Britisches Parlament stimmt über No Deal ab - Notfallpläne umstritten
Kurz vor der Abstimmung des britischen Parlaments über einen Brexit ohne Abkommen hat die Regierung in London mit ihren Notfallplänen für Irritationen gesorgt.
London will im Falle eines ungeregelten EU-Austritts - des No-Deal-Brexits - vorübergehend auf einen Großteil seiner Importe keine Zölle erheben, um ein Chaos an seinen Grenzen und dramatische Preiserhöhungen für Verbraucher und Unternehmen zu verhindern.
Politisch heikle Kontrollen an der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland will London vermeiden, indem auf Waren aus der Europäischen Union überhaupt keine Zölle erhoben werden, solange sie für den nordirischen Markt bestimmt sind. Sollten sie via Nordirland in andere Teile des Vereinigten Königreichs gehen, würden aber Abgaben anfallen.
In Brüssel sorgten die Pläne für Verwunderung. Man werde sie genau anschauen, sagte ein Kommissionssprecher am Mittwoch. Die unterschiedliche Behandlung der Waren wecke Bedenken.
Anders als die britische Regierung will die EU bei einem Brexit ohne Vertrag nicht auf Einfuhrzölle auf britische Waren an der irischen Grenze verzichten. Man werde in so einem Fall die üblichen Regeln für Drittländer auf alle Importe aus Großbritannien anwenden, sagte ein Sprecher der EU-Kommission. "Die EU wird die Integrität des Binnenmarkts und der Zollunion unter allen Szenarien sicherstellen."
Das Unterhaus-Votum über einen EU-Austritt ohne Abkommen ist am Mittwoch von 20 Uhr an geplant. Sollte der No-Deal-Brexit wie erwartet abgelehnt werden, entscheiden die Parlamentarier am Donnerstag, ob London eine Verschiebung des EU-Austritts beantragen soll.
Die EU-Staaten erwägen Bedingungen für eine mögliche Verschiebung des Brexits auf Antrag Großbritanniens. Die entscheidende Frage sei, wofür die gewonnene Zeit genutzt werden solle, sagten Diplomaten nach einem Treffen der Botschafter der 27 bleibenden EU-Staaten in Brüssel.
Vorstellbar seien nur drei Gründe, sagte ein Diplomat der Deutschen Presse-Agentur: die Ratifizierung des bisher abgelehnten Austrittsvertrags in Großbritannien, zusätzliche Zeit für die Vorbereitung auf einen harten Bruch; oder Zeit für ein Referendum oder eine Neuwahl in Großbritannien.
Premierministerin Theresa May hob für die Abstimmung am Mittwoch den Fraktionszwang im Regierungslager auf. Sie kämpft weiter für einen geregelten Brexit. Am Dienstag hatten die Abgeordneten zum zweiten Mal gegen das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen gestimmt, obwohl May in Last-Minute-Gesprächen Zugeständnisse der EU erreicht hatte.
Auch das EU-Parlament verabschiedete am Mittwoch eigene Notfallmaßnahmen für den Fall eines ungeregelten EU-Austritts Großbritanniens. Damit soll sichergestellt werden, dass Bürger und Unternehmen möglichst wenig unter den Folgen des No-Deal-Brexits leiden müssen, teilte das Parlament nach der Abstimmung mit. Formell muss noch der Rat der Mitgliedstaaten noch grünes Licht dafür geben.
Diese Gefahr sei nach dem erneuten Nein des Unterhauses zum Abkommen erneut gewachsen, sagte der Brexit-Unterhändler der EU, Michel Barnier, im EU-Parlament. "Das No-Deal-Risiko war noch nie so hoch."
Nach den Plänen Londons für einen Austritt ohne Abkommen sollen auf 87 Prozent aller Importe ins Vereinigte Königreich temporär keine Zölle erhoben werden. Zölle oder andere Abgaben sollten dagegen etwa bei Rind-, Lamm- und Schweinefleisch anfallen, um Bauern und Produzenten zu unterstützen, die bisher von hohen EU-Zöllen geschützt wurden.
Der Industrieverband CBI betrachtete die Zollpläne als Beleg dafür, dass ein EU-Austritt ohne Abkommen unbedingt verhindert werden müsse. "Das sagt uns alles darüber, was falsch ist am No-Deal-Szenario", sagte CBI-Direktorin Carolyn Fairbairn der BBC.
Auch nach dem erneuten Nein des britischen Parlaments zum Brexit-Vertrag zeigte sich die EU offen für weitere Gespräche mit London. Man sei bereit für weitere Klarstellungen, wenn es der Ratifizierung des Austrittsabkommens in Großbritannien helfe, sagte die rumänische Europaministerin Melania Gabriela Ciot für den Vorsitz der EU-Länder. "Wir bleiben offen für Gespräche, solange ein Ende in Sicht ist." Großbritannien müsse nun eine klare Linie finden, forderte die Ministerin in einer Debatte des Europaparlaments.
CSU-Europapolitiker Manfred Weber sprach sich für ein zweites Referendum in Großbritannien aus. "Es wäre der logische nächste Schritt, die Menschen erneut zu fragen", sagte der Fraktionschef und Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei im Europaparlament.
Die Beschlussvorlage der Regierung in London für die bevorstehende Abstimmung sieht vor, dass ein No-Deal-Brexit für den 29. März abgelehnt wird. Für die Zeit danach soll das aber nicht gelten.
Ein Ja zu einem No Deal will May dagegen als Handlungsanleitung interpretieren. "Wenn das Unterhaus dafür stimmt, ohne ein Abkommen am 29. März auszutreten, wird es die Linie der Regierung sein, diese Entscheidung umzusetzen", sagte May. Die Abgeordneten legten mehrere Änderungsanträge vor, von denen nur zwei zur Abstimmung zugelassen wurden. Abgestimmt werden soll unter anderem über den Vorschlag, ein Ausscheiden ohne Abkommen in jedem Fall abzulehnen. Rechtlich verbindlich ist die Abstimmung aber ohnehin nicht.
Mitten im Brexit-Streit sieht sich die britische Regierung auch noch mit einem schwächeren Wachstumsausblick konfrontiert. Schatzkanzler Philip Hammond sagte im Unterhaus, in diesem Jahr sei mit einem Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent zu rechnen. Bisher hatte die Prognose 1,6 Prozent betragen. Für 2020 wurde die Erwartung bei 1,4 Prozent belassen. Die Wachstumsprognosen werden von dem unabhängigen Haushaltsbüro OBR für die Regierung erstellt.
Der Brexit betrifft auch viele Briten in Deutschland. 105 480 Briten ohne Doppelpass in Deutschland stehen nach dem EU-Austritt ihres Landes vor einer ungewissen Zukunft. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Frage der FDP-Abgeordneten Linda Teuteberg hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Der Großteil der Briten in Deutschland wird sich nach dem Brexit um einen Aufenthaltstitel bemühen müssen.
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LONDON/BRÜSSEL (dpa-AFX)
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