In Aufruhr

10.04.25 16:16 Uhr

VietnamVietnam ist von der neuen amerikanischen Zollpolitik schwer getroffen. Darüber kann auch der jüngst verkündete Aufschub um 90 Tage nicht hinwegtäuschen. Zwar hatte man bei einem Handelsbilanzüberschuss in Höhe von 123 Milliarden US-Dollar schon geahnt, dass es diesmal nicht so glimpflich verlaufen würde wie noch unter der ersten Trump-Präsidentschaft. Damals war Vietnam sogar einer der größten Profiteure der „China-Plus-One“-Politik. Doch fühlte man sich gut vorbereitet. Mit kleinen Bonbons, wie der Ankündigung eines von Trumps Firma gebauten Golfresorts in Vietnam für 1,5 Milliarden US-Dollar und Reisen hochrangiger Wirtschaftsvertreter. Aber auch mit größeren Brocken, wie der Testerlaubnis zur Nutzung von Starlink und konkreten Rüstungsdeals konnte man in Washington durchaus Eindruck schinden. Bereits im Spätsommer 2023 schloss man eine umfassende strategische Partnerschaft ab, aus vietnamesischer Sicht die höchste Stufe von bilateralen Beziehungen.Mit Zöllen in Höhe von 46 Prozent hatten selbst in Hanoi nur die wenigsten gerechnet. Von allen Ländern weltweit ist dies der sechsthöchste Wert. Besonders hart trifft es exportorientierte Volkswirtschaften, die stark auf ausländische Direktinvestitionen setzen. 2024 betrug der gesamte vietnamesische Exportwert 405,5 Milliarden US-Dollar, was 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Etwa 30 Prozent des Außenhandels entfallen dabei auf die USA. Ein konstantes Wirtschaftswachstum dient als wichtiger Stabilitätsanker für das politische System. Für 2025 strebt die Regierung eine Wachstumsrate von acht Prozent an, in den Folgejahren sogar zweistellige Raten. Würden die neuen Zollschranken tatsächlich umgesetzt werden, drohen Wachstumseinbußen um bis zu fünf Prozent. Der Schaden wäre massiv.Selbst im günstigsten Fall glaubt in Hanoi niemand, dass sich die Zölle komplett abschaffen lassen.Selbst wenn die Zölle nun temporär ausgesetzt bleiben, macht man sich in Hanoi keinerlei Illusionen, wie anfällig das Land für neue Einschläge ist. Das 100-Millionen Einwohnerland ist eine erfahrene Handelsnation, die gelernt hat, mit wirtschaftlichem Druck aus Nachbarländern, besonders aus dem großen Nachbarland China, umzugehen. Bei mittlerweile 15 abgeschlossenen Freihandelsabkommen hat Vietnam hart und erfolgreich verhandelt. Während viele Länder nach der Zollankündigung vom 2. April in eine Schockstarre verfielen, reagierte Vietnam prompt mit einer beispiellosen Charmeoffensive. Ziel ist, den Vereinigten Staaten so weit wie möglich entgegenzukommen. Als einer der Ersten rief der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, To Lam, bei Trump an und bot sogar die vollständige Aufhebung aller gegenseitigen Einfuhrzölle an. Gleichzeitig versprach er, vermehrt US-Flüssiggas, Agrarprodukte und Energieausrüstungen zu importieren. Weitere Verhandler sind in diesen Tagen auf dem Weg. Noch bis zum 14. April soll Vietnams stellvertretender Regierungschef Ho Duc Phoc weitere Gespräche führen. Die Erfolgsaussichten scheinen dennoch überschaubar. Selbst im günstigsten Fall glaubt in Hanoi niemand, dass sich die Zölle komplett abschaffen lassen – oder dass nicht bald neue Drohungen folgen könnten.Mittel- bis langfristig könnte das Verhalten von Trump demnach zu einer anderen Einschätzung in Hanoi führen. Vietnam ist maximal pragmatisch und will sich nicht als Standort missbrauchen lassen, wo die Großmächte ihre Lieferketten