Flüchtlinge: Bitte mehr Ehrlichkeit in der Debatte
Deutschland braucht dringend mehr Zuwanderung - so lautet der Appell von Ökonomen und Politikern. Nur so könnten wir die Folgen des demografischen Wandels bewältigen. Doch die Flüchtlinge können dieses Problem nicht lösen.
von Daniel Stelter, Euro am Sonntag
Der Ansturm an Flüchtlingen, so wird uns derzeit oft erklärt, sei letztlich gut für die Wirtschaft und damit für jeden von uns. Dabei werden aber zwei völlig verschiedene Tatbestände vermischt: Erwarten wir von Zuwanderern zu Recht, dass sie einen Beitrag zur Sicherung unseres Wohlstandes leisten, ist die Aufnahme von Menschen, deren Leben von Krieg und Verfolgung bedroht ist, eine humanitäre Aufgabe. Diese entzieht sich jeder Wirtschaftlichkeitsrechnung. Flüchtlinge unterscheiden sich von Einwanderern gerade dadurch, dass von ihnen kein Deckungsbeitrag erwartet wird.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat trotzdem jüngst eine Studie vorgelegt, die den wirtschaftlichen Nutzen des Flüchtlingsansturms betont. Die positiven Ergebnisse passten zur "Willkommenskultur" und wurden in den Medien gefeiert.
Doch was ist von diesen Berechnungen zu halten? Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei dem als "Studie" vom DIW und den Medien beschriebenen Dokument um eine einfache Simulationsrechnung handelt. Ähnlich der Investitionsrechnung bei Unternehmen werden hierin Annahmen getroffen zum Investitionsbedarf und zu zukünftigen Kosten und Erträgen.
Gravierende Versäumnisse und
unplausible Annahmen
Im Fall der Flüchtlinge müssen alle für das Ergebnis relevanten Daten geschätzt werden: Wie viele zu uns kommen, wie viele bei uns bleiben, welche Qualifikation sie aufweisen, wie hoch die finanziellen Aufwendungen für ihre Integration sind, welcher Anteil der Flüchtlinge wirklich am Arbeitsmarkt teilnimmt und welcher dauerhaft auf Unterstützung angewiesen ist, wie hoch ihre künftigen Einkommen sein werden.
Wer mit qualitativ schlechten Annahmen arbeitet, bekommt auch qualitativ schlechte Ergebnisse. Einige gravierende Versäumnisse und unplausible Annahmen sind in der DIW-Simulation evident. Nicht alle Flüchtlinge werden als asylberechtigt anerkannt. Die sogenannte Schutzquote setzt das DIW auf 45 Prozent an. Doch was passiert mit den anderen? Bereits ein Jahr nach der Ablehnung soll die Hälfte der Abgelehnten Deutschland verlassen haben, nach fünf Jahren soll nur noch ein Viertel, nach zehn Jahren nur noch ein Achtel der Flüchtlinge ohne Aufenthaltstitel in Deutschland leben.
Niemand kann Gegenteiliges beweisen, allerdings sollten wir angesichts der ungelösten Konflikte und Fluchtursachen davon ausgehen, dass ein weitaus größerer Teil der abgelehnten, aber faktisch geduldeten Flüchtlinge in Deutschland verbleibt. Dies hätte erhebliche finanzielle Folgen, weil auch diese Menschen Unterstützung benötigen.
Viel wichtiger erscheint mir jedoch ein grundsätzliches Manko der Simulation. 40 Prozent der vom Ifo-Institut befragten Industrieunternehmen halten Flüchtlinge nur als Hilfsarbeiter für potenziell gut einsetzbar. Zwar betont das DIW die Notwendigkeit von erheblichen Investitionen in Bildung, setzt aber genau null Euro dafür an. Stattdessen arbeitet das DIW mit Kosten je Flüchtling unterhalb der tatsächlichen Hartz-IV-Ausgaben pro Kopf. Meinen wir es ernst mit der Integration, müssen wir nicht nur höhere Sozialleistungen als vom DIW veranschlagt in Kauf nehmen, sondern deutlich in Spracherwerb und Bildung investieren. Allein die Qualifikation der anerkannten Flüchtlinge dürfte in den nächsten fünf Jahren 30 bis 50 Milliarden Euro kosten.
Auch der Nutzen erfolgreicher Integration kann grundsätzlich simuliert werden. Das DIW schätzt die Erwerbsquote der Flüchtlinge nach elf Jahren auf 41 Prozent. Dies entspricht dem Schnitt der heute schon hier lebenden Migranten. Zugleich nimmt das DIW in allen Szenarien - auch im pessimistischen - ein durchschnittliches Lohnniveau von 24.000 Euro an. Dieses liegt ziemlich genau auf dem Niveau des Gehalts aller arbeitenden Männer mit Migrationshintergrund im Jahre 2014.
Die bereits hier lebenden Migranten sind jedoch über einen längeren Zeitpunkt zugewandert und kommen auch aus der EU. Zuwanderer aus überwiegend muslimischen Ländern zeigen schon heute eine geringere Erwerbsbeteiligung und ein deutlich niedrigeres Lohnniveau. Das hätte das DIW zumindest im pessimistischen Szenario berücksichtigen müssen. Erhebungen in Flüchtlingslagern in der Türkei ergaben, dass 16 Prozent der syrischen Flüchtlinge Analphabeten sind, weitere acht Prozent keinen Schulabschluss haben. Wer denkt, das holt man einfach nach, wird eines Besseren belehrt: 70 Prozent der Azubis, die aus Syrien, Afghanistan und dem Irak geflohen waren und im September 2013 in Bayern ihre Lehre begonnen hatten, haben sie inzwischen ohne Abschluss wieder beendet.
Flüchtlinge nicht zwingend ein
volkswirtschaftlicher Gewinn
Natürlich erhöhen die 90 Milliarden Euro Staatsausgaben für Transferleistungen, den Bau und die Beschaffung von Wohnraum sowie die Versorgung der Flüchtlinge das BIP. Die Prognosen liegen im Mittel bei 0,2 Prozent mehr Wachstum in 2016; ein angesichts der Basis von 1,5 Prozent durchaus beachtlicher Zuwachs. Aber was ist das für eine Augenwischerei! Das sind vor allem Konsumausgaben, mit denen der Staat die Konjunktur belebt. Das hätten wir auch ohne die Flüchtlingskrise haben können, wenn wir in unsere marode Infrastruktur investiert hätten.
Was wir alle nicht wissen, ist, was wir in puncto Integration wirklich erreichen können. Legt man jedoch Vollkosten je Flüchtling von 25.000 Euro pro Jahr zugrunde, müssen wir alles daransetzen, die Erwerbsbeteiligung und die Durchschnittsgehälter nach oben zu bekommen. Dies geht, wenn überhaupt, nur mit massiven Investitionen heute.
Die Betrachtung des DIW hält einer genaueren Überprüfung nicht stand. Und doch werden auf ihrer Basis Weichen für die Zukunft gestellt. Wird suggeriert, dass Flüchtlinge in jedem Fall ein wirtschaftlicher Gewinn für uns sind, besteht die Gefahr, dass wir nicht das tun, was wir tun müssen: nämlich ausreichend und schnell in die Bildung der neuen Mitbürger zu investieren. Humanitäre Hilfe bedeutet nichts anderes, als seine Ersparnisse dazu zu nutzen, anderen zu helfen. Davon kann und sollte man sich keinen volkswirtschaftlichen Gewinn versprechen. Hier ist mehr Ehrlichkeit in der Debatte gefragt.
zur Person:
Daniel Stelter, Gründer des
Thinktanks Beyond the Obvious
Von 1990 bis 2013 war Stelter Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group (BCG). Von 2003 bis 2011 verantwortete er weltweit das Geschäft der BCG-Praxisgruppe Corporate Development (Strategie und Corporate Finance). Seit 2007 berät Stelter internationale Unternehmen und ist zudem Autor mehrerer, sehr erfolgreicher Bücher zu volkswirtschaftlichen Themen.
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