Der andere Handelskonflikt

10.04.25 16:12 Uhr

Mit den „Liberation Day“-Zöllen schlägt die USA unter Präsident Trump eine neue Zäsur aggressiv ausgerichteter Handelspolitik ein – diesmal nicht nur gegenüber China, sondern weltweit. Besonders für Entwicklungsländer ist das verheerend, zumal gleichzeitig die Agentur der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung (USAID) grundlegend abgebaut wird.Während Washington auf Konfrontation setzt, intensiviert China seine wirtschaftliche Präsenz im Globalen Süden – etwa durch zollfreien Marktzugang für ärmere Länder, Infrastrukturprojekte und Investitionen in grüne Technologien. Nach außen wird dabei die Idee einer partnerschaftlichen Entwicklung betont. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass diese wirtschaftliche Öffnung auch mit strategischer Eigenlogik verbunden ist.Während sich viele Beobachter über Jahre darauf eingestellt hatten, dass China sich schrittweise aus arbeitsintensiven, niedrigtechnologischen Sektoren zurückzieht, verfolgt die Regierung inzwischen eine andere Strategie. Der 14. Fünfjahresplan betont ausdrücklich die Bedeutung sogenannter „traditioneller Industrien“ – etwa in den Bereichen Textilien, Haushaltsgeräte, einfacher Maschinenbau und Basismaterialien. Diese sollen nicht nur erhalten, sondern gezielt modernisiert und durch neue Technologien wettbewerbsfähiger gemacht werden.Diese industriepolitische Ausrichtung folgt einem klaren geopolitischen Kalkül: Angesichts zunehmender globaler Unsicherheiten will China seine wirtschaftliche Resilienz stärken – durch mehr Selbstversorgung, technologische Eigenständigkeit und Kontrolle über strategische Wertschöpfungsketten. Gleichzeitig werden bestehende Produktionskapazitäten massiv ausgebaut, nicht zuletzt durch staatliche Subventionen, Steuererleichterungen und günstige Kreditvergaben an Schlüsselindustrien.Das Ergebnis ist ein strukturelles Überangebot in zahlreichen Sektoren – insbesondere in solchen, in denen Entwicklungsländer eigentlich eine industrielle Aufholbewegung anstrebten. Ob in der Solarbranche, im Maschinenbau, bei Fahrzeugteilen oder sogar im Textilsektor: Chinesische Unternehmen produzieren weit über die inländische Nachfrage hinaus und exportieren ihre Überschüsse zu Preisen, mit denen lokale Produzenten kaum konkurrieren können.Für Länder des Globalen Südens bedeutet das nicht nur einen gestiegenen Preisdruck auf heimische Märkte, sondern auch eine strukturelle Blockade bei der Entwicklung eigener Industrien. Statt sich in globalen Wertschöpfungsketten nach oben zu bewegen, bleiben viele Staaten auf Rohstoffexporte und den Import chinesischer Fertigwaren angewiesen – eine Dynamik, die bestehende Abhängigkeiten verstärkt und die industrielle Eigenständigkeit untergräbt.Chinesische Unternehmen produzieren weit über die inländische Nachfrage hinaus.Angesichts wachsender Importabhängigkeit und stagnierender Industrialisierung reagieren immer mehr Länder des Globalen Südens mit handelspolitischen Gegenmaßnahmen – insbesondere gegen chinesische Handelsüberschüsse im Fertigungssektor. Inzwischen setzen Staaten wie Indien, Brasilien, Argentinien und Südafrika verstärkt auf Zölle, Anti-Dumping-Maßnahmen und Local-Content-Vorgaben, um heimische Produzenten zu schützen. Was zunächst auf Stahl und Textilien beschränkt war, betrifft inzwischen auch Schlüsselindustrien wie Maschinenbau, Elektronik, Fahrzeugteile und sogar grüne Technologien.Dabei geht es nicht nur um klassische Handelshindernisse: Viele Länder koppeln chinesische Investitionen an Bedingungen wie Technologie-Transfer, lokale Wertschöpfung und Beschäftigung. Indonesien, die Türkei oder Brasilien verlangen zunehmend, dass ausländisches Kapital den Aufbau einheimischer Kapazitäten unterstützt – nicht bloß den Export von Rohstoffen erleichtert. Diese Entwicklung markiert einen grundlegenden Wandel: Der Globale Süden strebt danach, mit defensiven Handelsmaßnahmen sich von der Rolle des reinen Absatzmarkts oder Rohstofflieferanten zu lösen. Der Fokus vieler Länder verschiebt sich hin zu Partnerschaften, die eigene Produktionskapazitäten stärken.Auffällig ist dabei, dass China bislang keine systematischen Vergeltungsmaßnahmen gegen Länder des Globalen Südens ergreift – selbst wenn diese zu protektionistischen Mitteln greifen. Dieses strategisch motivierte Entgegenkommen unterscheidet sich deutlich von Chinas konfrontativer Haltung gegenüber der EU oder den USA. Im Gegensatz zu den Reaktionen auf westliche Handelsmaßnahmen agiert China gegenüber dem Globalen Süden auffallend zurückhaltend.Zugleich verschiebt sich die globale Ordnung. Die wachsenden Spannungen zwischen den wirtschaftlichen Großmächten – insbesondere zwischen den USA und China – eröffnen neuen politischen Spielraum. Länder des Globalen Südens können in einer fragmentierten Weltwirtschaft zunehmend als eigenständige Akteure auftreten. Sie nutzen die strategischen Rivalitäten, um sich Gehör zu verschaffen, Forderungen zu stellen – und aktiv zwischen den Machtzentren zu verhandeln. Genau hier eröffnet sich auch eine neue Rolle für die Europäische Union.Denn die strategischen Spannungen zwischen den Großmächten haben nicht nur politische, sondern auch konkrete wirtschaftliche Auswirkungen – auf Europa wie auf den Globalen Süden. Beide sind zunehmend mit den Folgen chinesischer Überkapazitäten konfrontiert – etwa in der Solarindustrie, im Maschinenbau oder bei Vorprodukten. Während europäische Hersteller unter Preisdruck und unfairem Wettbewerb leiden, wird im Globalen Süden der Aufbau eigener Industrien blockiert. Diese gemeinsame Betroffenheit eröffnet Chancen für eine strategische Zusammenarbeit: durch die Diversifizierung von Lieferketten, den Aufbau regionaler Produktionsnetzwerke und transparente Handelsregeln. Solche Partnerschaften könnten helfen, Abhängigkeiten von chinesisch dominierten Wertschöpfungsketten zu reduzieren und gegenseitige Resilienz zu stärken.Zugleich steht die EU vor internen Zielkonflikten: Während sie außenpolitisch für regelbasierten Handel eintritt, verfolgen Mitgliedsstaaten – allen voran Deutschland – eigene industriepolitische Interessen. Exportorientierung, die Sicherung von Arbeitsplätzen und enge wirtschaftliche Verflechtungen mit China erschweren eine gemeinsame Linie. Umso wichtiger ist es, Kooperationen mit dem Globalen Süden nicht nur als entwicklungspolitische Verantwortung, sondern als strategische Chance zu begreifen – auch zur Stärkung europäischer Industriepolitik unter veränderten globalen Bedingungen.Viele Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika suchen nach neuen Formen der Zusammenarbeit.Vor dem Hintergrund wachsender geopolitischer Spannungen und struktureller Verschiebungen im globalen Handel steht die Europäische Union vor einer zentralen Entscheidung: Will sie ihre Rolle als wirtschaftlicher Ordnungsakteur behaupten, muss sie sich als glaubwürdige Alternative zu dem Modell Chinas positionieren – vor allem gegenüber dem Globalen Süden.Viele Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika suchen nach neuen Formen der Zusammenarbeit, die über Rohstoffexporte und Konsumgüterimporte hinausgehen. Hier kann die EU ansetzen – nicht nur mit Marktzugang oder klassischer Entwicklungshilfe, sondern mit gezielter Unterstützung beim Aufbau industrieller Kapazitäten, regulatorischer Infrastruktur und technologischer Eigenständigkeit. Projekte in Brasilien oder Kenia zeigen bereits, dass EU-Investitionen in nachhaltige Produktion und Ausbildung Wirkung entfalten – Potenzial, das systematisch gestärkt werden könnte.Zugleich muss die EU auch die institutionellen Grundlagen für fairen Handel mitentwickeln. In vielen Ländern fehlt es an funktionierenden Monitoring-Instrumenten, rechtlicher Expertise oder administrativen Strukturen, um auf unfaire Handelspraktiken reagieren zu können. Deshalb sollte europäische Unterstützung gezielt in den Aufbau handelspolitischer Kompetenzen fließen – etwa durch Trainingsprogramme, Wissensaustausch oder technische Zusammenarbeit im Bereich Handelsrecht, Zollpolitik und Marktüberwachung. Nur so können Partnerländer selbstbewusst und regelbasiert am globalen Handel teilnehmen.Eigene Instrumente wie der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), so sinnvoll sie klimapolitisch auch sind, müssen dabei mit Bedacht umgesetzt werden. Ohne Ausweitung begleitender Unterstützung könnten sie unbeabsichtigt zu Handelsbarrieren werden – und so Partnerländer eher in Richtung chinesischer grüner Technologien und Finanzierung drängen. Nur wenn Europa selbst bereit ist, Verantwortung zu teilen und Macht neu zu denken, kann es im globalen Handel eine glaubwürdige Alternative sein – jenseits von Abhängigkeiten und Dominanzlogiken.In einer Weltwirtschaft im Wandel wächst der Druck auf Entwicklungsländer, ihre Position zwischen den großen Machtblöcken neu zu definieren. Chinas anhaltende Exportdominanz und die konfrontative Handelspolitik der USA verschärfen strukturelle Abhängigkeiten – doch zugleich öffnen sich neue Handlungsspielräume für den Globalen Süden, eigene industriepolitische Interessen selbstbewusster zu vertreten.Die Europäische Union steht vor der Wahl, auf diese Dynamik lediglich zu reagieren – oder sie aktiv mitzugestalten. Wenn sie in der Lage ist, marktorientierte Öffnung mit gezieltem Kapazitätsaufbau, Technologiepartnerschaften und fairen Investitionsbedingungen zu verbinden, kann sie nicht nur ihren eigenen Einfluss wahren, sondern auch dazu beitragen, global gerechtere Handelsstrukturen zu fördern.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal