Inflationssorgen im Sommerloch
Ab Mai wird üblicherweise die saisonal schwächere Börsenphase eingeläutet.
Zwar gab es erste Turbulenzen, aber die mit der Börsenregel "Sell in May" üblicherweise verbundenen Kursverluste um zehn Prozent blieben an den Aktienmärkten bisher aus. Ganz im Gegenteil: Der DAX glänzte mit neuen All-Time-Highs, die sich immer näher an die 16.000er-Marke heranschieben.
Dennoch treiben die Börsianer auf einmal Sorgen um über eine anziehende Inflation und damit steigende Zinsen in den USA, Asien und Europa. Stark steigende US-Verbraucherpreise, die im April um 4,2 Prozent zulegten - deutlich stärker als im März mit 2,6 Prozent und zugleich der höchste Wert seit 2008 - lösten zeitweise Unruhe am Markt aus.
Der Vizechef der US-Notenbank Fed zeigte sich überrascht von dem hohen Anstieg und sagte, die Notenbanker würden "nicht zögern", um die Inflation notfalls zu bekämpfen. Zunächst wurde jedoch in der letzten Fed-Sitzung noch keine Reduzierung der milliardenschweren Anleihekaufprogramme angekündigt. Der Markt wird weiter mit Liquidität unterstützt. Gleichwohl stehen nun die Signale seitens der Notenbank auf mittlerweile zwei Zinserhöhungen bis 2023. Die Anleiheterminkontrakte - die sogenannten Fed-Fund-Futures - signalisieren die erste Zinserhöhung im Laufe von 2022.
Angst vor steigenden Zinsen erzeugte auch die US-Finanzministerin Janet Yellen, die von einer Überhitzung der US-Konjunktur sprach, der möglicherweise durch "steigende Zinsen" entgegengewirkt werden müsse. Als ehemalige Chefin der US-Notenbank Fed weiß Yellen nur zu gut, wie sehr Anleger jedes Wort aus ihrem Munde genau danach abwägen, ob die Zinsen steigen oder nicht.
Ob Halbleiter, Obst, Gemüse, das Kantinenessen, Holz oder andere Baumaterialien: Die Preise steigen, und das deutlich mehr als um zwei, drei oder vier Prozent. Den meisten Experten bereitet das im Moment zwar noch keine Sorgen. Doch für die Aktionäre sind diese Signale wichtig.
Der Grund: Höhere Inflationszahlen gehen auf Dauer mit steigenden Zinsen einher. Das wiederum belastet üblicherweise die Börsen - und gilt aktuell als der stärkste Grund für deutlich schwankende Aktienkurse.
Viele halten eine Korrektur an den Aktienmärkten daher für immer wahrscheinlicher. Gute Nachrichten gab es dennoch aus Deutschland: Obwohl die Wirtschaft von Januar bis März um 1,7 Prozent schrumpfte, verdienten die 30 DAX-Konzerne so viel wie nie in einem ersten Quartal.
So muss die auf den ersten Blick erschreckend hohe US-Teuerung von 4,2 Prozent auch richtig eingeordnet werden: Im Vorjahresmonat waren die Preise wegen des weitgehenden Stillstands der US-Wirtschaft gesunken. Auch die Materialknappheit und die dadurch gestiegenen Erzeugerpreise könnten ein vorübergehendes Phänomen bleiben. Zudem: Die Inflation wird nicht mehr von Waren, sondern von Dienstleistungen dominiert. Von daher besteht für dieses und das kommende Jahr noch kein wesentliches Inflationsproblem. Das liegt vor allem daran, dass die Arbeitskosten sinken. Inflation wird vor allem durch steigende Löhne hervorgerufen. Da ist aber noch kein starker Aufwärtstrend erkennbar.
Zu Gelassenheit ermuntert auch das im August vergangenen Jahres von US-Notenbankchef Jerome Powell angekündigte "flexiblere Inflationsziel". Demnach greift die Fed noch nicht ein, wenn die Preissteigerung für eine Weile höher als zwei Prozent liegt, vorausgesetzt, sie lag vorher länger darunter. Powell will zudem mehrere Datenpunkte sehen, bevor er eine Strategieänderung beschließt, statt Entwicklungen zu antizipieren und möglichst früh zu reagieren.
Doch die Strategie sorgt für Nervosität. "Jedes Mal, wenn die Fed spät dran war und dann schnell reagieren musste, gab es eine Rezession", warnte Mohamed El-Erian, ökonomischer Chefberater der Allianz. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Inflation nur ein vorübergehendes Phänomen ist, schätzt er auf 50 Prozent. Am Jahresende wissen wir mehr.
von Dr. Marc-Oliver Lux von Dr. Lux & Präuner GmbH & Co. KG in München
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