Autoritäres Machtspiel

10.04.25 16:11 Uhr

Am 2. April kündigte Präsident Trump den Liberation Day an. Nach der Vorstellung Trumps sollen über massive Zollmaßnahmen die verarbeitende Industrie zurückgeholt werden und damit die Vereinigten Staaten zur alten Größe finden. Als Grundlage für die Berechnung der Zölle dient eine simple Formel, nach der die bilateralen Handelsdefizite die Höhe der jeweiligen Zölle bestimmen. Eine Einbindung des Kongresses oder Konsultationen mit Unternehmen, Gewerkschaften oder der Zivilgesellschaft, um die weitreichenden wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen zu erörtern, fanden jedoch nicht statt. Die Trump-Administration kündigte im Alleingang ohne Rücksicht auf Verluste eine der umfassendsten Zollmaßnahmen der amerikanischen Geschichte an.Nach der amerikanischen Verfassung bestimmt der Kongress jedoch die Einnahmen und Ausgaben der Regierung, was die Festlegung von Zöllen mit einschließt. Allerdings hat der Kongress in der Handelspolitik spätestens seit den 1930er Jahren weitreichende Kompetenzen an den Präsidenten delegiert. Die Gründe hierfür waren unter anderem eine schnellere und verbesserte Handlungsfähigkeit der Regierung in Krisen, gegen unfaire Handelspraktiken anderer Länder und in Verhandlungen über Handelsabkommen.So autorisiert der Trade Act of 1930 den Präsidenten bei ausländischem Dumping oder Subventionen Vergeltungsmaßnahmen, darunter Zölle, einzuleiten. Seit dem Trade Expansion Act of 1962 (darf der Präsident gegen Importe vorgehen, wenn diese die nationale Sicherheit gefährden. Mit dem Trade Act of 1974 delegierte der Kongress die Kompetenz an den Präsidenten, Gegenmaßnahmen einzuleiten, wenn unfaire Handelspraktiken anderer Länder vorliegen oder ein rapider Anstieg von Importen eine heimische Industrie gefährdet. Der International Emergency Economic Powers Act of 1977 autorisiert den Präsidenten zudem nach der Erklärung eines nationalen Notstands den Außenhandel zu regulieren.Doch nicht nur für protektionistische Maßnahmen, sondern auch für Zollsenkungen mit Handelspartnern erteilte der Kongress dem Präsidenten unter Auflagen und auf Zeit eine Handelsvollmacht, auch Fast Track Authority oder Trade Promotion Authority genannt. Ein mit einer solchen Vollmacht unterzeichnete Handelsabkommen genießt ein beschleunigtes und vereinfachtes Verfahren im Kongress. Dieser bindet sich mit der Erteilung dieser Vollmacht in gewissem Maße selbst die Hände, um langwierige Blockaden bei der Verabschiedung von Handelsabkommen zu vermeiden.Nach der amerikanischen Verfassung bestimmt der Kongress die Einnahmen und Ausgaben der Regierung.Je nach geltender Gesetzeslage und handelspolitischer Maßnahme haben sich in der Handelspolitik der Vereinigten Staaten komplexe Entscheidungsprozesse etabliert. Bei Verhandlungen über Freihandelsabkommen führt beispielsweise das Office of the United States Trade Representative Konsultationen mit dem Kongress sowie mit 26 Beratungsausschüssen, in denen Industriebranchen, Gewerkschaften und andere Interessenverbände vertreten sind. Im Kongress wiederum finden Anhörungen in verschiedenen Ausschüssen statt, bei denen die unterschiedlichen Interessen Gehör finden können.Bei Maßnahmen gegen Dumping oder Subventionen reicht eine heimische Industrie zunächst eine Petition beim Department of Commerce ein, das daraufhin eine Untersuchung der unfairen Handelspraktiken einleitet. Gleichzeitig erstellt die International Trade Commission eine Studie über die Schäden, die diese Praktiken der heimischen Wirtschaft zufügen. Maßnahmen gegen Importe, die potenziell die nationale Sicherheit gefährden, fallen ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich des Department of Commerce, unter Beteiligung des Pentagon.Auch wenn sich diese etablierten Prozesse kritisieren lassen – zum Beispiel als zu langsam oder verzerrt zu Gunsten von Unternehmensinteressen –, verhindern sie leichtsinnige Entscheidungen in der Handelspolitik. Zugleich handelt sich bei den Schutzmaßnahmen meist um Handelsrestriktionen, die auf spezifische Güter oder Industrien begrenzt bleiben. Umfangreiche Änderungen von Zöllen, wie bei Freihandelsabkommen, umfassen hingegen eine breite Konsultation der Wirtschaft und Zivilgesellschaft und benötigen die Zustimmung des Kongresses.Die massiven Erhöhungen von Zöllen auf fast alle Handelspartner und Importgüter ohne ausgiebige Involvierung des Kongresses und ohne Konsultationen mit Industrieverbänden und Gewerkschaften bricht nicht nur mit den etablierten Normen und Prozessen, sondern beugt auch die bestehende Gesetzeslage. Als Grundlage für Implementierung der Zölle dient der Trump-Administration der International Emergency Economic Powers Act. Danach kann der Präsident einen nationalen Notstand ausrufen und dann ohne langwierige Prozesse den Außenhandel regulieren. Als vergleichbares historisches Ereignis lässt sich die Erhebung eines universellen Zolls von zehn Prozent durch Präsident Nixon nennen. Nixon nutzte dafür den Trading with the Enemy Act of 1917, das Vorgängergesetz des International Emergency Economic Powers Act. Ziel der Nixon-Administration war es, mit Zöllen Druck auf andere Staaten, insbesondere Japan, auszuüben, damit diese ihre Währungen gegenüber dem US-Dollar aufwerteten.Die breite Anwendung des Gesetzes durch Präsident Trump entspricht jedoch nicht dessen eigentlichem Zweck. Der Kongress wollte mit dem Gesetz die Handlungsfähigkeit der Regierung in kurzfristigen Notlagen, insbesondere dem Kriegszustand, gewährleisten. Die Trump-Administration missbraucht jedoch das Gesetz, indem sie einen Handelskrieg gegen die Welt betreibt – unter der Begründung, das große, dauerhafte Handelsdefizit stelle einen nationalen Notstand dar. Folgt man dieser Begründung, kann der Präsident jedwede Zölle beim Auftreten eines Handelsdefizits erlassen. Die Fadenscheinigkeit des Arguments belegt der Handel mit Australien. Die Trump-Administration verhängt auch gegen den Verbündeten Australien einen Zoll von zehn Prozent, obwohl beide Länder ein Freihandelsabkommen unterzeichneten und die Vereinigten Staaten ein Handelsüberschuss gegenüber Australien ausweisen.Die Trump-Administration greift damit in eine zentrale Kernbefugnis des Kongresses ein – die Budgethoheit.Darüber hinaus erklärte Trump, mit den Zöllen das Ziel zu verfolgen, umfassende Staatseinnahmen zu generieren, um die Staatsverschuldung zu reduzieren beziehungsweise geplante Steuersenkungen zu finanzieren. Doch gerade die Festlegung der Staatseinnahmen obliegt dem Kongress. Die Trump-Administration greift damit in eine zentrale Kernbefugnis des Kongresses ein – die Budgethoheit –, die zugleich ein grundlegendes Element der Gewaltenteilung darstellt. Bereits zuvor hatte die Trump-Administration durch die Streichung oder Umschichtung von Ausgaben, die zuvor vom Kongress bewilligt worden waren, die Budgethoheit des Kongresses infrage gestellt. Mit dem Missbrauch der ihr delegierten Befugnisse in der Handelspolitik unterminiert die Trump-Administration somit erneut das Prinzip der Checks and Balances der amerikanischen Demokratie.Im Kongress formiert sich allerdings ein Widerstand unter den Republikanern, wenn auch bisher im überschaubaren Umfang. Im Senat brachten der Republikaner Chuck Grassley und die Demokratin Maria Cantwell ein überparteiliches Gesetz ein, dass die verfassungsmäßig verankerte Rolle des Kongresses bei der Festlegung von Zöllen wiederherstellen soll. Inspiriert von der War Powers Resolution, muss nach dem eingebrachten Trade Review Act der Präsident innerhalb von zwei Tagen den Kongress über die geplante Erhebung von Zöllen informieren. Danach muss der Kongress innerhalb von 60 Tagen die Zölle genehmigen, ansonsten enden diese unverzüglich. Die Gesetzesvorlage wird von sechs weiteren republikanischen Senatoren unterstützt, darunter der ehemalige Mehrheitsführer des Senats Mitch McConnell und der libertäre Senator Rand Paul.Auch im Repräsentantenhaus brachte der Republikaner Don Bacon, zusammen mit zwei weiteren Republikanern und zwei Demokraten, die Gesetzesvorlage ein. Mehrere republikanische Abgeordnete erwägen, der Gesetzesvorlage zuzustimmen. Als Reaktion beginnt Präsident Trump bereits die „rebellischen“ Republikaner zu brandmarken, um eine Verabschiedung der Gesetzesvorlage zu verhindern. Doch selbst wenn eine ausreichende Mehrheit im Senat und Repräsentantenhaus für die Verabschiedung des Gesetzes zustande käme, droht Präsident Trump bereits mit einem Veto. Um dieses Veto zu überstimmten, müsste der Kongress das Gesetz in beiden Kammern mit einer Zweidrittelmehrheit verabschieden. Eine solche Mehrheit in beiden Kammern, insbesondere dem Repräsentantenhaus, zu erreichen, schmälern die Chancen einer Verabschiedung des Gesetzes jedoch dramatisch.Nach einer Woche turbulenter Entwicklungen an den Börsen reagierte Präsident Trump zunächst auf die Sorgen zahlreicher Senatoren – darunter der Mehrheitsführer des Senats, John Thune, sowie Trump-Unterstützer wie Lindsey Graham und Ted Cruz – mit einem 90-tägigen Zollmoratorium. Mit Ausnahme der Zölle gegen China wird somit vorerst nur ein Zollsatz von zehn Prozent erhoben.Trotz der vorläufigen Pause sind die verhängten Zölle nicht nur Ausdruck einer fehlgeleiteten Handelspolitik, sondern reihen sich in die autoritären Tendenzen der Trump-Administration ein. Befeuert wird die autokratische Vorgehensweise Präsident Trumps durch die bisherige Unwilligkeit der republikanischen Führung im Kongress, nicht nur in der Handelspolitik, sondern auch in anderen Politikbereichen ihrer Verantwortung als Teil des Checks and Balances gerecht zu werden. Eine Rückführung und Einschränkung der an den Präsidenten delegierten Befugnisse in der Handelspolitik wäre ein wichtiges Signal, dass der Kongress weiterhin überparteilich als Gegengewicht zum Präsidenten auftritt.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal