Revolution der privaten Vorsorge
Die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre bringt nicht die Lösung des Rentenproblems. Denn auch wer länger als bis zum 67. Lebensjahr arbeitet, muss zusätzlich vorsorgen, um den Lebensstandard im Alter zu halten.
von Ferdinand-Alexander Leisten, Gastautor von Euro am Sonntag
Arbeiten bis zum Alter von 70 Jahren, um die Rente zu sichern - diese Debatte schlägt hohe Wellen. Sie polarisiert Parteien, Experten und Arbeitnehmer. Die Idee scheint einfach: Gehen Arbeitnehmer statt mit 67 erst mit 70 Jahren in den Ruhestand, dann würde die gesetzliche Rente wieder ein Niveau erreichen, mit dem sie ihren Lebensstandard besser absichern könnten. Doch eine Studie der Ruhr-Universität Bochum im Auftrag von Fidelity International zeigt: Durch eine Verlängerung der Arbeitszeit von 67 auf 70 Jahre wird die Rentenlücke zwar kleiner, doch auch dann führt kein Weg an einer zusätzlichen privaten oder betrieblichen Altersvorsorge vorbei.
Auf Basis typischer Erwerbsbiografien ermittelt die Studie für verschiedene Berufsgruppen jeweils die Rentenlücke für einen Renteneintritt mit 67 und 70 Jahren. Die Rentenlücke bezeichnet den Abstand zwischen der gesetzlichen Rente und dem Einkommen im Alter, das den Lebensstandard sichert. Als lebensstandardsichernd gilt dabei ein Alterseinkommen, das beim Renteneintritt auf Nettobasis 85 Prozent des verfügbaren Einkommens im letzten Erwerbsjahr erreicht.
Politik muss mit Anreizen
zum Investieren motivieren
Dazu ein Beispiel: Ein verheirateter Facharbeiter, der 1975 geboren wurde, ein Kind hat und in Steuerklasse III jährlich 38.899 Euro verdient, kommt netto derzeit auf 2.308 Euro im Monat. Bevor er mit 67 Jahren in Rente gehen würde, hätte er ein voraussichtliches monatliches Nettoeinkommen von 2922 Euro. Seine Rente läge netto bei 1.645 Euro. Die Rentenlücke würde 840 Euro pro Monat betragen. Würde er drei Jahre länger arbeiten, hätte er eine Rente von 2.019 Euro zu erwarten. Es bliebe noch immer eine Lücke von 590 Euro monatlich. Konkret heißt das: Der Facharbeiter müsste ab sofort jeden Monat 230 Euro zurücklegen, um seinen Lebensstandard zu halten. Bei einem Renteneintritt mit 67 Jahren wären es 393 Euro.
Diese Zahlen veranschaulichen eindrücklich: Eine zusätzliche betriebliche oder private Altersvorsorge ist selbst bei einer längeren Arbeitszeit unverzichtbar, auch wenn die Rentenlücke geringer ausfällt. Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, die Altersvorsorge nicht auf die lange Bank zu schieben. Hier ist auch die Politik in der Verantwortung. Denn nur wenn diese Wahrheit deutlich ausgesprochen wird, werden die Bürger frühzeitig mit der Altersvorsorge beginnen. Und eine Alterssicherung bleibt dann auch bezahlbar.
Wenn die Politik hingegen weiterhin vor allem die gesetzliche Rente stärkt, müssen unsere Kinder und Enkel die Zeche zahlen. Generationengerechtigkeit sieht anders aus. Es darf nicht sein, dass wir der jungen Generation diese Bürde von Kosten und absehbaren sozialen Konflikten aufladen.
Unser Rentensystem wird in Zukunft nur leistungsstark bleiben, wenn sich die Arbeitnehmer stärker am Produktivkapital beteiligen, etwa über Fonds oder Aktien. Gerade über sehr lange Zeiträume sind Aktien ideal, um Vermögen aufzubauen. Die Zeit und der Zinseszinseffekt sind die besten Begleiter des Sparers, der für sein Alter vorsorgen will. Die Politik muss die Menschen mit steuerlichen und finanziellen Anreizen motivieren, eigenverantwortlich vorzusorgen. Die Kapitaldeckung sollte in Zukunft eine größere Rolle spielen. Dabei muss sie die zweite und dritte Säule der Altersvorsorge deutlich stärken.
Die Neuregelung der betrieblichen Altersvorsorge durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz ist bereits ein Schritt in die richtige Richtung. Unternehmen können damit die Altersvorsorge ihrer Mitarbeiter fördern, ohne Garantien über die Rentenhöhe abzugeben. Wir Deutschen legen Wert auf Sicherheit und zahlen dafür einen hohen Preis. Denn Garantien kosten Geld und gehen zulasten der Rendite. Der Wegfall von Garantien im Betriebsrentenstärkungsgesetz eröffnet mehr Spielraum in der Anlagepolitik von Vorsorgeprodukten. Das gleicht einer Revolution - auch, wenn sie in kleinen Schritten kommt. Fakt ist aber: Ohne das Zwangskorsett einer Garantie lässt sich langfristig mehr Vorsorgevermögen aufbauen und die Rentenlücke leichter schließen.
Das Ziel muss sein, die private und betriebliche Altersvorsorge attraktiver zu gestalten. Dabei können wir von anderen Ländern lernen. So zum Beispiel von den 401(k)-Konten in den USA, die bereits seit Anfang der 80er-Jahre existieren. Bei diesen Altersvorsorgekonten können Arbeitnehmer steuerfrei mit Investmentfonds, Belegschaftsaktien oder Versicherungsprodukten fürs Alter sparen. Wenn sie den Arbeitgeber wechseln, können sie das Konto behalten oder auf den neuen Arbeitgeber übertragen. Aber auch in Europa finden wir interessante Anreize, die Altersvorsorge zu stärken.
Altersvorsorgekonto für alle auf
europäischer Ebene notwendig
Ein Beispiel sind die Individual Savings Accounts (ISA) in Großbritannien. Die steuerprivilegierten Vorsorgekonten wurden ab 1999 eingeführt. Zinsen und Kapitalerträge bleiben darin dauerhaft steuerfrei. Auch bei der Betriebsrente weist Großbritannien den Weg: Das Land hat 2012 ein allgemeines Opting-out eingeführt. Mit Erfolg: Rund 90 Prozent aller Arbeitnehmer zahlen inzwischen in einen betrieblichen Pensionsplan ein.
Wie könnte also eine Lösung aussehen? Die Zeit ist reif für ein Altersvorsorgekonto auf europäischer Ebene, bei dem Arbeitnehmer mit einer Vielzahl von Produkten fürs Alter sparen können. Einzahlungen sind steuerlich absetzbar, die Auszahlungen unterliegen dann der Steuerpflicht. Auch die Portabilität beim Jobwechsel muss gewährleistet sein.
Voraussetzung für ein solches System ist mehr Transparenz in der Altersvorsorge, etwa mit einer einheitlichen Renteninformation, die alle drei Säulen integriert. Vorbild sind die skandinavischen Länder. Das mag heute noch wie eine Utopie klingen. Aber dank der Digitalisierung könnte daraus schon bald eine Realität werden. Wir brauchen eine transparente und einheitliche Renteninformation, die auf die veränderte Arbeitswelt von heute reagiert: mehr Jobwechsel, mehr Auszeiten und häufigeres Arbeiten im Ausland. Eine solche Renteninformation ist auch im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vereinbart. Arbeitnehmer bekämen auf einen Blick alle Informationen zu ihrer Altersvorsorge und könnten sofort ihren Handlungsbedarf erkennen - nicht nur für die gesetzliche Rente.
Kurzvita
Ferdinand-Alexander Leisten,
Leiter des
Deutschlandgeschäfts von Fidelity International
Der Diplom-Kaufmann Leisten hat 20 Jahre Berufserfahrung im Asset Management, sowohl im Portfoliomanagement also auch im Vertrieb und im Handel. Vor seinem Wechsel zu Fidelity war er bei
Sal. Oppenheim tätig, wo er 1994 seine Berufslaufbahn startete.
Fidelity ist eine international ausgerichtete Fondsgesellschaft mit einer breit gefächerten Produktpalette für eine Vielzahl von Anlagebedürfnissen.
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