So interpretiert Wirecard den KPMG-Prüfbericht - Statement kann den Absturz der Wirecard-Aktie nicht verhindern
Monatelang warteten Wirecard-Anleger auf den Sonderprüfungsbericht der KPMG. Doch auch wenn die Untersuchung vermeintliche Bilanztricksereien entkräften konnte, bleiben viele Fragen offen - auch wenn Wirecard das anders sieht.
Werte in diesem Artikel
• Wirecard sieht sich selbst von allen Vorwürfen freigesprochen
• Zweifel der Prüfer lässt Wirecard unkommentiert
• Analysten ziehen die Reißleine
Eigentlich sollte der lang erwartete Prüfbericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG die Situation um den Zahlungsdienstleister Wirecard beruhigen. Doch seitdem die Sonderprüfung abgeschlossen und der offizielle Prüfbericht vorgelegt worden ist, hat die Wirecard-Aktie rund ein Drittel ihres Wertes verloren. Von Beruhigung unter den Anlegern keine Spur. Dabei hat sich das Unternehmen selbst bemüht, den Prüfbericht positiv zu interpretieren.
Wirecard sieht sich entlastet
Im "Transparenz"-Bereich auf der Wirecard-Homepage nimmt der Zahlungsdienstleister Stellung zu den Ergebnissen der Sonderprüfung und lässt keinen Zweifel daran, dass man sich von allen Vorwürfen freigesprochen sieht.
Das Unternehmen räumte ein, dass im Rahmen des KPMG-Berichts unter anderem interne Prozesse und Mängel in der Governance insbesondere in den Vorjahren kritisiert worden seien. "Wir nehmen diese Kritik sehr ernst und haben bereits im Jahr 2018/2019 in den Bereich Compliance investiert und unsere Organisation besser aufgestellt", hieß es in der Wirecard-Stellungnahme. Grundsätzlich sieht sich der Konzern durch den Bericht aber entlastet: "Nach der Untersuchung von KPMG ist neben den vorgenannten Compliance- und Organisationsmängeln, die zurecht festgestellt wurden, festzuhalten, dass sich keine der in der Öffentlichkeit seit dem 30. Januar 2019 kursierenden Beschuldigungen und Verdächtigungen bestätigt haben".
Dabei verweist Wirecard in seiner Stellungnahme auch auf die einzelnen Vorwürfe: Man habe sowohl die Existenz als auch die Höhe der Umsatzerlöse aus den TPA-Geschäftsbeziehungen für die Jahre 2016 bis 2018 korrekt angegeben, zudem sei die Existenz von 97 Prozent der untersuchten Kunden nachgewiesen worden. "Wirecard bilanziert korrekt: Die Bilanzierung unseres Drittpartnergeschäfts ist durch externe Rechtsgutachten sowie durch eine gutachterliche Stellungnahme zur Anwendung von IFRS im Falle von Treuhandkonten untermauert", so das Unternehmen weiter.
Und auch in Singapur, wo insbesondere die britische Zeitung "Financial Times" immer wieder Bilanzunregelmäßigkeiten festgestellt haben will, hat KPMG Wirecard zufolge offenbar "keine Feststellungen […] getroffen, die über das hinausgehen, was bereits im Jahresabschluss 2018 berücksichtigt und von EY Audit im Rahmen der Jahresabschlussprüfung angemerkt wurde".
Wirecard vs. Wirtschaftsprüfer: Bericht lässt Fragen offen
Zu der Stellungnahme sah sich der DAX-Konzern offenbar veranlasst, nachdem die Wirecard-Aktie auch nach Veröffentlichung des offiziellen Sonderprüfungsberichtes nicht zur Ruhe kam. Im Gegenteil: Offenbar halten sich am Markt Zweifel, ob die Bilanzmanipulationsvorwürfe tatsächlich aus der Welt geräumt werden konnten. Denn Wirecard hat den Prüfern von KPMG die Prüfung der eigenen Bilanzen offenbar alles andere als leicht gemacht, wie man dem offiziellen Prüfbericht entnehmen konnte.
So sind der Gesellschaft wohl nicht alle originalen Unterlagen zur Verfügung gestellt worden, stattdessen habe man häufig auf elektronische Belege zurückgreifen müssen, die nicht im Hinblick auf ihre Authentizität geprüft werden konnten: "Bei den KPMG vorgelegten Dokumenten handelte es sich nahezu ausschließlich um elektronische Kopien". Man habe zahlreiche Unterlagen nur in Form einer Kopie oder als Scan vorgelegt bekommen. "KPMG kann nicht beurteilen, ob diese Versionen den Originalen entsprechen. Wir haben für unsere Arbeiten unterstellt, dass die vorgelegten Kopien den Originalen entsprechen", so die Wirtschaftsprüfer in ihrem Bericht.
Entsprechend wenig eindeutig fiel dann schlussendlich auch die Entkräftung der Vorwürfe aus, die sich Wirecard durch die Wirtschaftsprüfung eigentlich erhofft hatte: "Grundlage unserer Untersuchung und Auswertung waren die erhaltenen Unterlagen, empfangenen Dokumentationen und erteilten Auskünfte, ohne dass es uns möglich gewesen wäre, die Vollständigkeit und Echtheit der uns überlassenen Unterlagen und Dokumentationen zu überprüfen. Demzufolge können wir auch keine abschließende Aussage darüber treffen, ob diese Unterlagen und Informationen vollständig, richtig und widerspruchsfrei sind. Wir können ebenfalls nicht abschließend beurteilen, ob uns alle beurteilungsrelevanten Informationen und Nachweise zugänglich gemacht wurden. Insofern können wir auch nicht ausschließen, dass wir bei Kenntnis weiterer Informationen und Dokumente zu einem anderen Ergebnis gekommen wären."
Bilanzvorwürfe nicht ausgeräumt
Die Vorwürfe der Bilanzmanipulation wurden also mitnichten komplett aus der Welt geräumt, sondern konnten - das betonen die Prüfer - nur auf Basis der von Wirecard vorgelegten Unterlagen, deren Echtheit nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, beurteilt werden. Insbesondere im Drittpartnergeschäft bestünden weiter Zweifel: "Ursächlich sind neben den Mängeln in der internen Organisation insbesondere die fehlende Bereitschaft der Third Party Acquirer, umfassend und transparent an dieser Sonderuntersuchung mitzuwirken", hieß es in dem Bericht von den Prüfern. So hätten unter anderem Transaktionsdaten und Nachweise sowie Verträge zwischen den Drittpartnern und Händlern bislang nicht zur Verfügung gestanden. Eine echte Entlastung ist der Prüfbericht also nicht.
Das spiegelt sich auch im Aktienkurs von Wirecard wider. Anleger haben nicht erleichtert auf den Prüfbericht reagiert, sondern die Ergebnisse eher skeptisch aufgenommen. Die Wirecard-Aktie rauscht seit einer Woche gen Süden abwärts.
Weitere Hiobsbotschaften für Wirecard
Dass der Zahlungsdienstleister mit weiteren Hiobsbotschaften konfrontiert wird, wirkt sich ebenfalls nicht stützend auf den Aktienkurs aus. So haben zum Wochenstart Analysten die Reißleine gezogen: Morgan Stanley und die HSBC haben die Aktie abgestuft und ihre Kursziele gesenkt beziehungsweise komplett gestrichen. Und auch andere Analysehäuser haben Skepsis bezüglich des Wirecard-Geschäfts angemeldet, das Bankhaus Lampe und die DZ Bank setzten gleich die gesamte Bewertung der Wirecard-Aktien erst einmal aus.
Und auch die Frankfurter Wertpapierbörse hatte noch am Vortag noch eine schlechte Nachricht für Wirecard im Gepäck: Dem DAX-Konzern droht wegen der verspäteten Vorlage seines Jahresabschlusses 2019 eine Geldstrafe. Die Frist für die Veröffentlichung des Geschäftsberichts ist am vergangenen Donnerstag abgelaufen - im schlimmsten Fall kostet Wirecard dies nun eine Strafzahlung in Höhe von einer Million Euro.
Viel Gegenwind für den Zahlungsdienstleister also, der sich von der Veröffentlichung des Sonderprüfberichts doch eigentlich eine Beruhigung für den volatilen Aktienkurs erhofft hatte.
Am Dienstag schloss die Wirecard-Aktie den XETRA-Handel 0,94 Prozent tiefer bei 87,50 Euro.
Redaktion finanzen.net
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Bildquellen: CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images, Wirecard AG
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