und Zollregelungen nach Gutdünken hin und her verschieben. Schon in den letzten Monaten verkündete das vietnamesische Handelsministerium deshalb eine größere Diversifizierung. Neben der Weiterentwicklung etablierter Märkte wie der EU sollen neue Märkte in Südamerika, dem Nahen Osten, Afrika und Osteuropa erschlossen werden. Ob die EU diese Lücke wird füllen können, ist zwar überaus wünschenswert, jedoch zweifelhalft. Seit Unterzeichnung des Freihandelsabkommen sind die vietnamesischen Exporte in die EU zwar um 50 Prozent auf knapp 52 Milliarden US-Dollar gestiegen. Doch das Abkommen bleibt noch deutlich hinter seinen Möglichkeiten zurück, auch weil noch nicht alle Zölle abgebaut sind.Ein stärkerer Profiteur könnte nun ausgerechnet jenes Land sein, dem Trump mit seinen Aktionen am meisten schaden wollte. China steht in den Startlöchern und könnte der Region Südostasien neue Angebote machen. Schon heute kommen die meisten Einfuhren vom großen Nachbarn. Der Bau einer neuen Zugverbindung von Vietnams größtem Hafen in Haiphong in Chinas Süden soll noch dieses Jahr starten. Ein Staatsbesuch von Präsident Xi Jinping ist für die kommende Woche geplant. Trump wollte China schwächen – doch in Vietnam könnte er genau das Gegenteil bewirken.Timo Rinke, FES HanoiThailandDass Thailand nicht ungeschoren davonkommen würde, war abzusehen. Schließlich verzeichnet das Land mit 45 Milliarden US-Dollar einen sehr hohen Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA. Die Höhe der nun verhängten Zölle überraschte dann aber doch: 36 Prozent auf Importe aus Thailand. Damit hatte niemand gerechnet. Umso größer ist nun die Erleichterung nach der Ankündigung von Präsident Trump, die Zölle zunächst für 90 Tage auszusetzen. Dies verschafft Thailand eine Atempause, die für Verhandlungen genutzt werden soll.Die USA sind Thailands wichtigster Exportmarkt: Im Jahr 2024 gingen 18,3 Prozent aller Ausfuhren in die Vereinigten Staaten. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der angekündigten US-Zölle wären daher enorm: Aktuellen Schätzungen zufolge könnte das thailändische Wirtschaftswachstum aufgrund des zu erwartenden Exportrückgangs um ein Prozent geringer ausfallen. Betroffen wären alle wichtigen Industriesektoren: Automobil-, Elektro-, Chemie-, Stahl-, Nahrungsmittel- und Textilindustrie sowie der Maschinenbau.Thailand befindet sich gegenüber den USA in einer schwachen Verhandlungsposition. Wirtschaftliche Gegenmaßnahmen sind keine Option.Wie soll Thailand auf die US-Zölle reagieren? Um diese Frage dreht sich die aktuelle Diskussion. Thailand befindet sich gegenüber den USA in einer schwachen Verhandlungsposition. Wirtschaftliche Gegenmaßnahmen – wie sie etwa in der EU erwogen werden – sind für Thailand keine Option. Die thailändische Regierung setzt folglich auf den Dialog mit Washington. Verhandlungen sollen in Kürze beginnen und auf thailändischer Seite von Finanzminister Pichai Chunhavajira geleitet werden. Er kündigte an, den USA fünf zentrale Vorschläge zu unterbreiten, um den großen Handelsbilanzüberschuss schrittweise abzubauen: Erstens sei die thailändische Regierung bereit, mehr aus den USA zu importieren, etwa Flüssiggas oder Agrargüter. Zudem wird erwogen, verstärkt Rüstungsgüter aus den USA zu kaufen. Zweitens könne Thailand Zölle auf über 100 US-Produkte reduzieren oder ganz abschaffen. Drittens sollen nicht-tarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden. Viertens sollen thailändische Unternehmen dabei unterstützt werden, mehr in den USA zu investieren, bspw. im Agrar- und Energiesektor. Und fünftens sei Thailand bereit, die Ursprungsregeln zu verschärfen, um zu verhindern, dass aus Drittstaaten eingeführte Güter in Thailand umdeklariert und anschließend in die USA exportiert werden. Mit diesem Maßnahmenpaket will Bangkok signalisieren, dass es zu konstruktiven Schritten bereit ist. Inwieweit diese Verhandlungsstrategie Erfolg haben wird, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen.Die US-Zölle sind allerdings nicht das einzige Problem, das Regierung und Unternehmen in Thailand Kopfschmerzen bereitet. Auch die Handelsbeziehungen zu China stellen das Land vor große Herausforderungen. In den vergangenen Jahren sind die Importe Thailands aus China deutlich gestiegen, nicht zuletzt aufgrund der großen chinesischen Überkapazitäten. Bereits jetzt verzeichnet Thailand ein hohes Handelsbilanzdefizit gegenüber China. Viele thailändische Unternehmen mussten ihre Fabriken schließen, da sie nicht mit chinesischen Herstellern konkurrieren können. Befürchtet wird, dass ein eskalierender Handelskonflikt zwischen den USA und China die Situation weiter verschärfen wird. Chinesische Unternehmen, die ihre Güter nicht mehr in den USA verkaufen können, könnten noch aggressiver in andere Märkte drängen und Thailand mit Produkten zu Dumping-Preisen überfluten.Thailand steckt also in der Zwickmühle: Zum einen muss das Land seinen Handelsbilanzüberschuss mit den USA abbauen; zum anderen sieht es sich mit einer Importschwemme aus China konfrontiert, die die einheimische industrielle Basis bedroht. Beides dürfte die zukünftigen Exportchance beeinträchtigen. Damit geraten die Grundpfeiler des traditionellen thailändischen Entwicklungsmodells ins Wanken– jenes Modells, das wie in vielen anderen Ländern Asiens auf exportorientierter Industrialisierung beruht.Was also tun? Eine Antwort lautet Diversifizierung. Um die Abhängigkeit von den USA und China zu reduzieren, will die thailändische Regierung die Handelsbeziehungen mit anderen Partnern stärken. Die Europäische Union spielt dabei eine wichtige Rolle. Derzeit verhandeln Thailand und die EU über ein Freihandelsabkommen. Anfang April 2025 fand in Brüssel die fünfte Verhandlungsrunde statt. Beide Seiten streben an, die Verhandlungen bis zum Jahresende erfolgreich abzuschließen.Henning Effner, FES BangkokBangladeschMit dem vorläufigen Aussetzen der US-Zollerhöhungen auf Importe ergibt sich für Bangladesch eine dringend benötigte Verschnaufpause. Diese bietet der Regierung in Dhaka die Möglichkeit, die möglichen wirtschaftlichen Implikationen genauer zu analysieren und ihre eigenen Verhandlungspositionen zu definieren. Die Entwicklungen können durchaus auch Chancen für Bangladesch bieten.Die USA haben die Zölle auf Importe aus Bangladesch zunächst auf 37 Prozent angehoben. Nach offiziellen Angaben aus Dhaka erhoben die USA bisher bereits etwa 15 Prozent, während Bangladesch seinerseits im Schnitt nur 5-6 Prozent verlange. Die Ankündigungen aus Washington lösten insbesondere Sorgen um die Textilindustrie aus. Bangladesch ist nach China der weltweit zweitgrößte Produzent, und die Vereinigten Staaten sind nach der Europäischen Union der bedeutendste Absatzmarkt. In Reaktion rief der Vorsitzende der Übergangsregierung, Muhammad Yunus, Washington dazu auf, die Zölle für drei Monate auszusetzen. Man arbeite bereits daran, die Importe aus den USA zu