zahlreiche Steuerzahler erhalten in diesen Tagen und Wochen erfreuliche Post vom Fiskus. Das Bundesministerium für Finanzen (BMF) bestätigte auf Anfrage von €uro am Sonntag, dass 1,6 Millionen Bürger mit einer Steuererstattung rechnen können. Rund 25 Prozent von ihnen bekommen sogar Beträge von 100 Euro und mehr überwiesen.
Ursache für den fiskalischen Geldsegen ist, dass Finanzämter den Eigenanteil von Patienten bei deklarierten Krankheits- und Pflegekosten, die sogenannte zumutbare Belastung, in vielen Bescheiden steuerlich zu gering berücksichtigt haben.
Erfolgreiche Musterklage
Damit setzt die Finanzverwaltung ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) aus dem Vorjahr um. Im entschiedenen Fall (Az. VI R 75/14) hatte ein Freiberufler mit seiner Ehefrau Krankheitskosten von 4148 Euro pro Jahr als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht. Da die Ehepartner zusammen Einkünfte von über 51.130 Euro erzielten, berechnete das Finanzamt die zumutbare Belastung unter Anwendung des höchstmöglichen Prozentsatzes von vier Prozent. Die Krankheitskosten wirkten sich daher nur noch mit einem Betrag von 2.069 Euro steuermindernd aus.
Die Musterkläger hatten gefordert, dass ihre Gesamteinkünfte anders berechnet werden müssten. Das lehnte der BFH ab, kippte aber das Berechnungsverfahren und ersetzte es durch ein neues Stufenmodell (siehe Kasten links). Statt zusätzlich wie gefordert 1.100 Euro können die Kläger nun immerhin weitere 664 Euro Krankheitskosten steuermindernd verrechnen.
Deshalb bekommen nun auch vergleichbar Betroffene, die beispielsweise Aufwendungen für Kuren, Hörgeräte oder Pflegeleistungen in ihrer Einkommensteuererklärung geltend gemacht haben, zu viel gezahlte Abgaben erstattet. Und das nicht nur für aktuelle Veranlagungsverfahren, sondern rückwirkend bis zum Jahr 2013.
Zu verdanken haben sie die verhältnismäßig lange Rückwirkung allerdings nicht den Musterklägern: Seit Ende August 2013 durften Finanzämter den Eigenanteil bei Krankheits- und Pflegekosten in Steuerbescheiden nur noch vorläufig festsetzen, weil andere Steuerzahler den Abzug des Eigenanteils insgesamt für unzulässig hielten und dagegen rechtliche Schritte einleiteten. Zwei Verfassungsbeschwerden sind dazu derzeit noch in Karlsruhe anhängig (Az. 2 BvR 221/17; 2 BvR 1936/17).
Keine neuen Anträge nötig
Ein gesonderter Antrag oder eine Rückmeldung des Steuerpflichtigen bei seinem Wohnsitzfinanzamt ist nicht erforderlich: "Die geänderte Berechnungssystematik wird in diesen Fällen von Amts wegen berücksichtigt", sagt BMF-Pressesprecher Daniel Fehling.
Wann genau die Betroffenen das Geld erhalten, ist offen: "Da die Steuerverwaltung grundsätzlich Sache der Bundesländer ist, entzieht es sich unserer Kenntnis, zu welchem Zeitpunkt die Bescheidänderungen durchgeführt werden", sagt Fehling. Dies entscheiden die Bundesländer in eigener Zuständigkeit.
Steuern sparen
Außergewöhnliche
Belastungen
Krankheits- und Pflegekosten sind außergewöhnliche Belastungen und nicht voll von der Steuer absetzbar. Das Finanzamt berücksichtigt sie abhängig von der Höhe der Einkünfte und der Anzahl der Kinder.
Zumutbarer Eigenanteil In der Regel machen Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen in ihrer Einkommensteuererklärung in voller Höhe geltend. Der Ausgabenabzug ist nur dann zulässig, wenn Betroffene über einen "zumutbaren Eigenanteil" hinaus belastet werden. Der Fiskus rechnete in der Vergangenheit bei Überschreiten der gesetzlich vorgegebenen drei Einkommenstarife (bis 15.340 Euro, bis 51.130 Euro und darüber) den jeweils höheren Prozentsatz bisher starr auf den Gesamtbetrag der Einkünfte an. Je höher die Einkünfte ausfallen, desto höher sind auch dieser Prozentwert und der errechnete Eigenanteil des Patienten.
Stufengrenzbetrag Nach einem Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs muss der zumutbare Eigenanteil nicht starr, sondern stufenweise ermittelt werden: Für drei Einkunftsstufen sind demnach bestimmte Prozentwerte festzusetzen: Von den ersten 15.340 Euro sind nur zwei Prozent (306,80 Euro) aufzubringen, von den nächsten 35.790 Euro drei Prozent (1073,70 Euro) und erst bei den Einkünften oberhalb 51.130 Euro vier Prozent.
Folgen der Neuberechnung Die geänderte Berechnungssystematik führt zu einem niedrigeren zumutbaren Eigenanteil. Der höchste Prozentwert fällt nur für den Einkommensanteil in der höchsten Stufe an, auf den Teil des Einkommens, der mehr als 51.130 Euro beträgt - analog zur Berechnung der Einkommensteuer. Dieser Modellberechnung liegt das Jahr 2017 zugrunde. Im Ergebnis wirken sich Krankheits- und Pflegekosten schon ab einem geringeren Betrag aus. Außerdem wirkt der höhere Kostenanteil steuermindernd.
Automatische Anpassung Sämtliche
Einkommensteuerbescheide sind bereits
seit Ende August 2013 wegen des Abzugs von Aufwendungen für Krankheit und Pflege vorläufig ergangen. Nachberechnungen und Bescheidänderungen können deshalb für mehrere Kalenderjahre erforderlich sein und sind rückwirkend bis zum Veranlagungsjahr 2013 möglich.
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