Bürokratiemonster auch für Anleger

Seit fünf Jahren müssen Banken jedes Beratungsgespräch mit Privatanlegern penibel aufzeichnen.
Das hat der Qualität der Anlageberatung jedoch mehr geschadet als genützt, ist Gastautor Gerald Prior überzeugt. Ihn beunruhigt, dass das umstrittene Protokoll nun auch noch bei Immobilienkrediten Pflicht werden soll.
Von Gerald Prior, Gastautor von Euro am Sonntag
Die Beratungsprotokolle sollten für mehr Transparenz und eine bessere Qualität in der Anlageberatung sorgen und die Position der Anleger in Rechtsstreitigkeiten wegen Prozessen um Falschberatung bei Wertpapiergeschäften stärken. Doch die Inhalte der 2009 beschlossenen Gesetzesnovelle, die ab Anfang 2010 umgesetzt wurde, haben ihr Ziel verfehlt. Das belegt eine Cofinpro-Studie von Dezember 2014. Die Kunden stellen den Protokollen darin schlechte Noten aus: Sechs von zehn Bundesbürgern sehen in ihnen kein geeignetes Instrument zur Verbesserung der Bankberatung.
So ist zwar der Anteil der mit der Beratung insgesamt zufriedenen Kunden gestiegen. Dieser Qualitätsanstieg ist aber nicht auf die Zwangsprotokolle zurückzuführen. Diese sind ausführlich, kompliziert und schwer verständlich, sodass die Kunden sie zwar pflichtschuldigst einstecken, aber zu Hause nicht mehr ansehen. Mehr als ein Drittel der Investoren legt das ihnen ausgehändigte Dokument später ungelesen weg. Das Ziel "mehr Transparenz für den Kunden" wird so jedenfalls nicht erreicht.
Der Regulierer, das zeigen die Zahlen, hat vielmehr ein Bürokratiemonster geschaffen. Rund jeder zweite Verbraucher beklagt, dass die Bankmitarbeiter wegen des Dokumentationsaufwands weniger Zeit für die eigentliche Beratung haben. Und dies kann gewiss nicht im Sinne des Gesetzgebers und schon gar nicht im Sinne der Kunden sein. Unbestritten ist ein gewisser Standardisierungseffekt, der durch die Einführung der Beratungsprotokolle eingetreten ist. Die Gespräche mit den Kunden folgen inzwischen fast ausnahmslos einem vom jeweiligen Geldinstitut vorgegebenen Drehbuch und einer standardisierten Abfolge an anzusprechenden Themen. Dadurch sind sie vergleichbarer geworden. Allerdings führt die Regulierung bei den meisten Banken zu hohem zeitlichen und organisatorischen Aufwand. Zeit, die im Beratungsgespräch für eine wirklich fundierte Analyse der Kundensituation fehlt.
Banken reduzierten die Zahl der
Angebote für die Kunden
Gepunktet wird zudem nicht mehr mit einer umfangreichen Produktpalette. Da diese den organisatorischen Aufwand weiter in die Höhe treiben würde, reduzieren Institute die Bandbreite der angebotenen Geldanlagen. Und sie gehen sparsam mit Informationen an die Kunden um, beraten nur noch zu Produkten, zu denen eine "Hausmeinung" vorliegt. Denn schließlich löst so gut wie jede Auskunft inzwischen einen protokollarischen Akt aus. Das gilt selbst für die schlichte Warnung vor hochriskanten Produkten. Die Konsequenz: Kunden müssten heute mehrere Banken aufsuchen, um sich einen Überblick über die auf dem Markt angebotene Produktpalette zu verschaffen und sicher zu sein, wirklich das für sie beste Produkt zu erwerben.
Angesichts dieser Entwicklung erstaunt es, dass die Zufriedenheit der Bundesbürger mit der Beratungsleistung insgesamt im vergangenen Jahr um fünf Prozentpunkte auf 46 Prozent gestiegen ist. Dazu haben jedoch andere Entwicklungen beigetragen. Zu nennen ist hier vor allem der beinharte Wettbewerb in Zeiten historisch niedriger Zinsen. Er zwingt die Banken, ihre anspruchsvoll gewordenen Kunden unter den gegebenen Rahmenbedingungen so zufrieden wie möglich zu stellen. Nur auf diesem Wege gelingt es überhaupt noch, den Privatkunden vom Kauf komplexer Finanzprodukte zu überzeugen.
Die Bundesbürger wissen eine gute Anlageberatung grundsätzlich sehr zu schätzen: Mehr als 80 Prozent halten sie gerade in Zeiten niedriger Zinsen für wichtiger denn je. Aber bitte ohne das von vielen Seiten als zu bürokratisch kritisierte Protokoll.
Im Sinne der Kunden sollte der Regulierer die Vorgaben um unnötigen administrativen Ballast entrümpeln. Doch steht zu befürchten, dass er stattdessen ein weiteres Mal über das Ziel hinausschießt. Denn der Gesetzgeber plant, die Regulierungen aus der Anlageberatung - in der Versicherungsvermittlung trat die Pflicht zur Erstellung eines Beratungsprotokolls bereits 2007 in Kraft - bald auf Immobilienkredite zu übertragen.
Ab März 2016 sollen für Haus- und Wohnungsdarlehen über 75.000 Euro ein Produktinformationsblatt und die Dokumentation der Beratung Pflicht werden. Die Umsetzung der europäischen Wohnimmobilienkreditrichtlinie könnte sogar noch schärfere Regelungen enthalten als die Verbraucherkreditrichtlinie. Es droht damit ein neues Bürokratiemonster.
zur Person:
Gerald Prior,
Vorstand der
Cofinpro AG
Der Autor studierte Wirtschaftsmathematik an der Universität Karlsruhe und ist seit 1991 als Unternehmer und Berater für Banken und Kapitalverwaltungsgesellschaften in Deutschland aktiv. Im Jahr 2007 gründete er gemeinsam mit Kollegen das auf Finanzdienstleister spezialisierte Beratungsunternehmen Cofinpro. Die mehr als 100 Mitarbeiter unterstützen Deutschlands führende Institute bei der Verbesserung von Geschäftsprozessen.
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Bildquellen: Cofinpro