„Wir werden nicht tatenlos zusehen“
Die Fragen stellte Philipp Kauppert.Herr Lange, viele Beobachter haben in den vergangenen Tagen vom Beginn eines „Handelskriegs“ gesprochen. Was möchte US-Präsident Trump mit seinen drastischen Zöllen erreichen?Wir haben es hier nicht mit einem normalen handelspolitischen Streit zu tun, sondern mit einer geopolitisch motivierten Offensive. Donald Trump nutzt Zölle nicht als temporäres Instrument zur Marktregulierung, sondern als machtpolitisches Mittel. Sein Ziel ist es, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Europas systematisch zu untergraben - im Rahmen seines „America First“-Kurses. Diese Maßnahmen sind kalkuliert, breit angelegt und hochgradig politisiert.Wenn der US-Präsident den Tag der Zollankündigung als „Liberation Day“ bezeichnet, ist das eine rhetorische Kriegserklärung. Ich nenne ihn den „Tag der Willkür“, weil hier wirtschaftliche Einschüchterung betrieben wird - nicht im Rahmen eines fairen, regelbasierten Systems, sondern im Gutsherrenstil. Europa muss das sehr ernst nehmen. Das ändert sich auch nicht durch die Tatsache, dass die Zölle in einer Kehrtwende doch wieder für 90 Tage ausgesetzt wurden.Was trifft Europa und insbesondere die deutsche Exportindustrie am stärksten? Welche Bereiche müssen nun fürchten, dass Arbeitsplätze verloren gehen?Das Ausmaß der Zölle ist beispiellos. Derzeit gelten 10 Prozent zusätzliche Zölle auf fast alle europäischen Waren. Und diese könnten in 90 Tagen auf 20 Prozent verdoppelt werden. Gleichzeitig haben wir 25 Prozent Zölle auf Stahl, Aluminium und Derivate sowie sehr hohe Zölle auf Autos und Autoteile. Präsident Trump hat außerdem angekündigt, dass weitere Zölle auf Halbleiter und pharmazeutische Produkte kommen könnten. Wie Sie sehen können, betreffen diese Zölle alle Schlüsselsektoren der europäischen Wirtschaft. Für Deutschland, dessen Wohlstand auf internationaler Wettbewerbsfähigkeit beruht, ist dies ein direkter Angriff auf sein industrielles Rückgrat.Die Folgen sind nicht abstrakt. Wenn zum Beispiel europäische E-Autos mit einem 25-prozentigen Zoll belegt werden, verliert ein mittelständischer Zulieferer aus dem Sauerland seinen US-Kunden. Wenn Chemierohstoffe aus Europa nicht mehr wettbewerbsfähig sind, geraten ganze Wertschöpfungsketten ins Wanken. Das bedeutet im Zweifelsfall Produktionsverlagerungen, Investitionsstopps - und ja, auch Arbeitsplatzverluste. Besonders perfide ist, dass sich die US-Maßnahmen nicht nur gegen Großkonzerne richten, sondern auch mittelständische Unternehmen betreffen, die keine Diversifizierungsmöglichkeiten haben. Umso wichtiger ist es, dass wir als Europäische Union weiterhin geschlossen reagieren und verlässlichen Schutz bieten. Das hat in den vergangenen Tagen bereits gut funktioniert.Wie wird die Antwort der Europäischen Union sein? Welche Gegenmaßnahmen der EU-Kommission sind nun aktuell in der Vorbereitung?Die Europäische Union ist vorbereitet - und das nicht erst seit gestern. Die EU-Kommission hat in den letzten Jahren umfangreiche Kriseninstrumente entwickelt, wie zum Beispiel das Anti-Coercion Instrument, das es ermöglicht, gezielt auf wirtschaftliche Nötigung durch Drittstaaten zu reagieren. Dieses Instrument ist nun einsatzbereit.Wir wollen keine unnötige Eskalation, aber wir dürfen auch keine Schwäche zeigen.Gleichzeitig führt die EU-Handelsdirektion detaillierte Analysen der Auswirkungen auf einzelne Sektoren durch. Auf dieser Grundlage können wir ganz gezielt Gegenmaßnahmen ergreifen - etwa Strafzölle auf US-Produkte mit starker politischer oder wirtschaftlicher Relevanz. Dabei geht es nicht um Vergeltung um der Vergeltung willen, sondern um Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit. Wir wollen keine unnötige Eskalation, aber wir dürfen auch keine Schwäche zeigen. Ich denke auch, dass wir die Debatte über eine offene strategische Autonomie im aktuellen Kontext mit Nachdruck führen müssen. Es reicht nicht aus, kurzfristig gegen Zölle vorzugehen. Wir