Zurück an den Verhandlungstisch
Während die USA und Russland in Riad über die Zukunft der Ukraine verhandeln, bleibt Europa von diesen entscheidenden Gesprächen ausgeschlossen. Dieses Schicksal trifft die EU sowie Staaten wie Deutschland und Frankreich nicht unverschuldet. Seit Beginn des Krieges wurden Verhandlungen mit Russland weitgehend vernachlässigt; dem Militär wurde gegenüber der Diplomatie der Vorrang eingeräumt – obwohl sich beide Ansätze nicht ausschließen. Lange fühlte sich Europa in einer Art transatlantischer Solidaritätspflicht gefangen, die nun jedoch – ausgehend von den USA und personifiziert durch Trump – der Vergangenheit anzugehören scheint.Nun scheint es für entscheidende diplomatische Vorstöße zu spät. US-Präsident Trump kommt den russischen Positionen in seinen Offerten so weit entgegen, dass aktuelle europäische Angebote aus Sicht des Kremls vergleichsweise blass erscheinen. So erging es auch den Initiativen Frankreichs und Großbritanniens – etwa hinsichtlich des Vorschlags über eine befristete Waffenruhe oder über den Einsatz europäischer Friedenstruppen. Diese stießen zwar auf großes Echo in der europäischen Medienlandschaft, fanden jedoch kaum Resonanz bei den direkt am Konflikt beteiligten Akteuren.Was müsste Europa tun, um von den derzeitigen Hauptakteuren bei den Verhandlungen über den Ukrainekrieg als unverzichtbarer Partner wahrgenommen zu werden – als ein Akteur, dessen Positionen man nicht einfach ignorieren kann? Dafür ist es notwendig, die geopolitische Logik zu verstehen, nach der Moskau und Washington derzeit agieren. In ihrer Sichtweise gibt es auf der weltpolitischen Bühne nur wenige wirklich souveräne Akteure – Großmächte, zu denen sich Moskau selbst zählt. Aus dieser Perspektive ist es ihr legitimes Recht, die Außenpolitik kleinerer, angrenzender Staaten zu dominieren, wenn nicht gar zu diktieren. Diese Vorstellung von Dominanz reicht so weit, dass man anderen Staaten mitunter sogar das Existenzrecht abspricht – wie Trump dies gegenüber Kanada angedeutet hat oder radikale Kräfte in Moskau gegenüber der Ukraine offen propagieren.Natürlich gibt es gerade im Umgang mit Russland unterschiedliche Haltungen innerhalb Europas.Um auf der weltpolitischen Bühne von Akteuren wie Russland oder den USA ernst genommen zu werden, muss Europa von diesen als eine einheitliche Macht wahrgenommen werden – nicht als ein loses Bündel von Kleinstaaten, die jeweils eine eigene, teils widersprüchliche Außenpolitik verfolgen. Sichtbarkeit entsteht durch gemeinsames Handeln und koordinierte Angebote – nicht durch Initiativen einzelner Staaten. Natürlich gibt es gerade im Umgang mit Russland unterschiedliche Haltungen innerhalb Europas. Diese sind jedoch längst nicht so bunt gemischt, wie es ihr Ruf vermuten lässt.Es gibt durchaus europäische Gemeinsamkeiten – etwa in der Unterstützung eines sogenannten „gerechten Friedens“ für die Ukraine oder im tiefen Misstrauen großer Teile der Bevölkerung gegenüber Putin und Trump. Das zeigen übereinstimmend aktuelle Ergebnisse einer multinationalen Umfrage des Instituts YouGov in Frankreich, Italien, Großbritannien und Spanien. Mit Ausnahme Italiens glaubt in keinem dieser Länder mehr eine Mehrheit, dass die USA im Falle einer militärischen Bedrohung dem eigenen Land zu Hilfe kommen würden. Im Zuge der Zollkonflikte werden die USA – ähnlich wie Russland – zunehmend als wirtschaftlicher und geopolitischer Rivale wahrgenommen. Es besteht also ein breiter Konsens über die Notwendigkeit eines eigenständigen europäischen Weges.Wie auf die veränderte weltpolitische Lage zu reagieren ist, darüber gehen die Meinungen innerhalb Europas stärker auseinander. Grob lassen sich zwei Lager unterscheiden: Im Süden und Südosten Europas finden sich Staaten, die Russland mit einer pragmatischeren Haltung begegnen wollen – etwa Griechenland, die Slowakei, Ungarn oder Bulgarien. Im Norden und Nordosten hingegen – insbesondere in Skandinavien und im Baltikum – dominieren Positionen, die auf eine entschlossenere Konfrontation mit Russland setzen.Ein gemeinsamer europäischer Kurs zur Stärkung des eigenen Einflusses kann nur gelingen, wenn er einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Haltungen findet – eine Kombination aus Entschlossenheit und Kompromissbereitschaft im Sinne einer nachhaltigen Friedenssicherung. Zwischen den beiden Polen stehen vor allem Deutschland und Frankreich. In beiden Ländern ist die öffentliche Stimmung gespalten, zugleich verfügen sie über die politische und wirtschaftliche Stärke, um mit ausgleichenden Vorschlägen eine Brückenfunktion innerhalb Europas einzunehmen.Praktische Ansätze für einen Kurs, der Entschlossenheit mit Kompromissbereitschaft verbindet, gibt es durchaus.Praktische Ansätze für einen Kurs, der Entschlossenheit mit Kompromissbereitschaft verbindet, gibt es durchaus. So ist der Versuch des Westens, Russland geopolitisch zu isolieren, am Widerstand vieler Staaten des Globalen Südens gescheitert – und hat teils fragwürdige Nebenwirkungen erzeugt. Diese Maßnahmen entfalten kaum wirksamen Druck auf den Kreml und könnten im Sinne eines Zeichen des guten Willens kurzfristig aufgegeben werden. Dazu zählen etwa pauschale Einreisebeschränkungen für russische Staatsbürger oder die weitgehende Einstellung des russisch-europäischen Reiseverkehrs. Sie spielen dem System Putin eher in die Hände: Sie erschweren es oppositionellen Russinnen und Russen, das Land zu verlassen, verstärken das Gefühl einer Ausgrenzung durch den Westen – und halten viele Bürgerinnen und Bürger von liberalen, demokratischen Ideen fern.Gerade in solchen Bereichen ließen sich Zeichen in Richtung Russland senden, ohne die tatsächliche Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. Ähnliches gilt etwa für den privaten Postverkehr aus Russland oder für den Kultur- und Sportbereich. Lockerungen in diesen Feldern würden nicht den Untergang Kiews einleiten, könnten aber ein Signal der Kompromissbereitschaft senden – ohne an den sicherheitspolitischen Grundpfeilern westlicher Ukrainepolitik zu rütteln.Ein erstes Signal der Annäherung müsste von einer europäischen Mehrheit getragen und auch gegenüber internen Hardlinern – etwa aus dem Baltikum oder Skandinavien – durchgesetzt werden. Ein solches Projekt scheiterte in den vergangenen Jahren nicht an fehlenden Möglichkeiten, sondern am politischen Willen. Bedenken, dass solche Schritte die „symbolische Solidarität“ mit der Ukraine untergraben könnten, ließen sich leicht entkräften. Denn gerade jener Symbolismus, der nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gepflegt wurde, hat – bei aller moralischer Bedeutung – vor allem eines begleitet: einen langwierigen Krieg mit enormer Zerstörung und bislang ohne Aussicht auf ein Ende. Die reale Unterstützung für die Ukraine – wirtschaftlich wie militärisch – stünde durch die Rücknahme rein symbolischer Maßnahmen keineswegs zur Disposition.Wichtiger sind natürlich die großen strategischen Fragen. Die Notwendigkeit, Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu schaffen, ohne eine eskalierende Aufnahme in die NATO zu betreiben, schreit nach einem Konzept – und gerade ein solches könnte aus Europa kommen. Aber eben nicht mit europäischen Truppen, die für Moskau eine rote Linie darstellen würden. Vielmehr