Interview Exklusiv

Top-Ökonom Tom Mayer: „Die Lage Frankreichs ist schockierend“

17.04.13 08:00 Uhr

Der Ex-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Tom Mayer, hat ein kluges Buch geschrieben, in dem er skizziert, unter welchen Voraussetzungen der Euro überleben kann. Im Interview kritisiert er einen „Euro-Schattenstaat“ und favorisiert derzeit Sachwerte als Investments.

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von Benjamin Summa

Herr Dr. Mayer, am vergangenen Mittwoch ist Ihr Buch "Europas unvollendete Währung: Wie geht es weiter mit dem Euro?" erschienen. Welche Antworten auf diese Frage haben Sie bei Ihren Recherchen gefunden?
Tom Mayer: Ich glaube, dass der Euro langfristig nur bestehen kann, wenn sich die EZB auf ihre eigentliche Aufgabe konzentriert und ausschließlich die Preisstabilität verfolgt und nichts anderes. Außerdem muss auf nationaler Ebene die Souveränität und Haftung für die Fiskalpolitik wieder angesiedelt werden, es muss also eine Rückkehr zu Maastricht I erfolgen. Ich plädiere für eine Rückkehr zu einem Euro ähnlich einem Goldstandard. Die Maastricht-Verträge waren in gewisser Weise nach dem Prinzip des Goldstandards konstruiert: Die Zentralbanken sollten politisch unabhängig sein und überhaupt kein Geld an Regierungen verleihen.
Was momentan versucht wird, verstehe ich als Errichtung eines Euro-Schattenstaats hinter dem Rücken der Bürger, wobei die Verfassung dieses Schattenstaats in Zwischenregierungsverträgen verankert ist. Dies ist praktisch die neue Verfassung des Schattenstaats. Die Regierung dieses Schattenstaats ist der Europäische Rat mit einer Exekutive in Form der Eurogruppe und einer mobilen Einsatztruppe in Form der Taskforce. Es ist eine quasi-staatliche Organisation, die mit einer staatlichen Zentralbank gekoppelt wird. Die Zentralbank soll eingreifen, wenn die Staaten Finanzierungsschwierigkeiten haben, in Kooperation mit dem Euro-Schattenstaat, wenn die Eurogruppe ihre Zustimmung gibt. Die Bürger lehnen diese Lösung allerdings ab – der Wahlausgang in Italien war eine Abwahl des Repräsentanten des Euro-Schattenstaats. Auch der Protest in Portugal ist ein Zeichen des Widerstands gegen die Anordnungen des Schattenstaats. Kleine Länder sind noch zu bändigen, aber Länder mit einem politischen Gewicht wie in Italien kann man nicht unter eine Ordnung zwingen.

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Sie haben eine Rangfolge der Staaten aufgestellt, die es nach dem Zypern-Drama als Nächstes erwischen könnte. Besonders Frankreich hat bei den Krisenfaktoren „schockierend“ abgeschnitten, wie Sie schreiben. Wie schwarz sehen Sie vor diesem Hintergrund für den Euroraum?

Ich wollte darstellen, welche Länder künftig in den Krisenstrudel gerissen werden könnten. Dafür habe ich ein einfaches System entworfen, Indikatoren wie die Leistungsbilanz oder die öffentliche Verschuldung ermittelt sowie Rangzahlen vergeben. Wenn man diese Rangzahlen aufaddiert, sagt dies nichts aus über den absoluten Zustand der Länder in der Eurozone, sondern es setzt die einzelnen Staaten, wie das bestplatzierte Estland und das Schlusslicht Zypern, in einen Vergleich zueinander. So kann man relative Aussagen treffen – und diese Aussagen sind besorgniserregend. Denn die Eurozone ist zweigeteilt: Eine Hälfte sieht ganz ordentlich aus, aber viele Länder stehen schlecht da. Unter diesen Ländern gibt es viele Überraschungen, beispielsweise ist das Ergebnis für Frankreich schockierend. Frankreich steht zwischen Spanien und Portugal. Die Leistungsbilanz von Frankreich liegt bei minus 1,9 Prozent, das macht Rang 10 – Italien liegt auf Rang 9 und damit noch vor Frankreich. Bei der Staatsverschuldung liegt Frankreich bei 90 Prozent und damit auf Rang 12. Auch der Finanzsektor ist deutlich aufgeblähter als in den meisten anderen Euroländern. Frankreich wird politisch wie ein Zwillingsbruder von Deutschland gesehen. Und dies nimmt den Druck für Reformen, was sich sehr deutlich zeigt. Wenn kein politischer Atem für Reformen vorhanden ist, dann bleibt nur die Bilanz der EZB als Manövriermasse, um den Euro aufrechtzuerhalten.

Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem ist für seine Einschätzung gescholten worden, auch bei künftigen Krisenfällen könnten Bankkunden und Bankaktionäre wie in Zypern an der Rettung beteiligt werden. Wie hoch schätzen Sie das Risiko für Sparer in Deutschland und anderen EU-Ländern ein?
Das tatsächliche Risiko ist nicht sehr groß – man konnte sich eine solche Aktion im kleinen Zypern leisten. In Deutschland wäre eine solche Beteiligung unmöglich – es gäbe reihenweise Zusammenbrüche in der Industrie mit nicht abzuschätzenden Auswirkungen auf das Weltfinanzsystem. Zypern war in gewisser Hinsicht ein kleines Laborexperiment.

Vor einigen Tagen wurde in Deutschland eine Forsa-Umfrage veröffentlicht, wonach weniger als ein Drittel der Bundesbürger das Sparbuch noch für eine verlässliche Geldanlage halten. Können Sie die Ängste der Sparer nachvollziehen?
Diese Angst ist durchaus nachvollziehbar. Die Sparer wurden daran erinnert, dass eine vermeintlich sichere Bankeinlage nicht sicher ist, sondern lediglich einen Kredit an die Bank darstellt. Die Teilenteignung auf Zypern war quasi ein Weckruf, der dafür gesorgt hat, dass die Leute mehr darüber nachdenken, ob Geldwerte tatsächlich sicher sind. Es handelt sich eben nicht um Zentralbankgeld, sondern um privat produziertes Geld: Eine Bank gibt Kredit, sie schreibt das Geld einem Konto gut, dafür ist aber im Grunde nur ein Kreditvertrag nötig. So wurde Geld geschaffen, es ist aber kein Zentralbankgeld und damit nur so gut wie der Kredit.

In Sachen Vertrauen standen Banken bei der Bevölkerung noch nie sonderlich hoch im Kurs. Aber so schlecht wie derzeit schnitten die Kreditinstitute nie ab. Inzwischen vertraut nicht einmal jeder dritte Bundesbürger noch Banken und Versicherungen. Das geht aus dem "Global Trust Report" hervor, einer Studie des GfK Vereins. Was können die Bankhäuser Ihrer Meinung nach tun, um verloren gegangenes Vertrauen in den kommenden Jahren wieder aufzubauen?
In allererster Linie ist es notwendig, mit den Kunden offen zu kommunizieren und zu erklären, was hier vorgeht – und dies in größtmöglicher Klarheit. Die Leute müssen wissen, was sie tun. Sie müssen wissen, was das Bankgeschäft ausmacht, wie sicher es ist, und sie müssen ganz konkret die Produkte kennen, die sie kaufen. Wenn diese zu kompliziert sind, haben sie keinen Wert für den Kunden, daher ist absolute Transparenz notwendig. Daneben müssen die Banken auch langfristiger denken und die im Aktienmarkt herrschende Kurzfristmentalität durchbrechen.

Bleiben wir bei den Unsicherheiten der Investoren: Mit der Politik des billigen Geldes bekämpfen Notenbanken und Politiker seit Jahren die Finanzkrise. Staaten und Banken hat das etwas auf die Beine geholfen, die Anleger sitzen jedoch in der Zinsfalle. Wohin also mit dem Geld in Zeiten niedriger Zinsen?

Ich habe da keine Patentlösung. Manche empfehlen Immobilien, andere haben andere Geheimtipps. Meine einfache Antwort auf diese komplizierte Frage: Man braucht ein internationales Aktiendepot, es muss breit gestreut sein, erstklassige Werte haben und global aufgestellt sein. Dies ist die beste Versicherung für den langfristigen Vermögenserhalt. Immobilien sind ortsgebunden, das darf man nie vergessen. Man kann Immobilien im allerschönsten Bereich kaufen, aber es können viele Risiken auftreten. Auch Edelmetallen stehe ich aufgeschlossen gegenüber: Gold wird wieder Währungscharakter bekommen, ich sehe die Papierwährungen unter dem starken Druck der Entwertung durch die Geldschöpfung der Zentralbanken. Gold sehe ich quasi als Ersatzwährung, sozusagen „Ersatz-cash“, denn Liquidität in Geldwerten ist durch die negativen Realzinsen kostspielig geworden. Es gibt weiterhin das Problem der risikoarmen Bonds, beispielsweise bekommen sie für Staatsbonds kaum noch Zinsen. Nun gehen sie auf höherverzinsliche Bonds, dort ist aber das Risiko extrem schwer kalkulierbar. Da setze ich lieber auf ein gut diversifiziertes Portfolio internationaler Aktien, so habe ich Rendite und ein überschaubares Risiko.

Die schwache Konjunktur in vielen Euroländern hat zuletzt die offizielle Inflationsrate gedämpft. Die jährliche Teuerungsrate ist im März auf 1,7 Prozent gesunken. Sie warnen dennoch vor einer deutlichen Schwächung der Kaufkraft. Können Sie das bitte begründen?
Die aktuellen Inflationsraten sind relativ zur Entwicklung der Wirtschaft sehr hoch. Wenn die globale Wirtschaftsaktivität sich bald beleben sollte, wird auch die Inflationsrate stark anziehen. Genau aus diesem Grund setze ich auf einen echten Inflationsschutz, also Sachwerte, vor allem Aktien, und als Beimischung Edelmetalle.

Kurzvita

Tom Mayer war zwischen Januar 2010 und Mai 2012 Chefvolkswirt der Deutschen Bank und in dieser Eigenschaft Nachfolger von Norbert Walter.
Mayer ist Autor des Buches: "Europas unvollendete Währung: Wie geht es weiter mit dem Euro?".

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