Probleme en masse

Nigeria: Hoffnungsland im Chaos

28.03.15 07:00 Uhr

Nigeria: Hoffnungsland im Chaos | finanzen.net

Niedriger Ölpreis, schwache Währung und zunehmender ­Terror gefährden den Aufstieg vom Grenzmarkt zum Schwellenland. Auf den künftigen Präsidenten warten extreme Herausforderungen.

von Jörg Billina, Euro am Sonntag

Einen klaren Favoriten gibt es nicht. Wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen in Nigeria am 28. März liegen Amtsinhaber Goodluck Jonathan von der People’s Democratic Party und sein Herausforderer Muhammadu Buhari vom All Progressives Congress in Umfragen gleichauf.

Ein knapper Ausgang aber verspricht nichts Gutes. Die politischen, sozialen und religiösen Spannungen in dem mit 170 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten Staat Afrikas drohen sich gewaltsam zu entladen. Das trübt auch die von Investoren gehegte Hoffnung, der Frontier Market Nigeria werde sich zu einem zweiten Indien entwickeln. Der Vielvölkerstaat steht dagegen aktuell eher an der Schwelle zu schweren wirtschaftlichen und politischen Krisen.

Die unsichere Zukunft spiegelt sich in den Kursen wider. Seit Jahresanfang verlor die Börse in Lagos mehr als 20 Prozent. Tief gefallen ist auch Nigerias Währung. Seit Januar verlor der Naira gegenüber dem Dollar ebenfalls rund 20 Prozent. Nigerias Unternehmen müssen jedoch Maschinen und Ersatzteile importieren und dafür in Hartwährung bezahlen - das drückt die Gewinne.

Anleger, die gegen den Trend die aktuell günstigen Bewertungen zu einem Einstieg nutzen wollen, sollten über eine bei Investoren oft nur schwach ausgeprägte Eigenschaft verfügen: Geduld. Denn über dem Land braut sich derzeit ein perfekter Sturm zusammen.

Blutiger Terror

Im muslimisch geprägten Nord­osten verübt die Terrorgruppe Boko Haram immer wieder Anschläge, denen mittlerweile Tausende von Menschen zum Opfer gefallen sind. Zieht Ex-General und Ex-Präsident Buhari in den Präsidentenpalast in Nigerias Hauptstadt Abuja ein, will er den Kampf gegen Boko Haram mit "eiserner Faust" führen. Doch ob sich die Probleme rein militärisch lösen lassen, ist fraglich.

"Ein wesentlicher Grund für das Erstarken von Boko Haram ist der im Vergleich zum Süden Nigerias deutlich niedrigere Lebensstandard", sagt Carlos von Hardenberg, Fondsmanager bei Franklin Templeton. In den vergangenen vier Jahren hat sich der christliche Staatspräsident Jonathan aber nicht viel um eine Angleichung gekümmert.

Sollte nun der Muslim Buhari gewählt werden, droht sich zudem ein aktuell ruhender Konflikt wieder zu entzünden. Rebellen im überwiegend christlichen Niger-Delta kündigten bereits an, sie würden dann erneut zu den Waffen greifen und ­Ölförderanlagen zerstören. Bisher hielt sich die Bewegung für die Emanzipation des Niger-Deltas weitgehend an eine Vereinbarung mit der Regierung: Im Gegenzug für Gewaltverzicht lässt ihnen Jonathan Geld und Ausbildung zukommen.

Auf das Ölgeschäft kann Nigeria nicht verzichten. Mehr als 70 Prozent­ der Staatseinnahmen und 90 Prozent der Exporterlöse stammen aus der Erdöl- und Erdgasförderung. Zwischen 2004 und Juni 2014 profitierte Nigeria von den stark steigenden Notierungen. Doch seitdem ist der Preis für ein Barrel Rohöl um 60 Prozent gefallen. Für Nigeria könnte es noch schlimmer kommen. Einige Experten wollen sogar einen Rutsch auf 20 Dollar je Barrel nicht ausschließen. Dann würde sich das Defizit im Staatshaushalt noch mehr ausweiten. Ende 2014 überstiegen die Ausgaben die Einnahmen bereits um 20 Prozent. Und das sind nur die offiziellen Angaben - Experten schätzen, dass noch viel weniger Geld in der Staatskasse ist.

Leere Staatskassen

Der amtierende Präsident Jonathan soll massiv staatliche Mittel genutzt haben, um seine Wiederwahl zu finanzieren. Nach den Wahlen dürfte es deshalb schwierig werden, die Beamten und das Militär zu bezahlen. Auch die Transferleistungen der Zentralregierung an die einzelnen Bundesstaaten und Subventionen müssen wohl drastisch gekürzt werden. Streit ist programmiert.

"Präsident Jonathan hat es wie seine Vorgänger versäumt, die Wirtschaft zu diversifizieren. Von den angekündigten Reformen zu Beginn seiner Amtszeit wurde zu wenig umgesetzt", sagt von Hardenberg. Die schwache Bilanz weckt Zweifel, ob der von Jonathan angekündigte National Integrated Master Plan tatsächlich realisiert wird. In den kommenden 30 Jahren sollen rund drei Billionen Dollar in den Ausbau der Infrastruktur investiert werden. Die Mittel wären dringend nötig: "Straßen, Häfen, Eisenbahnen, Wasser- und Energieversorgung weisen weiterhin erhebliche Mängel auf, obwohl das Land bereits seit den 60er-Jahren Öleinnahmen generiert", sagt von Hardenberg.

So bringen es alle Kraftwerke Nigerias auf eine Produktionskapazität von 4.000 Megawatt - Südafrika, das eine Bevölkerung von nur 53 Millionen versorgen muss, schafft 44.000 Megawatt. Sollte Nigeria das Energieproblem in den Griff bekommen, würden die jährlichen Wachstumsraten um zwei Prozent höher ausfallen, heißt es in einer Studie der Afrikanischen Entwicklungsbank. Bisher brauchen die Unternehmen teure Generatoren, um Strom­unter­brechungen zu überbrücken.

Dringend der Modernisierung bedarf auch der Hafen Apapa in Nigerias größter Stadt Lagos. Ankommende Schiffe warten tagelang, bevor sie ihre Ladung löschen können. Bis die Ware schließlich beim Abnehmer ist, vergeht erneut viel Zeit. Lastwagen kommen auf den Straßen Nigerias nur langsam voran.

Trotz der vielen Schwächen im ­politischen und wirtschaftlichen System Nigerias: Fondsmanager von Hardenberg, der immer wieder Firmen vor Ort besucht, hat zuletzt ­zugekauft. "Als Frontier-Markets-­Investor kann man das enorme Potenzial des Landes vor allem im Konsum nicht ignorieren", sagt er. Nach einer Studie der Unternehmens­beratung McKinsey wird der private Konsum von heute 400 Milliarden Dollar bis 2030 auf 1,4 Billionen Dollar zulegen. Zu den Profiteuren einer steigenden Binnennachfrage zählen Firmen wie Nestlé Nigeria oder Nigeria Breweries. "Wir investieren mit einem Anlagehorizont von drei bis fünf Jahren. Bis dahin sollten sich sowohl Ölpreis als auch Naira wieder stabilisieren", sagt von Hardenberg.

Dagegen hat Malek Bou-Diab den Nigeria-Anteil im BB African Opportunities drastisch reduziert - und jede kurzzeitige Erholung zum Verkauf genutzt. "Das Land steht vor schwierigen Anpassungen", sagt er.

Ein erneutes Engagement will Bou-Diab von den politischen Schwerpunkten der künftigen Administration abhängig machen. "Der Druck zu einem grundlegenden Wandel in der Politik und in der Wirtschaft wächst mit dem sinkenden Ölpreis", stellt der Fondsmanager fest. Für Nigeria sei das auch eine Chance. Ob die Eliten sie nutzen, ist allerdings fraglich. Attraktive Alternativen zu Nigeria gibt es für Anleger aber auch in Afrika: Für Bou-Diab sind es ölimportierende Länder wie Ägypten und Kenia.

Investor-Info

BB African Opportunities
Gesuchte Ölimporteure

Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 510 Milliarden Euro ist Nigeria Afrikas stärkste Volkswirtschaft. In Afrika-Indizes ist das Land daher hoch gewichtet. Manager Malek Bou-Diab hat den Anteil nigerianischer Unternehmen im Portfolio jedoch deutlich reduziert. Er fürchtet eine Verschärfung der aktuellen Krise. Dagegen hat er Positionen in ölimportierenden Staaten wie Ägypten und Kenia erhöht.

Templeton Africa Fund
Mutiger Einstieg

Fondsmanager Carlos von Hardenberg steigt derzeit bei nigerianischen Aktien ein, insbesondere bei ­Konsumwerten sieht er Chancen. Sein Argument: Wenn die Kurse wieder nach oben gehen, sei es ­wegen der noch geringen Liquidität der Börse in ­Lagos schwer, an attraktive Titel zu kommen. Der Manager schließt aber in den kommenden Wochen ­weitere deutliche Schwankungen nicht aus.

Schroder Frontier Markets
Breites Spektrum

Das Anlageuniversum des Fonds umfasst Länder wie Pakistan, Saudi-Arabien und Sri Lanka. Die drei Börsen zählen im laufenden Jahr weltweit zu den stärksten. Im Vergleich zum Frontier-Markets-Index ist der Fonds in Nigeria deutlich untergewichtet. Auch in Kenia und Ägypten ist Manager Allan ­Conway geringer investiert. Auf Sicht von drei ­Jahren erzielte er über 94 Prozent. Der Fonds eignet sich für langfristig orientierte Investoren.

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