eröffnet die neutrale Haltung vieler Staaten des Globalen Südens eine bislang kaum genutzte Möglichkeit: Friedenssichernde Einheiten könnten von dort kommen – etwa aus China oder Indien.Dort besteht durchaus Interesse – und eine europäische Unterstützung würde die Relevanz Europas in diesem Prozess, in Kooperation mit diesen Partnern, deutlich steigern. Viele Staaten des Globalen Südens sind für Russland wie für die USA bedeutende wirtschaftliche Partner. Eine solche Lösung hätte realistische Aussichten auf Erfolg. Auch der Koreakrieg endete – trotz anhaltender Feindseligkeit – militärisch dauerhaft durch die Stationierung neutraler Truppen, nicht durch Einheiten einer Kriegspartei. Es steht viel auf dem Spiel: Erst mit einer Waffenruhe endet das tägliche Sterben in der Ukraine.Wirtschaftssanktionen eignen sich in europäischer Hand hervorragend als Verhandlungsmasse.Ebenso wie den europäischen Hardlinern verlangt ein gesamteuropäischer Kompromisskurs auch den Befürwortern eines „Friedens um jeden Preis“ Zugeständnisse ab, um mehrheitsfähig zu sein. Für Russland wäre es kaum sinnvoll, auf Kompromissvorschläge einzugehen, wenn gleichzeitig ein Ende der europäischen militärischen und wirtschaftlichen Unterstützung für die Ukraine signalisiert würde – das würde Moskau lediglich ermöglichen, den Krieg bald militärisch für sich zu entscheiden. Wirtschaftlicher Egoismus ist in diesem Kontext kein tragfähiger Weg.Der Hemmschuh eines echten Kompromisses zeigt sich deutlich an den überstürzten Zugeständnissen Trumps, die den Kreml eher dazu ermutigen, abzuwarten, ob durch weitere Angebote der Sieg auf dem Schlachtfeld leichter wird. Der Westen fällt damit den Ukrainern in den Rücken, die ja die USA und die EU massiv zu ihrem strikten Westkurs animiert haben. Um dem entgegenzuwirken, braucht es eine klare europäische Linie mit drei deutlich definierten Kategorien: erstens, Maßnahmen, die als Zeichen der Kompromissbereitschaft zurückgenommen werden können; zweitens, Punkte, über die erst im Rahmen eines umfassenden Kompromisses verhandelt werden kann; und drittens, rote Linien – also Positionen, die nicht zur Disposition stehen.Wirtschaftssanktionen eignen sich in europäischer Hand hervorragend als Verhandlungsmasse – schließlich war Europa, nicht die USA, vor dem Krieg Russlands wichtigster Handelspartner. Deshalb kommt den europäischen Sanktionen auch die eigentlich entscheidende Bedeutung zu. Für Russland gäbe es durch eine Einigung in diesem Bereich viel zu gewinnen. Sie zählen jedoch zu jenen Maßnahmen, die erst dann aufgehoben werden dürfen, wenn ein tragfähiger Kompromiss steht – um nicht, wie Trump, politische Trümpfe ohne Gegenleistung aus der Hand zu geben.Es liegt an den großen europäischen Nationen, Konzepte zu entwickeln, guten Willen praktisch zu demonstrieren, Verhandlungen anzustoßen, Verbündete zu gewinnen – und zugleich rote Linien klar zu benennen, die nicht überschritten werden dürfen. Parallel dazu muss die Demokratisierung der Europäischen Union vorangetrieben werden, um dem Eindruck eines „Diktats der Großen“ entgegenzuwirken. Europas Partner müssen überzeugt werden – nicht, wie es allzu oft in Washington oder Moskau geschieht, an den Rand gedrängt oder ausgebootet werden.Natürlich lässt sich aus moralisierender Perspektive jeder Kompromiss mit einem Aggressor aus Europa heraus ablehnen. Doch in diesem Fall werden es Putin und Trump sein, die die zukünftige Ordnung Osteuropas gestalten. Denn die alternative Perspektive eines Europas ohne Bewegung ist ein Krieg unbestimmter Dauer – mit unbestimmtem Ausgang.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal