Pflichtteil: Diese Möglichkeiten haben übergangene Erben
Nahezu jeder fünfte Erbschaftsfall in Deutschland endet in Reibereien und Auseinandersetzungen, resümiert eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD Allensbach). Doch welchen Anspruch haben Hinterbliebene, die nicht im Testament bedacht werden?
Der Pflichtteil als eine Art Entschädigung
Grundsätzlich besitzt jeder das Recht sein Vermögen so zu vererben, wie er es möchte - allerdings nicht vollumfänglich. Im Paragraph 2303 des Bürgerlichen Gesetzbuches begründet sich der sogenannte Pflichtteil, dieser beträgt die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbes. In Deutschland belaufen sich Erbschaften durchschnittlich auf circa 85.000 Euro pro Person.
Pflichtteilberechtigt sind neben den Ehepartnern auch (nicht-)eheliche sowie adoptierte Kinder. Unter bestimmten Umständen, wenn also keine Kinder des Erblassers mehr leben oder die Ansprüche aberkannt wurden, sind auch Enkel pflichtteilberechtigt. Selbst Elternteile können pflichtteilberechtigt sein, wenn der Erblasser keinen Ehepartner oder Kinder hat. Der Pflichtteil dient den übergangenen Erben also als eine Art Entschädigung.
BGH-Urteil: Einsichtnahme in das Testament
Vor dem Oberlandesgericht Köln forderte der Sohn eines Verstorbenen eine Entbindung der notarischen Schweigepflicht, um Einsicht in das Testament zu erhalten. Er erfuhr erst bei der Testamentseröffnung von seiner Enterbung und glaubte es seien Seiten im Testament ausgetauscht worden, weshalb er die beglaubigte Abschrift einforderte. Der Notar wies ihn ab, die Behauptungen des Klägers seien unbegründet. Obwohl das OLG Köln dem Beklagten, sprich dem Notar zustimmte, entschied das oberste Gericht der Bundesrepublik - der Bundesgerichtshof (BGH) - anders. Im Urteil vom 20.07.2020 (Az.: NotZ(Brfg) 1/19) entschied der BGH, dass die Gründe für die Einsichtnahme in das Testament unerheblich sind und die Anfrage deshalb zu bewilligen ist.
Der gesetzliche Erbe hat also das Recht auf Einsichtnahme - auch, wenn er anderen Erben gegenüber benachteiligt oder enterbt wurde.
Sachverständigengutachten
Um die Höhe des Pflichtteils zu bestimmen, ist oftmals die Bewertung der Nachlassgegenstände erforderlich, dies geschieht im Rahmen eines Sachverständigengutachtens. Ein solches Gutachten kann durch den Pflichtteilberechtigten beantragt werden, empfindet er seinen Anteil als zu gering. In manchen Fällen kann der Pflichtberechtigte sogar verlangen, dass der Erbe die Kosten des Gutachtens übernimmt. Jedoch betonte das Landgericht Arnsberg in seinem Urteil vom 17.09.2021 (Az.: 1 O 261/19), dass der Erbe dies nur dann tun muss, wenn er vehement an einem zu niedrigen Wert festhält - obwohl gegenteilige Anhaltspunkte vorliegen.
Testamentsänderungen
Prinzipiell können Testamentsänderungen auch auf Kopien eines eigenständig geschriebenen Testaments vorgenommen werden, allerdings ist eine Unterschrift des Erblassers zu den jeweiligen Änderungen zwingend. Diese Erfahrung musste der Beklagte Sohn einer Verstorbenen machen, der gegenüber seinem Bruder das alleinige Erbrecht aussprach. Innerhalb des Verfahrens am Oberlandesgericht Köln stellte sich heraus, dass die Erblasserin nur eine der zwei Änderungen auf der Kopie des Testaments unterschrieben hatte, weshalb diese mit dem Urteil vom 22.07.2021 (Az.: I-2 Wx 131/20) für unwirksam erklärt wurden. Der Kläger wurde somit nach wie vor im Erbe berücksichtigt.
Entziehung des Pflichtteils
Damit Pflichtteilberechtigte ihren Pflichtteil entzogen bekommen, muss ein schweres Vergehen gegenüber den Erblassern vorliegen. Erblasser müssen die Beweggründe für die Entziehung des Pflichtteils ausdrücklich im Testament beziehungsweise Erbvertrag darlegen.
So klagte der Sohn einer Verstorbenen seinen Pflichtteil ein, obwohl es zwischen den beiden einige Jahre zuvor eine körperliche Auseinandersetzung gab. Dabei habe der Kläger seine Mutter tätlich angegriffen. Da der Tathergang jedoch streitig war und auch vor Gericht nicht geklärt werden konnte, urteile das Landgericht Frankenthal am 11.03.2021 (Az.: 8 O 308/20) im Sinne des Klägers. Es liegt kein schweres vorsätzliches Vergehen vor.
Anders jedoch im Falle des Enkels, der im Jahr 1992 seiner Oma 6.100 DM stahl. Da dieses Vergehen mit 100 Tagessätzen bestraft wurde, zu einem Eintrag ins allgemeine Führungszeugnis führte und die Großmutter ausdrücklich die Entziehung des Pflichtteils im Erbvertrag festhielt, verwehrte das Oberlandesgericht Stuttgart mit dem Urteil vom 24.01.2019 (Az.: 19 U 80/18) dem Enkel die Pflichtteilberechtigung. Der Diebstahl ist als schweres vorsätzliches Vergehen zu sehen.
Erb- und Pflichtteilsverzicht
Vereinbarungen zum Verzicht des Erb- und Pflichtanteils, die an Bedingungen geknüpft sind, können dann unwirksam sein, wenn sie als sittenwidrig gewertet werden. So traf ein Kläger mit seinem Vater die Vereinbarung, dass er auf sein Erbe sowie seinen Pflichtteil verzichte - im Gegenzug erhalte er von seinem Vater den lang ersehnten Sportwagen im Wert von 100.000 Euro. Die Bedingungen des Vaters lauteten jedoch, dass der Sohn bis zu seinem 26. Lebensjahr seine Gesellen- sowie Meisterprüfung zum Zahntechniker mit der Note eins absolvieren sollte. Als der Sohn diese Vereinbarung wenig später bereute, versuchte er die Vereinbarung für nichtig zu erklären. Schlussendlich klagte er vor dem Oberlandesgericht Hamm, welches die Vereinbarung mit dem Urteil vom 08.11.2016 (Az.: I-10 U 36/15) für unwirksam erklärte. Die Vereinbarung wird als sittenwidrig eingestuft, da sie den beruflichen Werdegang des Sohnes in missbilligender Weise beschränkt.
Jennifer Vogel / Redaktion finanzen.net
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