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Eintracht-Vorstand Hellmann: "Einen Börsengang schließen wir derzeit aus"

28.05.19 08:01 Uhr

Eintracht-Vorstand Hellmann: "Einen Börsengang schließen wir derzeit aus" | finanzen.net

Axel Hellmann: Das Vorstandsmitglied von Eintracht Frankfurt schaut jedes Spiel aus Leidenschaft. Mit Passion bringt er auch das Unternehmen Fußball AG voran.

von Birgit Haas, Euro am Sonntag

Nach einer Saison mit mehr Siegen als Niederlagen und dem Erreichen des Halbfinales in der Euro League hat sich die Eintracht stark wie lange nicht mehr präsentiert. Axel Hellmann, Chef der Eintracht Fußball AG, bleibt jedoch entspannt. Er baut bereits fleißig am finanziellen Fundament für den künftigen Erfolg der aufstrebenden Elf aus Hessen.

€uro am Sonntag: Herr Hellmann, die jüngsten Erfolge stellen Sie als Vorstand vor neue Herausforderungen. Sehnen Sie sich nach ruhigeren Zeiten?

Axel Hellmann: Im Gegenteil. Manchmal gehen mir die Entwicklungen noch zu langsam, obwohl wir aktuell der Bundesligaklub mit dem schnellsten Wachstum sind. Wir arbeiten an einer Menge Projekte: Neubau des Profi-Camps inklusive Geschäftsstelle, Ausbau des Stadions und Digitalisierung des gesamten Klubs. Außerdem haben wir die Vermarktung des Klubs vor Kurzem selbst in die Hand genommen. Wir eröffnen Büros in New York und Peking und strecken damit unsere Fühler in ausländische Märkte aus. Andere nehmen sich ­dafür zehn bis zwölf Jahre Zeit.

Das ist eine stattliche To-do-Liste. Warum machen Sie jetzt alles auf einmal?

Wir hatten auf allen Ebenen enormen Nachholbedarf. Als ich vor knapp sieben Jahren in den Vorstand eintrat, habe ich in diesem Klub eine bleierne Schwere empfunden. Die Eintracht hat in den zehn Jahren zuvor einige Trends verschlafen. Vielleicht haben wir sie nicht erkannt oder sie nicht anpacken wollen. Es war jedenfalls ganz schwer, kurzfristig PS auf die Straße zu bringen. Wir mussten zunächst mal den ganzen Klub organisatorisch umbauen, die zweite Führungsebene erweitern, eine Stabsstelle einrichten. Dann haben wir ein paar Jahre gebraucht, um den Kessel zum Brodeln zu bringen. Jetzt ist Druck drauf. Wir sind strukturell und personell einer der am besten aufgestellten Klubs in der Bundesliga.

Damit haben auch die Sponsorenaktivitäten deutlich zugenommen, oder?

Das ist zutreffend. Wir haben moderne Konzepte, eine tolle Atmosphäre bei unseren Spielen, zeigen Haltung in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen und - was am wichtigsten ist - stehen für guten offensiven Fußball. Alle wollen jetzt dabei sein. Im vergangenen Jahr konnten wir ein Dutzend neue Partnerverträge abschließen. Der Fußball der Eintracht hat gerade am durch den Brexit und die zuziehenden Flüchtlinge stark wachsenden Standort Frankfurt an Bedeutung gewonnen: Wie Klebstoff hält er eine auseinandertreibende Gesellschaft zusammen und verbreitet positive Emotionen. Damit bringen wir für Partnerschaften mit Unternehmen etwas mit, was diese nicht haben. Gerade am Finanzplatz Frankfurt schaffen wir Verbindungen über die Emotionalisierung im Stadion, die einmalig sind. Gleichzeitig schaffen wir ein eigenes Ökosystem um diesen Klub herum.

Nutzen die Sponsoren dieses Ökosystem zum Test neuer Produkte?

Zum Beispiel. Wir haben in der Rhein-Main-Region 1,5 Millionen Anhänger und einen Datenpool von 450.000 mit Namen und Adressen registrierten Fans. Das ist mehr, als viele große etablierte Unternehmen hier haben. Außerdem haben wir hier eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen in der EU und eine bemerkenswerte Digitalisierungsdichte. Es gilt: Was an digitalen Geschäftsmodellen in Frankfurt klappt, funktioniert auch in anderen Ballungszentren. Mit der Reichweite der Eintracht lassen sich geradezu biotopisch Produkte testen und weiterentwickeln. Mit der Deutschen Familienversicherung (DFV) etwa haben wir einen Fünfjahresvertrag abgeschlossen, der auch zum Ziel hat, die digitalen Leistungen der DFV in unserer App zu integrieren. Wir sind fasziniert vom digitalen Standard der Deutschen Familienversicherung. Unsere Stärke ist unsere unglaublich hohe Aktivierungsrate in der digitalen Welt. Hier sind wir klassischen ­Unternehmen weit voraus.

Mit der Deutschen Familienversicherung hatten Sie auch zu einer Veranstaltung zum Thema Digitalisierung eingeladen. Wie passt das überhaupt zusammen - Fußball und Digitalisierung?

Sehr gut. Es steht auf unserer Agenda ganz oben. Unternehmen haben oft das Problem beim Thema Digitalisierung, ihre Zielgruppe nicht mobilisiert zu bekommen. Wenn ein Fußballklub das macht, ist das Interesse breiter. So können wir auch durchaus populistisch der Politik Druck machen, die notwendigen infrastrukturellen Voraussetzungen für die Digitalisierung der Gesellschaft zu schaffen. Wie sollen unsere Fans digitale Angebote nutzen, wenn es keine schnellen Verbindungen gibt und die Digitalisierung vor dem öffentlichen Raum Halt macht? Uns müssen auch Oberbürgermeister und Sportdezernent zuhören.

Kreiden Sie denen nicht auch bei jeder Begegnung an, dass die Finanzierung des Stadionausbaus noch ungeklärt ist?

Es geht nicht nur um den Stadionausbau, sondern generell um die zukünftige Stadionnutzung. Es gibt hier eine erkennbare Bereitschaft der Stadt, die zukünftige Weiterentwicklung des Stadions in unsere Hände zu legen. Allerdings haben wir noch keine finale Einigkeit über die wirtschaftlichen Eckpunkte erzielt. Das ist aber essenziell, weil wir auch selbst in dieses Stadion ­investieren wollen.

Wie viel wollen Sie denn investieren?

Vor dem Hintergrund der Fußball-Europameisterschaft 2024 und einer notwendigen Erweiterung ergibt sich ein objektiver Investitionsbedarf von 60 Millionen Euro. Wir wollen rund 30 Millionen in die digitale Infrastruktur - etwa in einen neuen Videowürfel - investieren. Von der Stadt wünschen wir uns, dass sie eine ähnliche Summe in die Substanz steckt und unter anderem die Plätze von aktuell 51.500 auf knapp 60.000 ausbaut. Das kann im Grunde ja nur die Stadt als Eigentümer machen.

Besitzer wären Sie lieber selbst, oder?

Ja, das wäre für alle Beteiligten der einfachste Weg. Aber die Stadt schließt einen Verkauf des Stadions kategorisch aus. Das müssen wir akzeptieren.

Bremst die Endlosdebatte mit der Stadt Ihre Digitalisierungspläne?

Unsere Digitalisierungsstrategie erfasst alle Geschäftsbereiche. Im sportlichen Bereich sind wir in der Umsetzung bereits sehr gut aufgestellt. In anderen Bereichen wie der Stadionfrage brauchen wir dringend Klarheit für die planmäßige Umsetzung unserer Digitalpläne. Alle Maßnahmen zum Fan-Erlebnis, wie Payment, Ticketing und Merchandising hängen von dieser Entscheidung ab. Hier wird sich die Wettbewerbsfähigkeit der Eintracht in den kommenden zehn Jahren entscheiden. Wir wollen Fans und Unternehmen permanent in unsere Welt einbetten - mit der ersten Berichterstattung zum Spieltag beim ersten Kaffee bis hin zur spezifischen Nutzung der Logen für Firmenveranstaltungen auch an den spielfreien Tagen. Hier müssen die Konzepte aus einem Guss sein. Wer glaubt, da könne man Systembrüche in Kauf nehmen, schießt ein brutales Eigentor. Klub- und Stadiontechnologie werden im digitalen Sinne untrennbar verbunden sein.

Wie wollen Sie die Investition eigentlich finanzieren? Die 15 Millionen Euro aus der Kapitalerhöhung, im Zuge derer der frühere Goldman-Sachs-Banker Philip Holzer 18,55 Prozent der Anteile erworben hat, reichen da ja nicht aus.

Unser Finanzvorstand Oliver Frankenbach prüft verschiedene Finanzierungsmodelle. Hier spricht sicherlich vieles für ein Fremdkapitalmodell. Unser Vorteil ist, dass wir ein kerngesundes Unternehmen und ein Fußballklub mit starker Erlösstruktur sind. Andere Finanzierungswege schließen wir derzeit aus, auch einen Börsengang. Ich finde nicht, dass ein Bundesligaklub dafür geeignet ist, selbst, wenn Borussia Dortmund derzeit eine Renaissance ihrer Aktie erlebt. Eine Kapitalerhöhung und die Beteiligung eines weiteren Anteilseigners bleiben Optionen.

Wäre eine Kapitalerhöhung machbar?

Die zurückliegende Kapitalmaßnahme haben wir über zwei Jahre gründlich vorbereitet. Das ganze Thema hat im Fußball nämlich eine komplexe Mehrdimensionalität. Die liegt weniger in der Struktur der Maßnahme als vielmehr in der öffentlichen und vereinspolitischen Relevanz. Wenn wir die erfolgreiche Entwicklung der Eintracht weiter stabilisieren wollen, muss auch eine zukünftige Kapitalerhöhung gut vorbereitet werden. Das liegt bei Oliver Frankenbach in hervorragenden Händen.

Macht sich der jüngste sportliche Erfolg auch im Umsatz bemerkbar?

Es zeichnet sich ein beachtlicher Umsatzsprung aus. Für die laufende Saison gehen wir von mindestens 170 Millionen Euro aus, nach 140 Millionen Euro im Vorjahr. Transfererlöse sind darin nicht enthalten, die behandeln wir als Sonder­effekte. Zehn Millionen Euro kommen etwa aus dem Merchandising, ein Fünftel sind Ticketeinnahmen, 40 Millionen Euro steuert das Marketing bei und 55 Millionen Euro sind Medienerlöse.

Letzte Saison hat die Eintracht 29,5 Millionen Euro auf dem Transfermarkt investiert. Diese Saison ist wenig passiert. Warum?

Der Trainer war mit der Mannschaft zufrieden. Das ist unüblich, aber der Erfolg belegt, dass es eine richtige Einschätzung war. Zudem haben wir uns mit Leihspielern günstig verstärkt.

Wollen Sie den Kader über die Saison hinaus zusammenhalten?

Die sportliche Planung liegt in den Händen meines Kollegen Fredi Bobic. Ich bin mir sicher, dass er alles dafür tut, die Mannschaft zusammenzuhalten.

Tickets machen nur einen Teil des Umsatzes aus. Planen Sie eine Preis­erhöhung?

Es gibt sicherlich immer wieder mal ­moderate Preisanpassungen. Wir haben aber der Stadt zugesagt, die Stehplatzpreise fünf Jahre einzufrieren, wenn die Stadt den Stadionausbau auf mehr Stehplätze vornimmt. Uns ist das Thema sehr wichtig. Bezahlbare Karten ermöglichen jungen Menschen den Stadion­besuch. Eintracht-Fan wird man nicht auf der Couch. Die Leidenschaft für den Fußball geht nur mit dem Live-Erlebnis und der Atmosphäre - um die die Bundesliga im Ausland übrigens beneidet wird - in Fleisch und Blut über. So bin auch ich vor 40 Jahren für die Eintracht entflammt worden.

Der Verein will die Zahl der Mitglieder mittelfristig von aktuell rund 68.000 auf 100.000 erhöhen. Da müssen Sie aber viel Leidenschaft entfachen.

Obwohl wir in den letzten Jahren zwei Pokalfinale gespielt haben, hat uns das gar nicht den größten Mitgliederzuwachs beschert. Interessanterweise war das die Aussage von Vereinspräsident Peter Fischer, dass eine Unterstützung der Partei AfD nicht mit einer Mitgliedschaft bei der Eintracht vereinbar sei. Viele Fans haben daraufhin ein Bekenntnis als Mitglied abgegeben. Im vergangenen Jahr sind wir mit rund 18.000 neuen Mitgliedern stärker gewachsen als alle anderen Bundesligisten. Also müssen wir dafür nicht fünfmal in Folge in die Champions League einziehen. Für das coole Lebensgefühl, das schon ein Eintracht-Aufkleber auf dem Auto transportiert, reicht es, wenn wir nicht abstiegsgefährdet sind und die Fans das Gefühl haben, wir entwickeln uns. Wir wollen eine Mannschaft, die begeistert, mit der sich die Fans identifizieren können. Hier spielen Begriffe wie Würde, Haltung und Stolz eine größere Rolle als nur der Tabellenstand.

Eintracht-Fans, die wie beim Auswärtsspiel gegen Lazio Rom Pyrofackeln werfen, sind aber keine gute Werbung.

Wir begegnen solchen Verhaltensmustern mit sehr differenzierten Maßnahmen. Wenn ein 16-Jähriger einmal eine Pyrofackel anzündet, dann sanktionieren wir ihn vereinsintern mit gemeinnütziger Arbeit. Wiederholungstäter erhalten Stadionverbot. Für Gewalttäter sind Polizei und Staatsanwaltschaft zuständig. Wir wollen Menschen nicht vorschnell kriminalisieren. Sonst verlagern sich die diversen Verhaltensmuster auf die Straße. Damit das nicht passiert, ist das Gespräch wichtig. Wir sind einer der wenigen Bundesligavereine, die einen guten Draht zu allen Fangruppierungen, auch zu den Ultras, haben. Das hat uns in den letzten Jahren weit gebracht. Das Spiel gegen Lazio Rom war in diesem Sinne ganz sicher ein Rückschritt, und der tut wirklich weh. Aber deswegen geben wir unser ausgereiftes System nicht auf.

Letztlich nehmen Sie mit dieser Haltung Bußgelder in Kauf.

Die Praxis der Kollektivstrafen und der Geldstrafen sehe ich sehr kritisch. Nicht der Klub sollte bestraft, sondern die Identifizierung und Sanktionierung des Einzeltäters gestärkt werden.

Ihre beiden Söhne können also sorglos ins Stadion mitkommen?

Natürlich. Sie sind manchmal bei mir in der Loge, ich muss da ja arbeiten. Meistens jedoch sitzen sie auf ganz normalen Plätzen im Stadion. Wichtig ist, dass sie oft live dabei sind, sonst schauen sie mir zu viel bei "Fifa19" die Topmannschaften der Champions League.

Dann könnten sie ja in der neuen E-Sport-Abteilung im Riegerwald mittrainieren.

Sie spielen zum Glück auch selbst auf dem Rasen. Aber es stimmt, in unserem Trainingszentrum wird auch an Konsolen gespielt. Die Spielergebnisse kehre ich aber lieber mal unter den Teppich.

Warum das?

Wir haben neulich 2 : 1 gegen Darmstadt verloren. Ganz bitter.

Vita:
Große Liebe
Zum ersten Mal hat der 1971 geborene Axel Hellmann ein Eintracht-Spiel im Alter von acht Jahren gesehen. Die Elf gewann 3 : 1 gegen Kaiserslautern. Der Beginn einer großen Liebe. Der ausgebildete Jurist war erst Fan, 2001 Präsidiumsmitglied und 2003 Geschäfts­führer des Vereins sowie Aufsichtsratsmitglied der Eintracht Fußball AG. Seit 2012 ist der Vater von zwei Söhnen Chef der AG.

Eintracht:
Fußball mit Tradition

Am 8. März ist die Sportgemeinschaft Eintracht Frankfurt 120 Jahre alt geworden. 1963 hat der Verein die Bundesliga mitgegründet. 1996 rutschte er in die sportliche Krise und spielte bis 2012 sechs Saisons in der Zweiten Liga. Wegen finanzieller Schwierigkeiten ist die Fußballabteilung 2000 in eine AG ausgegliedert worden. Die Elf gewann fünfmal den DFB-Pokal, zuletzt 2018.









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