Der falsche Weg
Stellen Sie sich die Europäische Währungsunion als einen Airbus 380 vor, dessen vier Turbinen eine Wachstum fördernde Geldpolitik, ein intaktes Bankensystem, ein angebotsorientierter Ordnungsrahmen und vertrauensbildende Fiskalregeln sind.
Offensichtlich läuft die geldpolitische Turbine spätestens nach der Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), Staatsanleihen anzukaufen, auf vollen Touren. Die anderen Turbinen jedoch funktionieren bestenfalls mit halber Kraft oder stottern vor sich hin. Unter diesen Umständen kann die Währungsunion nicht abheben und ihr Wachstumspotenzial entfalten, sondern läuft eher Gefahr, dass der geldpolitische Motor überhitzt und die Eurozone dauerhaften Schaden nimmt.
EZB-Präsident Mario Draghi weiß um diese Defizite. In jeder Stellungnahme zum geldpolitischen Entscheid verweist er gebetsmühlenartig auf die Notwendigkeit, die Strukturreformen fortzuführen und fiskalisch solide zu wirtschaften. Den Bankensektor hat die EZB als neue Aufsichtsbehörde ohnehin im Blick. Dennoch meint die Notenbank in Frankfurt noch stärker auf das Gaspedal treten zu müssen. Warum?
Einer der Glaubenssätze von Notenbankern lautet: Man darf nie den Eindruck erwecken, dass man ohnmächtig sei. Ansonsten verliere die Zentralbank an Glaubwürdigkeit. Mit anderen Worten: Egal was passiert, die monetäre Autorität ist immer in der Lage, ihren Auftrag - also Preisstabilität bzw. eine Inflation von etwa 2 Prozent - zu erfüllen. Derzeit liegt die Teuerungsrate bei -0,2 Prozent, also muss gehandelt werden.
Natürlich ist eine Notenbank nie ohnmächtig im Sinne von Instrumenten, die ihr zur Verfügung stehen. Auch mit dem neuen Programm, das den Ankauf von öffentlichen und privaten Anleihen vorsieht, ist der Instrumentenkasten der EZB längst nicht leer. Das Volumen der bisherigen Käufe könnte erhöht, Aktien auf die Bilanz genommen oder privaten Haushalten Zentralbankgeld gutgeschrieben werden. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Der Haken: Die Maßnahmen haben bestenfalls einen marginalen Effekt auf Inflation und Wachstum, während sie gleichzeitig die Funktionsfähigkeit und Stabilität der Finanzmärkte in äußerste Gefahr bringen.
Fazit: Die ab März startenden Anleiheankäufe mögen einige Finanzmarktsegmente, insbesondere Aktien, noch etwas beflügeln. Auch könnte es zu kurzfristigen Währungseffekten kommen. Diese erkauft man sich jedoch mit höheren Finanzmarktrisiken, während die realwirtschaftlichen Wirkungen kaum messbarer Natur sein werden. Das ist der vollkommen falsche Weg.
Dr. Cyrus de la Rubia ist Chefvolkswirt der HSH Nordbank. In seiner Kolumne kommentiert er regelmäßig geldpolitische Themen und beleuchtet deren volkswirtschaftlichen Auswirkungen.
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