Optimismus für Schwellenländer
Allen Unsicherheiten zum Trotz - vor allem denen durch die Politik des neuen US-Präsidenten - haben sich die Bewertungen von Aktien und Renten aus Schwellenländern gut entwickelt. Wie es weitergeht.
von Dr. Frank Engels, Gastautor von Euro am Sonntag
Es ist mehr als nur ein Funke Hoffnung, der die Kurse von Schwellenländer-Assets in den vergangenen Wochen getrieben hat. Nach rund einer halben Dekade mit abnehmender Konjunkturdynamik deutet sich an, dass die aufstrebenden Volkswirtschaften 2017 wieder auf den Wachstumspfad eingeschwenkt sind.
An den Aktien- und Rentenmärkten der Schwellenländer ist der Stimmungsumschwung bereits angekommen: Der breite Aktienindex MSCI Emerging Markets legte im ersten Quartal um mehr als elf Prozent zu und entwickelte sich damit deutlich besser als das Aktienbarometer der Industriestaaten, das lediglich einen Zuwachs von knapp sechs Prozent aufweisen konnte.
Auch am Rentenmarkt kletterten die Kurse der in Euro und US-Dollar denominierten Staatsanleihen der Emerging Markets allein im Auftaktquartal um vier Prozent. Zudem haben viele Schwellenländerwährungen gegen Euro und US-Dollar an Wert gewonnen. Trotz dieser beachtlichen Performance verfügen die Papiere noch über weiteres Aufholpotenzial, das sich in den nächsten ein bis zwei Jahren materialisieren dürfte.
Die positive Entwicklung ist auf eine Vielzahl von externen und internen Faktoren zurückzuführen. So werden die Schwellenländer vom globalen Konjunkturmotor angetrieben, der zum ersten Mal seit dem Jahr 2011 wieder synchron läuft. Das verbesserte Umfeld spiegelt sich in den internationalen Handelsaktivitäten wider, die seit dem vierten Quartal 2016 eine so starke Belebung verzeichnen wie seit gut sieben Jahren nicht mehr. Zu den Profiteuren zählen in erster Linie die aufstrebenden Volkswirtschaften, die eine besonders hohe Sensitivität gegenüber der Entwicklung des Welthandels aufweisen.
US-Protektionismus trifft die
Schwellenländer (noch) nicht
Auch die Stabilisierung der Rohstoffpreise spielt den Schwellenländern in die Karten. Viele Volkswirtschaften aus Lateinamerika, Afrika, Osteuropa oder dem Nahen Osten sind stark vom Abbau, der Weiterverarbeitung und dem Export von Rohstoffen abhängig. Angesichts der Produktionskürzungen am Rohölmarkt und der Nachfrage infolge der globalen Wachstumsbeschleunigung dürften die Notierungen weiter unterstützt bleiben. Auch Gold ist im aktuellen Umfeld geopolitischer Spannungen als sicherer Hafen gesucht.
Die Attraktivität von Anleihen der Schwellenländer ist nicht zuletzt auch auf die jüngste Entwicklung in den USA zurückzuführen: Die nach Donald Trumps Wahlsieg im November 2016 befürchteten protektionistischen Maßnahmen und Beschränkungen des Welthandels, die vor allem Staaten wie Mexiko betreffen könnten, sind bislang ausgeblieben. Genauso wichtig ist aber auch, dass sich die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China augenscheinlich besser entwickeln als zunächst befürchtet.
Neben protektionistischen Maßnahmen sind Investoren auch wegen der Folgen eines festeren US-Dollars als Ergebnis stark steigender Zinsen besorgt. Dieses Risiko ist zuletzt aufgrund der zunehmend taubenhaften Haltung von Notenbankpräsidentin Janet Yellen in den Hintergrund gerückt. Es deutet tatsächlich wenig darauf hin, dass die US-Währungshüter von ihrem behutsamen Zinserhöhungspfad abweichen könnten, zumal expansive fiskalpolitische Impulse der Trump-Administration in der kurzen Frist nicht zu erwarten sind. So preist der Markt die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung Anfang Mai derzeit mit nur 13 Prozent ein, für Juni liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Zinsschritt bei gut 50 Prozent.
Neben weltwirtschaftlichen Faktoren sprechen auch strukturelle Verbesserungen in den einzelnen Ländern für die aufstrebenden Volkswirtschaften. Optimistisch stimmt beispielsweise die Entwicklung in Brasilien, das sich lange Zeit in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise befand. Präsident Michel Temer, der im Sommer 2016 das oberste Staatsamt von Dilma Rousseff nach deren Amtsenthebung übernahm, hat das Land auf Reformkurs gebracht und drängende wirtschaftspolitische Neuerungen angepackt.
Temers nächste Herkulesaufgabe ist die Reform des brasilianischen Rentensystems, das als Hemmschuh der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit gilt. Die im Mai erwartete Abstimmung könnte auch deshalb Erfolg haben, da Temer sich der Unterstützung des Kongresses sicher sein kann. Gelingt die Reform, wäre ein nächster Meilenstein geschafft, um das Land am Zuckerhut nach zwei Rezessionsjahren wieder auf den Wachstumspfad zu bringen.
Auch in Indien treibt der Reformeifer des nun schon seit drei Jahren amtierenden Premierministers Narendra Modi die Wirtschaftsdynamik. Der jüngsten chaotischen Bargeldreform zum Trotz scheint Modis Rückhalt in der Bevölkerung ungebrochen. Seine Partei BJP erzielte zuletzt erneut überzeugende Wahlerfolge, unter anderem bei der Parlamentswahl im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh, bei der sie 80 Prozent der Sitze erringen konnte. Die Bundesstaatswahlen gelten als wichtiges Stimmungsbarometer für die landesweiten Parlamentswahlen. Die Zeichen stehen deshalb gut, dass Modi im Jahr 2019 im Amt bestätigt wird. Genug Herausforderungen hält Indien für den Reformer ohnehin bereit - zum Beispiel den sanierungsbedürftigen Bankensektor, der unter einer zunehmenden Last fauler Kredite leidet.
Bewertungsabschlag beträgt
immer noch rund 25 Prozent
Mit der Rally im vergangenen Quartal haben die Kapitalmärkte bereits einen Teil des Stimmungsumschwungs zugunsten von Schwellenländer-Assets eingepreist. Das Interesse an der Anlageklasse ist hoch: Seit gut fünf Monaten verzeichnen in Schwellenländer investierende Aktien- und Rentenfonds kontinuierliche Kapitalzuflüsse. Die Dynamik hat sich im März sogar nochmals beschleunigt. Gegenüber den Industrieländermärkten weist der MSCI Emerging Markets Index aber einen nach wie vor erheblichen Bewertungsabschlag von rund 25 Prozent auf.
Auch auf der Rentenseite spricht das vergleichsweise günstige Bewertungsniveau für die Anlageregion: Anders als in vielen anderen Rentensegmenten, in denen die Zentralbanken durch Anleihekäufe zur Verzerrung der Preisbildung beitragen, werden die Risiken der Schwellenländeranleihen durch eine angemessene Prämie entlohnt. Sofern sich die Rohstoffpreise weiter stabilisieren, die geopolitischen Spannungen sich nicht verstärken und es zu keiner überraschenden Eintrübung des globalen Konjunkturbilds kommt, dürfte die Anlageklasse auch in den kommenden Monaten weiter gefragt bleiben.
Kurzvita
Dr. Frank Engels ist seit 2014 Mitglied der Geschäftsführung der Union Investment Privatfonds GmbH und leitet seit 2017 das Portfoliomanagement Multi Asset. Er ist eines von sieben stimmberechtigten Mitgliedern des "Union Investment Committee" (UIC). Das UIC formuliert auf monatlicher Basis die Kapitalmarktstrategie von Union Investment und setzt damit die Leitplanken für die taktische Steuerung der Fonds durch die einzelnen Portfoliomanager.
Zuvor leitete Engels fünf Jahre lang das Rentenfondsmanagement von Union Investment und war in dieser Funktion für gut 60 Mrd. Assets under Management verantwortlich. Als Head of Emerging Market Debt war Engels bereits von 2008 bis 2010 im Portfoliomanagement bei Union Investment tätig. Neben weiteren internationalen beruflichen Stationen arbeitete er auch bei der Europäischen Zentralbank sowie dem Internationalen Währungsfonds. Engels studierte Volkswirtschaftslehre an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz und war bis 1998 vier Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der WHU-Otto Beisheim School of Management in Vallendar tätig.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und managt rund rund 300 Milliarden Euro für private und institutionelle Anleger.
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