müssen strukturelle Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass wir in kritischen Bereichen - Energie, Rohstoffe, Digitalisierung - in Zukunft weniger verwundbar sind.Welche anderen Handlungsoptionen gibt es auf europäischer Seite? Was bedeutet dies für den Handel mit anderen Regionen, etwa China oder Asien insgesamt?Die Diversifizierung ist ein zentrales Element unserer Strategie. In den letzten Jahren hat die EU eine neue Generation von Handelsabkommen abgeschlossen: mit Kanada (CETA), Japan (JEFTA), Vietnam, Neuseeland und hoffentlich bald auch mit dem Mercosur. Diese Abkommen helfen uns, Absatzmärkte zu sichern, strategische Partnerschaften zu stärken und unsere Abhängigkeit von den USA zu verringern.Gleichzeitig wächst in Europa das Bewusstsein, dass die Handelsbeziehungen nicht naiv geführt werden dürfen. China ist ein wichtiger Wirtschaftspartner, aber auch ein systemischer Konkurrent. Hier muss klar zwischen Kooperation und Abgrenzung unterschieden werden. Wir müssen in der Lage sein, die Interessen der europäischen Unternehmen noch besser zu schützen - gerade auf Märkten, auf denen es keine gleichen Wettbewerbsbedingungen gibt. Ein weiterer wichtiger Bereich ist die internationale Koalitionsbildung. Die USA isolieren sich mit ihrer Zollpolitik. Europa hingegen kann mit Ländern im globalen Süden, mit ASEAN-Staaten oder lateinamerikanischen Demokratien, gemeinsame Standards und nachhaltige Wirtschaftsbeziehungen entwickeln. Das ist ein geopolitischer Vorteil, den wir nutzen müssen.Und wie sind unsere Aussichten mittelfristig? Sind wir stark von den USA abhängig, oder könnten wir aus dieser Krise sogar gestärkt hervorgehen?Krisen sind immer ein Weckruf. Die transatlantische Partnerschaft ist wichtig, sie hat historische Tiefe und strategische Bedeutung - aber sie darf nie eine Einbahnstraße sein. Wenn die USA einseitig agieren, muss Europa auf Augenhöhe reagieren. Die gute Nachricht ist, dass wir in den letzten Jahren bereits viele Schritte unternommen haben, um unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken - im Energiesektor, bei der Digitalisierung, bei den Lieferketten. Diesen Weg müssen wir nun konsequent weiterverfolgen.Mittelfristig liegt unsere Chance darin, zu zeigen, dass Europa nicht nur regulieren, sondern auch gestalten kann.Mittelfristig liegt unsere Chance darin, zu zeigen, dass Europa nicht nur regulieren, sondern auch gestalten kann. Eine kohärente Industriepolitik, gepaart mit einer wertebasierten Handelspolitik, kann Europa global positionieren - nicht als Juniorpartner, sondern als eigenständiger Akteur. Darüber hinaus werden europäische Werte - Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Nachhaltigkeit - zunehmend zu einem Standortvorteil. Unternehmen in aller Welt suchen nach verlässlichen Partnern. Wenn es uns gelingt, Transparenz, Sicherheit und Innovationskraft zu verbinden, dann kann Europa sogar gestärkt aus dieser Debatte hervorgehen.Abschließend: Wird es zu einem vollständigen Bruch im transatlantischen Verhältnis kommen?Ich hoffe nicht. Wir dürfen aber auch nicht die Augen davor verschließen, dass wir in eine neue Ära der Weltwirtschaft eintreten. Die Verlässlichkeit der traditionellen Partner bröckelt, geopolitische Machtverschiebungen sind eine Realität. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Interessenkonflikte zunehmen - nicht nur mit den USA, sondern auch mit China, Indien und anderen aufstrebenden Akteuren.Dennoch teilen die Gesellschaften in den USA und in Europa immer noch viele grundlegende Werte. Es liegt an uns, diese Basis zu bewahren. Dies kann nur durch Dialog, aber auch durch Standhaftigkeit geschehen. Wir sind gesprächsbereit, aber wir werden uns nicht einschüchtern lassen. Die Europäische Union ist heute wirtschaftlich, politisch und institutionell so stark wie nie zuvor. Jetzt kommt es darauf an, diese Stärke zu zeigen - umsichtig, aber entschlossen.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal