Top-Fonds in der Krise: Warum der Fidelity European Growth lahmt
Der Fidelity European Growth ist der größte Fonds für europäische Aktien. Doch seit einigen Jahren ist das Acht-Milliarden-Vehikel nur noch besseres Mittelmaß. Die Gründe.
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von Christoph Platt, Euro am Sonntag
Als der Fidelity European Growth auf den Markt kam, war er nur einer unter vielen: Insgesamt 20 Fonds hatte die US-Investmentgesellschaft Fidelity am 30. September 1990 aufgelegt. Damals ahnte noch niemand, dass aus dem Fonds einmal das größte Vehikel für europäische Aktien werden würde. Knapp acht Milliarden Euro schwer ist es momentan, und selbst unter den global agierenden Aktienfonds gibt es nur wenige, die größer sind.
Mit seinen 20 Jahren hat das Produkt ein für Fonds bemerkenswertes Alter erreicht. Nur unwesentlich kürzer ist der Lenker des Vehikels, Alexander Scurlock, für Fidelity tätig. 1994 kam er zu der Gesellschaft und arbeitete dort erst als Aktienanalyst, von 1998 an als Fondsmanager. 2007 übertrug man ihm die Leitung des Flaggschiffs.
Scurlock investiert mit seinem Fonds in große und mittelgroße Unternehmen aus ganz Europa. Besonders stark vertreten sind Werte aus Großbritannien. Knapp 30 Prozent des Fondsvermögens hat er dort angelegt. Das zweite Schwergewicht im Portfolio ist Deutschland, wo 22 Prozent investiert sind. Drittes bedeutendes Land ist die Schweiz mit einem Anteil von zwölf Prozent.
Die Ländergewichtung folgt keinem vorgegebenen Muster, sondern ist das Ergebnis der Aktienselektion. Der Blick auf das einzelne Unternehmen und die Beurteilung seiner Zahlen (Bottom-up-Analyse) stehen im Mittelpunkt des Auswahlprozesses. „Um hinter die Kulissen eines Unternehmens zu blicken, nutze ich einen puzzleartigen Investmentprozess“, sagt Scurlock. Der Manager will damit deutlich machen, dass er einen Konzern nie losgelöst von seinem Umfeld betrachtet. „Für ein genaues Bild des Unternehmens spreche ich mit Wettbewerbern, Zulieferern und Vertriebspartnern“, erklärt er. Dabei wird insbesondere die internationale Wettbewerbsfähigkeit analysiert.
Informationen über die Konzerne erhält er von den hauseigenen Analysten, die in Branchenteams eingeteilt oder branchenübergreifend auf bestimmte Unternehmensgrößen spezialisiert sind. Diese helfen dabei, Markttrends zu ermitteln. „Ich bin allerdings nicht dazu verpflichtet, den Analystenempfehlungen zu folgen“, betont Scurlock. Seine Entscheidungen trifft der Fondslenker auf der Grundlage interner und externer Analyseergebnisse oder nach direkten Gesprächen mit der Unternehmensleitung.
Aktien, für die Scurlock sich entscheidet, weisen eines oder mehrere von sechs Merkmalen auf: Bewertungsanomalien zwischen den Branchen, vom Markt nicht erkanntes Wachstum, Ertragserholungen oder Turnaround-Situationen, struktureller Wandel innerhalb einer Branche, Expansionspotenziale oder Fälle, in denen die Marktbewertung niedriger ist als der tatsächliche Wert des Unternehmens.
Makroökonomische Faktoren beeinflussen seine Entscheidungen nur indirekt. Die volkswirtschaftliche Analyse dient lediglich der Kontrolle der Titelselektion. „Ich überwache die aus dem Bottom-up-Ansatz resultierende Zusammensetzung des Fonds, indem ich prüfe, in welchem Verhältnis das Portfolio zu makroökonomischen Trends steht“, sagt er. „Die Stichhaltigkeit der Aktienauswahl wird somit zusätzlich kontrolliert, weshalb ich mit der Bottom-up-Analyse noch sicherer sein kann.“
Obwohl der Fonds das Wort Growth im Namen trägt, investiert Scurlock nicht nur in Wachstumstitel. Für ihn stellen die beiden Strategien Growth und Value vielmehr zwei Seiten derselben Münze dar. Im Auswahlprozess werden daher Bewertungstechniken aus beiden Stilrichtungen eingesetzt.
Wie viele Fondsschwergewichte glänzt der Fidelity European Growth mit einer ausgezeichneten Wertentwicklung auf lange Sicht. So belegt er über einen Zeitraum von zehn Jahren Platz 6 von 134 Europa-Aktienfonds. Sobald der Fonds dann Ende September eine in der Branche seltene 20-Jahres-Historie aufweisen kann, wird er die Statistik über diesen Zeitraum dank eines Zuwachses von fast 600 Prozent mit großem Vorsprung anführen.
Über mittlere und kurze Sicht schneidet das Fidelity-Flaggschiff aber nur noch leicht überdurchschnittlich ab. Es zählt auf Sicht von einem, drei und fünf Jahren zu den besten 30 bis 40 Prozent der Europa-Aktienfonds. Seinen Vergleichsindex, den FTSE World Europe, der die Entwicklung europäischer Aktien abbildet, übertraf der Fonds über drei und fünf Jahre nicht.
Schuld daran war vor allem, dass sich der Fonds während der Baisse von Januar 2008 bis März 2009 nicht vom breiten Markt abheben konnte. Seine Entwicklung verlief nahezu parallel zu seinem Vergleichsindex. In der Markterholung von April 2009 bis Januar 2010 konnte er hingegen nicht mithalten und blieb hinter seinem Indikator zurück.
Diesen Minderertrag erklärt Scurlock mit seiner eher vorsichtigen Ausrichtung in diesem Zeitraum. Der Manager war zwar stark in den Finanzsektor investiert, hatte sich dort aber auf relativ solide Institute konzentriert. „Jedoch schnitten die am stärksten fremdfinanzierten Banken, also risikoreiche, am besten ab“, sagt er. Darüber hinaus hätten defensive Bereiche wie Telekommunikation und Gesundheitswesen, die im Fonds übergewichtet waren, nicht in dem erwarteten Maß von dem Aufschwung profitiert.
In diesem Jahr lief es zunächst bis Mitte April erfreulich. Doch dann gab der Fonds die herausgespielte Führung wieder ab. 2010 liegt der Fonds inzwischen mit seinem Index gleichauf. Auch für die Schwäche während der Sommermonate macht Scurlock seine „vorsichtige Grundhaltung gegenüber Risikobanken“ verantwortlich. Diese hätten sich trotz schwächerer Fundamentaldaten gut entwickelt. Insofern habe eine Untergewichtung dieser Titel die relative Rendite gebremst.
In die Zukunft blickt Scurlock relativ optimistisch. „Es gibt erste Anzeichen dafür, dass die Angst vor Risiko abnimmt“, sagt er. Zum einen sorgten sich die Anleger weniger um die staatlichen Refinanzierungsmaßnahmen. Zum anderen beruhige die erhöhte Transparenz nach dem Bankenstresstest und der Klarheit über künftige Regulierungen. Zudem hätten viele Konzerne unerwartet gute Ergebnisse präsentiert. Dennoch bleibe das Vertrauen der Anleger zerbrechlich. Schuld daran sei die Angst vor einer neuen Rezession und den Auswirkungen der Sparmaßnahmen.
Der Manager bemängelt: „Ich glaube, dass der Markt zu wenig zwischen der europäischen Wirtschaftslage und den europäischen Unternehmen differenziert.“ Aufgrund der Zurückhaltung der Anleger seien Aktien derzeit günstig bewertet, besonders gegenüber anderen Anlageklassen, hebt er hervor. „Meiner Meinung nach erleben wir gerade eine typische Wall-of-worry-Bullenmarktrally“, sagt er. Scurlock sieht die Märkte also vor einer Hausse, deren Beginn aber noch von den Ängsten der Anleger aufgehalten wird.
Um an diesem Aufschwung teilzuhaben, hat er sich unter anderem in Werten engagiert, die von einer zyklischen Erholung profitieren, wie Export-, Zeitarbeits- und Logistikunternehmen. Zudem setzt er auf die Schwellenländer: „Mir gefällt die dortige Konsumentwicklung mit ihrem Schwerpunkt auf Luxusgüter, Haushaltswaren und Brauereien.“
Sei es wegen des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds, sei es, weil sich Fidelity lieber auf die Arbeit konzentriert als aufs Feiern: Ein Fest anlässlich des 20. Geburtstags des Fonds ist nicht geplant. Vielleicht wartet man aber auch auf den von Scurlock beschworenen Aufschwung, ehe man die Korken knallen lässt.
Investor-Info
Fidelity European Growth
Nicht mehr so gut wie früher
Von seinem Vergleichsindex, dem FTSE World Europe, konnte sich der Fidelity European Growth in den vergangenen fünf Jahren nicht absetzen. Er zählt über diesen Zeitraum zwar noch zu den besten 40 Prozent seiner Vergleichsgruppe, doch der Überflieger vergangener Tage ist er nicht mehr: Auf Zehnjahressicht gehört er zu den besten fünf Prozent seiner Anlageklasse, über einen Zeitraum von (fast) 20 Jahren ist er Spitzenreiter.