Zwischen Konjunkturzuversicht und Inflationssorgen
Das Inflationsgespenst ist wieder da! Die Aktienmärkte zucken zusammen, aber noch wird aus einem kleinen "Buh" kein großer Schrei, meint Dr. Marc-Oliver Lux von Dr. Lux & Präuner GmbH & Co. KG in München
Dritte Corona-Welle, erneute Lockdowns, schleppende Konjunkturerholung - die Wirtschaftsperspektiven waren schon einmal besser. Die Skepsis nimmt zu. Und so grenzt es auf den ersten Blick nahezu an ein Wunder, dass die Börsen nicht abstürzen und längst in einer tiefen Baisse stecken.
Der zweite Blick offenbart: Große Skepsis und steigende Kurse - das ist eine Konstellation, die gar nicht so ungewöhnlich ist. Die Finanzmärkte bezeichnen das als "Wall of Worry": Entlang einer Mauer der Angst hangeln sich die Kurse nach oben. Wo Euphorie fehlt, da sind immer noch viele skeptische Anleger an der Seitenlinie, die sorgenvoll die Krisensymptome beargwöhnen, den steigenden Kursen hinterherschauen - und schließlich doch kaufen, um die Rally nicht vollends zu verpassen.
Fünf Risiken speisen diese Skepsis. Doch mindestens vier davon werden die Börsen nicht ins Wanken, geschweige denn zum Absturz bringen:
Corona: Trotz stabil hoher Infektionszahlen, aggressiver Virusmutanten, Rückschlägen beim Hochfahren der Wirtschaft und Verzögerungen bei den Impfungen ist die Pandemie aus Sicht der Aktienmärkte weitgehend Vergangenheit. Früher oder später wird ein Großteil der Bevölkerung geimpft sein und wieder mehr konsumieren, sodass die Unternehmen ihre Gewinne steigern. Das beflügelt die Märkte.
Teure Aktien: Ob DAX oder Dow Jones - nahezu alle Aktien sind höher als im langfristigen Durchschnitt bewertet. Das lässt sich nicht wegrechnen. Die Kurse stiegen schneller als die Unternehmensgewinne. So haben beispielsweise die 30 DAX-Konzerne ihre Nettogewinne im letzten Jahr glatt halbiert, doch ihre Kurse erhöhten sich um drei Prozent. Solch eine Konstellation ist allerdings im jetzigen Konjunkturzyklus normal. Die Gewinne fielen, weil die Wirtschaft eingebrochen ist. Die Kurse steigen, weil Anleger auf den nächsten Aufschwung spekulieren.
Steigende Zinsen: In den USA sind die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen von einem halben Prozent im August auf zuletzt 1,7 Prozent Jahreszins gestiegen. Steigende Zinsen sind generell Gift für die Aktienmärkte, weil ihnen dadurch eine Konkurrenz erwächst. Aber erstens reichen 1,7 Prozent nicht aus, damit Anleger im großen Stil umschichten. Zweitens erscheint das Schreckensszenario aus weiter steigenden Renditen unglaubwürdig. Die Notenbanken steuern mit ihrer Nullzinspolitik dagegen. Auch erhöhen sie ihre monatlichen Anleihekäufe, um die Renditen wieder zu drücken. Höhere Zinsen wollen die Notenbanker unbedingt verhindern - koste es, was es wolle. Denn die überschuldeten Staaten kämen mit höheren Kapitalmarktzinsen kaum zurecht. "Don’t fight the Fed!" gilt weiterhin - Stelle dich nicht gegen die US-Notenbank!
Inflation: Die Preise steigen, vor allem Öl und Benzin werden teurer. Wirklich gefährlich wird Inflation für den gesamten Aktienmarkt aber erst, wenn sie stark steigt und die Notenbanken daraufhin die Zinsen erhöhen, um die Teuerung zu bremsen. Doch die Notenbanken haben klargestellt, dass sie genau dies nicht tun werden. Einerseits weil sie die Inflation für einen kurzzeitigen Effekt halten, und dafür spricht angesichts des abrupten Ölpreisverfalls zu Beginn der Corona-Pandemie vor einem Jahr einiges. Andererseits weil die Notenbanken mit steigenden Zinsen eine neuerliche Staatsschuldenkrise riskieren würden, wenn sich für die Regierungen die Schulden verteuern.
Handelskonflikte: Diese könnten auf Dauer möglicherweise die größte Belastung für die Börsen sein. Zum einen, weil sie kaum noch jemand im Blick hat, seitdem Präsident Joe Biden Donald Trump beerbt hat. Krisen, die überraschend kommen, sind für die Börsen immer die schlimmsten Krisen. Zum anderen, weil Biden anders als sein Vorgänger Allianzen mit den Europäern anstrebt.
Das Szenario, wonach die USA unfaire Handelspraktiken Chinas anprangern und von Europa verlangen werden, dies ebenfalls zu tun und notfalls mit Strafmaßnahmen dagegen vorzugehen, ist durchaus real. Mehr noch: Die Chinesen könnten mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren, beispielsweise deutschen Autobauern die Produktion im Land erschweren. Die Börsen setzen aktuell nicht auf dieses Szenario. Doch einmal in den Blickwinkel gekommen, würde es die Aktienmärkte unter Druck setzen. So weit ist es noch nicht, und es wäre nicht klug, deshalb schon jetzt aus Aktien auszusteigen. Schon oft haben sich negative Erwartungen im Nachhinein als falsch herausgestellt.
Solange die Finanzmärkte nicht auf eine Neuauflage des Handelskonflikts spekulieren, ist der Zeitpunkt gar nicht schlecht, jetzt noch in den Aktienmarkt einzusteigen. Erstens, weil die Alternativen fehlen, Zinsen fürs Ersparte gibt es immer noch nicht. Zweitens, weil die Weltwirtschaft ab dem zweiten Halbjahr oder 2022 voraussichtlich so stark wachsen wird wie seit mindestens zehn Jahren nicht mehr. Zu Beginn eines Aufschwungs war es immer gut, ein- und nicht auszusteigen. Auch wenn die Börsen diesmal bereits viel von der erhofften Aufschwungszukunft vorweggenommen haben. Doch je größer die allgemeine Skepsis desto größer das Kurspotential.
Immer mehr Privatanleger in Deutschland vertrauen bei ihrer Geldanlage auf bankenunabhängige Vermögensverwalter. Frei von Produkt- und Verkaufsinteressen können sie ihre Mandanten bestmöglich beraten. Mehr Informationen finden Sie unter www.v-bank.com.
Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.