Top-Ökonom Tom Mayer: „Die Lage Frankreichs ist schockierend“
Der Ex-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Tom Mayer, hat ein kluges Buch geschrieben, in dem er skizziert, unter welchen Voraussetzungen der Euro überleben kann. Im Interview kritisiert er einen „Euro-Schattenstaat“ und favorisiert derzeit Sachwerte als Investments.
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von Benjamin Summa
Herr Dr. Mayer, am vergangenen Mittwoch ist Ihr Buch "Europas unvollendete Währung: Wie geht es weiter mit dem Euro?" erschienen. Welche Antworten auf diese Frage haben Sie bei Ihren Recherchen gefunden?
Tom Mayer: Ich glaube, dass der Euro langfristig nur bestehen kann, wenn sich die EZB auf ihre eigentliche Aufgabe konzentriert und ausschließlich die Preisstabilität verfolgt und nichts anderes. Außerdem muss auf nationaler Ebene die Souveränität und Haftung für die Fiskalpolitik wieder angesiedelt werden, es muss also eine Rückkehr zu Maastricht I erfolgen. Ich plädiere für eine Rückkehr zu einem Euro ähnlich einem Goldstandard. Die Maastricht-Verträge waren in gewisser Weise nach dem Prinzip des Goldstandards konstruiert: Die Zentralbanken sollten politisch unabhängig sein und überhaupt kein Geld an Regierungen verleihen.
Was momentan versucht wird, verstehe ich als Errichtung eines Euro-Schattenstaats hinter dem Rücken der Bürger, wobei die Verfassung dieses Schattenstaats in Zwischenregierungsverträgen verankert ist. Dies ist praktisch die neue Verfassung des Schattenstaats. Die Regierung dieses Schattenstaats ist der Europäische Rat mit einer Exekutive in Form der Eurogruppe und einer mobilen Einsatztruppe in Form der Taskforce. Es ist eine quasi-staatliche Organisation, die mit einer staatlichen Zentralbank gekoppelt wird. Die Zentralbank soll eingreifen, wenn die Staaten Finanzierungsschwierigkeiten haben, in Kooperation mit dem Euro-Schattenstaat, wenn die Eurogruppe ihre Zustimmung gibt. Die Bürger lehnen diese Lösung allerdings ab – der Wahlausgang in Italien war eine Abwahl des Repräsentanten des Euro-Schattenstaats. Auch der Protest in Portugal ist ein Zeichen des Widerstands gegen die Anordnungen des Schattenstaats. Kleine Länder sind noch zu bändigen, aber Länder mit einem politischen Gewicht wie in Italien kann man nicht unter eine Ordnung zwingen.
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Sie haben eine Rangfolge der Staaten aufgestellt, die es nach dem Zypern-Drama als Nächstes erwischen könnte. Besonders Frankreich hat bei den Krisenfaktoren „schockierend“ abgeschnitten, wie Sie schreiben. Wie schwarz sehen Sie vor diesem Hintergrund für den Euroraum?
Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem ist für seine Einschätzung gescholten worden, auch bei künftigen Krisenfällen könnten Bankkunden und Bankaktionäre wie in Zypern an der Rettung beteiligt werden. Wie hoch schätzen Sie das Risiko für Sparer in Deutschland und anderen EU-Ländern ein?
Das tatsächliche Risiko ist nicht sehr groß – man konnte sich eine solche Aktion im kleinen Zypern leisten. In Deutschland wäre eine solche Beteiligung unmöglich – es gäbe reihenweise Zusammenbrüche in der Industrie mit nicht abzuschätzenden Auswirkungen auf das Weltfinanzsystem. Zypern war in gewisser Hinsicht ein kleines Laborexperiment.
Vor einigen Tagen wurde in Deutschland eine Forsa-Umfrage veröffentlicht, wonach weniger als ein Drittel der Bundesbürger das Sparbuch noch für eine verlässliche Geldanlage halten. Können Sie die Ängste der Sparer nachvollziehen?
Diese Angst ist durchaus nachvollziehbar. Die Sparer wurden daran erinnert, dass eine vermeintlich sichere Bankeinlage nicht sicher ist, sondern lediglich einen Kredit an die Bank darstellt. Die Teilenteignung auf Zypern war quasi ein Weckruf, der dafür gesorgt hat, dass die Leute mehr darüber nachdenken, ob Geldwerte tatsächlich sicher sind. Es handelt sich eben nicht um Zentralbankgeld, sondern um privat produziertes Geld: Eine Bank gibt Kredit, sie schreibt das Geld einem Konto gut, dafür ist aber im Grunde nur ein Kreditvertrag nötig. So wurde Geld geschaffen, es ist aber kein Zentralbankgeld und damit nur so gut wie der Kredit.
In Sachen Vertrauen standen Banken bei der Bevölkerung noch nie sonderlich hoch im Kurs. Aber so schlecht wie derzeit schnitten die Kreditinstitute nie ab. Inzwischen vertraut nicht einmal jeder dritte Bundesbürger noch Banken und Versicherungen. Das geht aus dem "Global Trust Report" hervor, einer Studie des GfK Vereins. Was können die Bankhäuser Ihrer Meinung nach tun, um verloren gegangenes Vertrauen in den kommenden Jahren wieder aufzubauen?
In allererster Linie ist es notwendig, mit den Kunden offen zu kommunizieren und zu erklären, was hier vorgeht – und dies in größtmöglicher Klarheit. Die Leute müssen wissen, was sie tun. Sie müssen wissen, was das Bankgeschäft ausmacht, wie sicher es ist, und sie müssen ganz konkret die Produkte kennen, die sie kaufen. Wenn diese zu kompliziert sind, haben sie keinen Wert für den Kunden, daher ist absolute Transparenz notwendig. Daneben müssen die Banken auch langfristiger denken und die im Aktienmarkt herrschende Kurzfristmentalität durchbrechen.
Bleiben wir bei den Unsicherheiten der Investoren: Mit der Politik des billigen Geldes bekämpfen Notenbanken und Politiker seit Jahren die Finanzkrise. Staaten und Banken hat das etwas auf die Beine geholfen, die Anleger sitzen jedoch in der Zinsfalle. Wohin also mit dem Geld in Zeiten niedriger Zinsen?
Die schwache Konjunktur in vielen Euroländern hat zuletzt die offizielle Inflationsrate gedämpft. Die jährliche Teuerungsrate ist im März auf 1,7 Prozent gesunken. Sie warnen dennoch vor einer deutlichen Schwächung der Kaufkraft. Können Sie das bitte begründen?
Die aktuellen Inflationsraten sind relativ zur Entwicklung der Wirtschaft sehr hoch. Wenn die globale Wirtschaftsaktivität sich bald beleben sollte, wird auch die Inflationsrate stark anziehen. Genau aus diesem Grund setze ich auf einen echten Inflationsschutz, also Sachwerte, vor allem Aktien, und als Beimischung Edelmetalle.
Kurzvita
Tom Mayer war zwischen Januar 2010 und Mai 2012 Chefvolkswirt der Deutschen Bank und in dieser Eigenschaft Nachfolger von Norbert Walter.
Mayer ist Autor des Buches: "Europas unvollendete Währung: Wie geht es weiter mit dem Euro?".
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