Euro am Sonntag

Rios Bürgermeister Paes: Sambatänzer mit deutscher Seele

01.08.16 03:00 Uhr

Rios Bürgermeister Paes: Sambatänzer mit deutscher Seele | finanzen.net

Mitten in Brasiliens Wirtschafts- und Politikkrise muss Rio de Janeiros Bürgermeister Eduardo Paes die Olympischen Spiele zum Erfolg führen. Gelingt ihm das, könnte der ehrgeizige Politiker sogar einmal Präsident Brasiliens werden. Ein Besuch.

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von S. Gusbeth, Euro am Sonntag

Die Leute sagen, dass ich die Seele eines Deutschen habe", sagt Eduardo Paes, und es klingt stolz. Sehr diszipliniert und rigoros, so beschreibt sich der Bürgermeister von Rio de Janeiro. Wie zum Beweis hat er die Ärmel seines blütenweißen Hemds mit dem Stadtemblem auf der Brust hochgekrempelt, so als könne er jederzeit mit anpacken.



Die meisten Brasilianer hätten keine Disziplin, schimpft der 46-Jährige und nennt als Beispiel den Bau der olympischen Radrennbahn, die als letzte der olympischen Stätten fertig wurde. Neun Deutsche haben daran mitgearbeitet, jeden Tag von acht Uhr morgens bis vier Uhr am Nachmittag, eine Stunde Mittagspause. "Wenn die Deutschen arbeiten, arbeiten sie", schwärmt Paes. Von den 500 Brasilianern auf der Baustelle dagegen "schauen 300 auf ihr Handy, 100 schlafen und 100 tun so, als würden sie arbeiten", ärgert er sich. Er glaubt, dass Brasilien ein "kleiner Deutschland-Schock" ganz guttäte.

Fleißiger Sambatänzer

Paes selbst kommt jeden Morgen um sieben Uhr in sein Büro im 14. Stock der Stadtverwaltung der Sechs-Millionen-Metropole Rio, der zweitgrößten Stadt Brasiliens. Vor acht oder neun Uhr abends geht er nicht nach Hause. Nur die Wochenenden versucht er sich frei zu halten. Dann tanzt er Samba und trommelt in der traditionsreichen Sambaschule Portela, wie es sich für einen echten "Carioca", so nennen sich die Einwohner Rios, gehört.

Doch in den Wochen vor der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele ist der Bürgermeister kaum noch zum Tanzen gekommen. Selbst während des Gesprächs tippt er immer wieder Nachrichten in sein silberfarbenes iPhone, gibt Anweisungen. Mit seinen Mitarbeitern kommuniziert er über den Nachrichtendienst WhatsApp. Um das Pensum durchzuhalten, trinkt er Unmengen an "Cafezinho", den brasilianischen Espresso, und raucht Zigarillos. Seine Mitarbeiter haben ihm eine große Wanduhr in Form ­eines Rauchverbotszeichens geschenkt. Es hängt hinter seinem Schreibtisch, aber es hilft nichts. Paes steht unter Druck. Er will, dass die Olympischen Spiele reibungslos funktionieren. Denn seine Stadtverwaltung ist verantwortlich für die Durchführung des größten Sport­ereignisses der Welt.

Keine Jubelstimmung

Die Herausforderung ist umso größer, da Brasilien ausgerechnet im Olympiajahr in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit 100 Jahren steckt. Durch den Verfall der Rohstoffpreise seit Mitte 2014 ist die wichtigste Einnahmequelle der brasilianischen Wirtschaft versiegt. Nun schrumpft die Wirtschaft das zweite Jahr in Folge um über vier Prozent. In der Regierung tobt ein heftiger Machtkampf, der das Land lahmlegt. Seit Mai läuft ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff, die der Arbeiterpartei PT angehört. Ihr ehemaliger Koalitionspartner Michel Temer von der demokratischen PMDB-Partei, der auch Paes angehört, hat eine Übergangsregierung gebildet. Doch zahlreiche führende Politiker beider Parteien sind in einen milliardenschweren Korruptionsskandal verwickelt.


Durch die Krise und die damit verbundene Finanznot sind auch ­einige von Paes’ Prestigeprojekten nicht mehr oder erst kurz vor der Eröffnungsfeier am Freitag fertig geworden. Etwa die Verlängerung der U-Bahnlinie 4 zum Olympiapark, die nur wenige Tage vor dem Start der Spiele ihren, immer noch eingeschränkten, Betrieb aufnahm. Oder der Olympia-Fahrradweg entlang der spektakulären Steilküste, der vom Zentrum im Süden vorbei am berühmten Strandabschnitt Copacabana bis ins Olympia-Viertel Barra führt. Im April stürzte er ein, nur drei Monate nach der Eröffnung, und riss zwei Menschen in den Tod. Dabei sollte der Radweg ein Symbol sein, wie sehr sich Rio durch die Olympischen Spiele wandelt.

Verärgert reibt Rios Stadtoberhaupt seinen braun gebrannten Ellbogen. "Das Bild, das die internationale Öffentlichkeit derzeit von Rio hat, ist nicht gut", muss er eingestehen. Dabei wollte er allen das Gegenteil beweisen - und sich selbst als erfolgreichen Macher präsentieren.

Vermächtnis von Olympia

Spiele fürs Volk hatte Eduardo Paes angekündigt. Er hat seine Lehren gezogen aus den Protesten der Brasilianer gegen die Milliarden­ausgaben für die Stadien der Fußballweltmeisterschaft vor zwei Jahren, die nun meist leer stehen. Dieses Mal soll der Großteil der öffentlichen Gelder von umgerechnet rund zehn Milliarden Euro in den sogenannten "Vermächtnisplan" fließen. Von den 27 Projekten, die der Plan umfasst, sollen die Cariocas auch dann noch profitieren, wenn die Athleten wieder abgereist sind.


Zum Vermächtnis von Olympia gehören unter anderem 150 Kilometer neue Schnellbustrassen, 26 Kilometer Tram- und 16 Kilometer U-Bahnlinie, die das immense Stauproblem zumindest teilweise mildern sollen. Zudem wurde der Stadtteil Deodoro im Westen Rios an die städtische Abwasserversorgung angeschlossen, das heruntergekommene Hafenviertel im Zentrum he­rausgeputzt und die größte Müllhalde Lateinamerikas geschlossen, zählt Paes auf. "Das waren alles Projekte, die die Stadt schon lange gebraucht hat", betont er. "Wir haben die Spiele genutzt, um sie endlich durchzuführen." Er glaubt, dass Rio dadurch gleicher und gerechter wird. Die neue Infrastruktur nutze vor allem den ärmsten Bewohnern der Stadt, betont Paes, der als Sohn eines Anwalts im wohlhabenden Viertel Jardim Botânico in Rios reichem Süden aufgewachsen ist.

Uncharmanter Gegenangriff

Doch erst einmal müssen die Olympischen Spiele und die Paralympics ohne Zwischenfälle über die Bühne gehen. Wie dünnhäutig der sonst so souverän wirkende Paes dabei auf Kritik reagiert, zeigte seine Antwort auf die Beschwerde der australischen Athleten über die massiven Mängel im Olympischen Dorf. Er könne ja "ein Känguru vor dem Gebäude aufstellen, damit sie sich zu Hause fühlen", erwiderte er unwirsch. Die Reaktion ist typisch für den Stadtpolitiker. Bei Kritik an seinem Werk geht er, der sonst mit seinem Charme nicht spart, zum Gegenangriff über.

Dem Vorwurf, dass vor allem reiche Cariocas und Baukonzerne von den Olympischen Spielen profitieren, entgegnet er forsch: "Nennen Sie mir ein Projekt, von dem nur die Reichen profitieren. Nennen Sie mir eines."

Just das von den Athleten so kritisierte Olympische Dorf ist ein solches Beispiel. Dort, im In-Viertel Barra de Tijuca, sollen nach den Spielen Luxusapartments entstehen, gut ans Zentrum angeschlossen mit der neuen U-Bahnlinie 4, entwickelt und vertrieben von Baukonzernen, die auch an vielen anderen olympischen Projekten beteiligt waren.

"Das olympische Dorf zählt nicht zum Vermächtnisplan", blafft Paes. Er habe die Unterkünfte der Athleten in einer reichen Gegend bauen lassen, "weil wir keine öffentlichen Gelder dafür verschwenden wollten". Deshalb habe er private Unternehmen mit dem Bau beauftragt.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Kritiker sehen jedoch einen Zusammenhang zwischen den hohen Wahlspenden beteiligter Unternehmen und der Auftragsvergabe. So unterstützte einer der Bauunternehmer Paes’ Wiederwahlkampagne 2012 mit umgerechnet rund 180.000 Euro. Seit Mai untersucht die Staatsanwaltschaft, ob es im Zuge der Olympischen Spiele Korruption gegeben hat.

Dadurch wird der Saubermann Paes in die Ermittlungen rund um den milliardenschweren Korruptionsskandal hineingezogen, der seit mehr als zwei Jahren das Land erschüttert. "Lava Jato", Autowäsche, nennen die Brasilianer die Nachforschungen der Staatsanwaltschaft.

Gigantischer Korruptionsskandal

Im Mittelpunkt des Skandals stehen die großen Baukonzerne des Landes. Sie haben in den Jahren 2002 bis 2012 ein Kartell gebildet, das beim Bau von Raffinerien und anderen Großprojekten dem halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras überhöhte Rechnungen gestellt hat. Die Mehreinnahmen wurden als Bestechungsgelder an korrupte Petro­bras-Manager und Politiker aller Parteien verwendet.

Gegen mehr als 500 Personen wird im Zuge des Korruptionsskandals ermittelt. Zahlreiche, teils hochrangige Politiker mussten bereits zurücktreten. Ob die Vergabe anderer Großprojekte ebenfalls durch Korruption beeinflusst wurde, wird derzeit untersucht.

Bürgermeister Paes gibt sich betont gelassen: "Ich versuche, die Dinge hier korrekt durchzuführen." Und wie als Beweis, dass alle Vorwürfe an ihm abperlen, fügt er staatsmännisch hinzu: "Zweifellos ist Korruption das größte Problem in der brasilianischen Politik." Er lobt die Lava-Jato-Ermittlungen. "Zum ersten Mal in der Geschichte Brasiliens werden Reiche und Mächtige festgenommen", sagt er. Das sei ein positiver Wandel.

"Cara de pau", Holzgesicht, nennen die Brasilianer Politiker, die sich schadlos halten und dabei nicht eine Miene verziehen. Ob Paes in diese Kategorie fällt, müssen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zeigen. Er selbst betont, dass er hart daran arbeite, "dass keine Flecken auf mein weißes Hemd kommen".

Flucht nach vorn

Derweil schmiedet er bereits Pläne für die Zeit nach den Olympischen Spielen. Im Dezember endet seine zweite und letzte Amtszeit als Bürgermeister von Rio. Am 1. Januar geht er nach New York. An der Columbia Universität werde er ein Programm für Bürgermeister aus Me­tropolen anbieten. Und danach kommt er vielleicht nach Deutschland. Immerhin hat er zwei Jahre lang Deutsch gelernt, auch wenn dabei "nichts hängen geblieben ist", bedauert er. Seine beiden Kinder gehen auf die deutsche Schule.

Ein längerer Auslandsaufenthalt hätte auch den Vorteil, dass sich die Wogen in Brasilien glätten können. Schließlich ist Paes erst 46 Jahre alt und ihm werden durchaus Ambitionen auf das höchste Amt des Staates nachgesagt. "Niemals, niemals", wehrt er die Frage, wann er Präsident werde, mit einem koketten Grinsen ab.

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Bildquellen: Filipe Frazao / Shutterstock.com, Rio de Janeiro

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