erhöhen. Allerdings stößt das Land bei der Umsetzung auf strukturelle Grenzen. Bangladesch will seine engen Handelsbeziehungen zur EU nicht gefährden und sucht deshalb WTO-kompatible Lösungen. Insbesondere die Meistbegünstigungsklausel macht es schwierig, einzelnen Ländern – wie den USA – exklusive Zollvorteile einzuräumen, ohne andere Partner zu benachteiligen.Bangladesch hat angeboten, zusätzlich zu den bereits zollfreien 190 Importgütern weitere 100 Produkte von Zöllen zu befreien. Dieses Angebot ist Teil langfristig vorbereiteter Reformen und würde nicht ausschließlich den USA zugutekommen. Doch dort, wo die USA wettbewerbsfähig sind, könnten sie von neuen Marktchancen profitieren – etwa bei Baumwolle, Gasturbinen, Medizintechnik und Agrargütern. Attraktiv ist für beide Seiten insbesondere die relativ hochwertige amerikanische Baumwolle. China ist ein bedeutender Abnehmer, doch diese Handelsbeziehung dürfte von den aktuellen Spannungen mit den USA negativ betroffen sein. Bangladesch ist bisher im Mittelfeld der Importeure, könnte jedoch in diese Lücke stoßen. Das größte Hindernis stellen die langen Lieferzeiten dar, die angesichts immer kürzerer Auftragsfristen der Bekleidungsmarken für lokale Firmen problematisch sind.Die Unsicherheit infolge der angekündigten US-Zollerhöhungen hat auch in Bangladesch bereits spürbare Auswirkungen auf die Realwirtschaft.Die Unsicherheit infolge der angekündigten US-Zollerhöhungen hat auch in Bangladesch bereits spürbare Auswirkungen auf die Realwirtschaft. In mehreren Textilfabriken wurden bestehende Aufträge zunächst auf Eis gelegt. Andere Abnehmer versuchten, neue Preisnachlässe auszuhandeln – ein schwieriges Unterfangen für lokale Produzenten, die ohnehin mit geringen Gewinnmargen kalkulieren müssen. Angesichts hoher laufender Kosten geraten viele Unternehmen schnell unter Druck. Hinzu kommt ein strukturelles Ungleichgewicht in den Geschäftsbeziehungen: Die Verhandlungsmacht liegt meist bei den internationalen Abnehmern, nicht bei den Zulieferern. Die Sorge wächst, dass sich bereits jetzt ein Dominoeffekt in der exportorientierten Industrie abzeichnet.Die Auswirkungen auf Bangladeschs internationale Wettbewerbsfähigkeit könnten durch die veränderten Rahmenbedingungen zumindest teilweise kompensiert werden. Die bedeutendsten Konkurrenten wurden zunächst mit noch höheren Zöllen belegt. Allen voran China, das als weltweit größter Textilproduzent nun mit prohibitiv hohen Abgaben konfrontiert ist. Auch die relativen Positionen Vietnams und Kambodschas verschlechtern sich. Größere Sorgen bereiten allerdings Indien und Pakistan. Beide Länder profitieren von deutlich niedrigeren US-Zollsätzen – Indien liegt rund zehn, Pakistan etwa acht Prozentpunkte unter dem Niveau Bangladeschs. Zwar war Indien im direkten Wettbewerb wenig konkurrenzfähig, verfolgt jedoch ehrgeizige Pläne zur Ausweitung seiner Textilproduktion. Auch wird befürchtet, dass die ideologische Nähe zwischen Donald Trump und Narendra Modi sowie das größere Interesse der USA am indischen Markt Neu-Delhi in eine vorteilhaftere Verhandlungsposition bringen. Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar hat bereits kurzfristig ein Telefongespräch mit seinem amerikanischen Pendant Marco Rubio führen können. Dennoch wird Indien wohl kaum die Verschiebungen aus der chinesischen und südostasiatischen Produktion auffangen können.Felix Gerdes, FES DhakaWeiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal