Euro am Sonntag-Meldung

Verbraucherschutz: Zusammen sind wir weniger allein

27.05.18 16:00 Uhr

Verbraucherschutz: Zusammen sind wir weniger allein | finanzen.net

Mit Musterfeststellungsklagen will die Bundesregierung die Rechte geschädigter Verbraucher stärken. Konzerne vom Kaliber VW haben dennoch kaum Grund zur Sorge.

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von Bernhard Bomke, Euro am Sonntag

Am 9. Mai 2018 hatte Katarina Barley ihren ersten großen Auftritt als Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz. Knapp zwei Monate nach ihrem Amtsantritt präsentierte die 49-Jährige ihren Gesetzentwurf zur Einführung einer Musterfeststellungsklage zum Schutz der Rechte geschädigter Verbraucher. Dass die Ministerin, von Haus aus Juristin, es mit dem Gesetzesvorstoß vergleichsweise eilig hatte, geht auf den 18. September 2015 zurück.



Seinerzeit machte die US-Umweltbehörde EPA publik, dass der deutsche Autobauer Volkswagen die Abgaswerte bei einigen seiner Dieselmodelle manipuliert hatte. Sie stießen ein Vielfaches der Schadstoffe aus, die VW vorgegaukelt hatte. Fast eine halbe Million solcher Fahrzeuge waren in den USA unterwegs. Der Betrug kam den Wolfsburger Konzern, der bis dato als eines der Vorzeigeunternehmen Deutschlands gegolten hatte, teuer zu stehen. Allein an betroffene Autofahrer in den Vereinigten Staaten zahlten die Niedersachsen seither mehr als sieben Milliarden US-Dollar. In Deutschland dagegen gehen die meisten Autofahrer, die ebenfalls mit manipulierten Fahrzeugen von VW unterwegs sind, bislang leer aus.

Das hat nach Einschätzung von Verbraucherschützern vor allem damit zu tun, dass hierzulande die Form der in den USA gängigen Sammelklagen nicht existiert. Die wird es hierzulande auch weiterhin nicht geben. Doch mit der geplanten Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage soll die Hürde für Verbraucher gesenkt werden, sich gegen Unternehmen zu wehren, die ihnen Schaden zugefügt haben. Das können Stromkunden sein, die ihrem Energieversorger unzulässige Gebühren zahlen sollen, Patientinnen, die unter verpfuschten Brustimplantaten leiden, oder Besitzer von Dieselautos, die dachten, mit einem sauberen Modell unterwegs zu sein, das sich in Wirklichkeit als Dreckschleuder entpuppte. Sie haben künftig die Möglichkeit, sich an rund 30 verbraucherorientierte Verbände (zum Beispiel Deutscher Mieterbund, ADAC oder Verbraucherzentrale Bundesverband) zu wenden, die für Geschädigte auf Musterfeststellung klagen können (siehe unten).


"Mit Blick auf VW gibt es extremen Zeitdruck", sagt Otmar Lell, Rechtsexperte beim Verbraucherzentrale Bundesverband. "Das Gesetz muss am 1. November 2018 in Kraft treten, damit in diesem Jahr noch eine Klage gegen VW erhoben werden kann. Die Ansprüche der Geschädigten verjähren zum 31. Dezember 2018. Nur wenn die Klage davor erhoben wird, kann die verjährungshemmende Wirkung der Musterfeststellungsklage noch greifen, und nur dann haben die Geschädigten noch etwas von der Klage."

"Für VW überschaubar"

Doch das Gesetz in spe wird nach Lells Einschätzung für geschädigte Verbraucher kaum Wunder wirken. "Die Erfahrung zeigt, dass sich nur ein geringer Prozentsatz der Betroffenen solchen Klagen anschließt", erklärt er. "Das macht die Sache für VW überschaubar." Als Beleg nennt er Erfahrungen aus der Nachbarschaft. "In Österreich, wo es bereits Sammelklagen gibt, schließen sich in der Regel nur etwa fünf Prozent der Berechtigten solchen Klagen an." Das wären im Fall VW etwa 100.000 Personen. Kein Grund also für die VW-Manager, zu erzittern. Schadenersatzzahlungen in Milliardenhöhe wie in den USA haben sie somit kaum zu befürchten.

Würde der ADAC gegen VW klagen?

Die Bundesregierung rechnet mit jährlich etwa 450 Musterfeststellungsklagen von Verbraucherverbänden. Das wären im Schnitt 15 Verfahren pro Organisation. Da stößt so mancher Verband an seine Grenzen. "Wir können keine große Zahl solcher Musterfeststellungsverfahren stemmen", sagt Lell. "Ein halbes Dutzend Fälle pro Jahr wäre eher schon zu viel, zumal sich die meisten Verfahren mehrere Jahre hinziehen. Und dann stellt sich die Frage, wie viel Aufwand nach der Musterfeststellung noch entsteht und welche Haftungsrisiken auf uns zukommen."

Bleibt die Frage, ob der Automobilclub ADAC eine solche Klage für geschädigte Autofahrer gegen einen Autobauer wie VW überhaupt führen würde. Markus Schäpe, Leiter der Juristischen Zentrale des ADAC, bleibt auffallend schwammig: "Selbstverständlich setzt sich der ADAC im Gesetzgebungsvorhaben weiterhin intensiv für die Verbraucherinteressen ein. Die hausinternen Entscheidungen, in welcher Weise der ADAC die neuen Möglichkeiten nutzen wird, werden sich daran anschließen." Klingt ganz so, als sollten es Diesel-Geschädigte vielleicht besser mit dem Deutschen Mieterbund versuchen.

Das Verfahren:

Der Gesetzentwurf zur Einführung einer Musterfeststellungsklage soll die Stellung geschädigter Verbraucher gegenüber Unternehmen stärken. Wer sich bislang scheute, das volle Risiko einer Schadenersatzklage auf sich zu nehmen, wird den Plänen zufolge ab dem 1. November 2018 die Chance haben, zu Beginn einen von etwa 30 verbraucherorientierten Verbänden einzuschalten, um seine Interessen zu vertreten. Wenden sich mindestens zehn Verbraucher in gleicher Sache an einen solchen Verband, kann dieser beim zuständigen Landgericht auf Musterfeststellung klagen, ohne dass den Geschädigten Kosten entstehen. Tragen sich nach Bekanntgabe der Musterfeststellungsklage binnen zwei Monaten mindestens 50 gleichermaßen Betroffene in ein beim Bundesjustizministerium geführtes Klageregister ein, nimmt sich ein Gericht der Klage an.

Bestätigt das Gericht den Mangel und erkennt es in diesem ein einheitliches Muster, von dem die registrierten Geschädigten betroffen sind, bleiben zwei Möglichkeiten. Variante 1: Das beschuldigte Unternehmen gibt dem Druck durch das richterliche Urteil nach und einigt sich mit den registrierten Kunden auf einen Vergleich. Variante 2: Die registrierten Geschädigten klagen ihren Schadenersatz auf Basis des gerichtlich bestätigten Mangels selbst ein. Ab diesem Zeitpunkt sind sie - wie bislang von Anfang an - auf sich gestellt und müssen etwaige Kosten für Gericht und Anwalt selbst tragen.



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