Turbulenzen Made in China

China: Wie groß die Probleme wirklich sind

18.08.15 15:00 Uhr

China: Wie groß die Probleme wirklich sind | finanzen.net

Die überraschende Abwertung der Währung Renminbi sorgt für Spekulationen über den Zustand der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Kaum jemand glaubt noch den offiziellen Wachstumszahlen aus China.

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von Sabine Gusbeth, Euro am Sonntag

Die chinesische Zentralbank hat ein Beben an den Aktienmärkten ausgelöst. Am vergangenen Dienstag wertete sie die chinesische Währung Renminbi (RMB) um 1,9 Prozent ab, so stark wie seit 20 Jahren nicht. Die Investoren weltweit reagierten geschockt. Sie fürchten einen Einbruch der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, des wichtigsten Wachstumstreibers der Weltwirtschaft. Massenhaft verkauften sie Aktien von Unternehmen wie Volkswagen, deren Gewinne zum Großteil aus China kommen. Der deutsche Leitindex DAX, der viele Exportwerte umfasst, verlor innerhalb von zwei Tagen fast sechs Prozent - so viel wie seit November 2011 nicht mehr.

Was ist eigentlich los in China? Den offiziellen Zahlen zufolge ist die chinesische Wirtschaft im ersten Halbjahr sieben Prozent gewachsen - genau so, wie es die Zentralregierung vorgegeben hat. Das wäre zwar das schwächste Wachstum seit 25 Jahren. Doch das ist nicht das Problem.

Gewollte Abkühlung?

Immer wieder betonen Chinas Machthaber, dass die Abkühlung gewollt und die Situation unter Kontrolle sei. Nach seiner rasanten Aufholjagd braucht China ein neues Geschäftsmodell. Dessen Fundament sollen nicht mehr billige Arbeitskräfte und Exporte bilden, sondern innovative Produkte "Made in China" und ein starker Binnenkonsum.

Doch die Zweifel wachsen, ob der Kommunistischen Partei der Umbau gelingt. Die offiziellen Wachstumszahlen werden immer häufiger kritisch hinterfragt. Die US-Bank Citigroup geht davon aus, dass "das ‚echte‘ Wirtschaftswachstum wahrscheinlich unter fünf Prozent liegt". Auch Christopher Balding, Dozent an der renommierten Peking Universität, hält die Zahlen der chinesischen Statistikbehörde NSBC für manipuliert. Da man den Daten "nicht trauen kann", empfiehlt er die Maßnahmen, welche die Politik ergreift, als Indikator für die tatsächliche wirtschaftliche Situation heranzuziehen. Doch darin liegt das Problem. Nach jeder Äußerung von offizieller Seite schießen Spekulationen ins Kraut. So auch Anfang der Woche. Chinas Zentralbank PBOC wertete den Renminbi um 1,9 Prozent gegenüber dem US-Dollar ab (Renminbi ist der Name der Währung; der häufig verwendete Begriff Yuan bezieht sich auf die Einheiten der Devise). Zudem gab sie bekannt, dass sich der Kurs des RMB künftig stärker an der Marktentwicklung orientieren soll. Das neue Wechselkursregime hatte zur Folge, dass die Währung auch an den folgenden Tagen weiter an Wert verlor.

In der westlichen Hemisphäre löste die Abwertung Spekulationen über den Zustand der chinesischen Wirtschaft aus. Mit dem Schritt wolle die Zentralbank die schwächelnden Exporte und damit die Wirtschaft ankurbeln, lautete die Mehrheitsmeinung. Denn durch die Abwertung werden chinesische Produkte im Ausland billiger. Einige fürchten gar einen Währungskrieg. Darunter versteht man einen Abwertungswettlauf als Mittel der Konjunkturpolitik.

Die PBOC selbst begründete den Schritt damit, sie wolle den Wechselkurs flexibler gestalten. Eine dauerhafte Abwertung sei nicht geplant.

Dazu muss man Folgendes wissen: Der RMB ist keine frei konvertierbare Währung wie der Euro, dessen Wechselkurs schwankt. Seine Wertentwicklung ist künstlich an die des US-Dollar gebunden. Da der Dollar im Vergleich zu vielen anderen Währungen, etwa dem Euro oder dem japanischen Yen, im vergangenen Jahr stark aufgewertet hat, ist auch der Wert des RMB stark gestiegen. Verglichen mit dem Euro legte er um 20 Prozent zu - und hat so chinesische Produkte in Europa teurer gemacht. Analysten halten die Volkswährung sogar für 20 bis 30 Prozent überbewertet.

Hinzu kommt: China will den Renminbi zur Weltwährung aufbauen. Ein wichtiger Schritt dafür ist die Aufnahme in den Devisenkorb des Internationalen Währungsfonds (IWF). Dieser enthält US-Dollar, Euro, Yen und Pfund. Bislang wurde dem Renminbi die Aufnahme verwehrt, weil er nicht frei konvertierbar ist. Durch die jüngste Lockerung der PBOC könnte nun der Weg frei sein. Als "willkommenen Schritt" begrüßte der IWF so auch die Aktion der Pekinger Zentralbank, die an den Aktienmärkten für so große Aufregung gesorgt hatte.

Keine Entwarnung

Heißt das Entwarnung? Nein, aber es macht deutlich, wie schwer es ist, die Lage der chinesischen Wirtschaft einzuschätzen. Zuletzt häuften sich die negativen Meldungen aus dem Land: Einbruch bei den Immobilienpreisen, Crash am Aktienmarkt, Nachfragerückgang bei Luxusgütern. Die Ankündigung über die Abwertung lässt nun Zweifel aufkommen, ob die Regierung noch alles unter Kontrolle hat - oder ob es sich um eine Verzweiflungstat handelt. Diese Unsicherheit ist die Ursache für die starken Ausschläge an den Aktienmärkten. Denn die Weltwirtschaft hängt stark von der Nachfrage aus China ab.

Selbst Premier Li Keqiang, seinerseits Ökonom, zweifelt an den Wachstumsdaten aus seinem Land, wie er einst einem US-Diplomaten verriet. Als "von Menschenhand geschaffen" und deshalb unzuverlässig bezeichnete er die Zahlen. Er orientiere sich an Stromverbrauch, Kreditvergabe und Frachtaufkommen auf der Schiene. Die britische Zeitschrift "The Economist" entwickelte auf dieser Basis den Li-Keqiang-Index. Demzufolge liegt das chinesische Wirtschaftswachstum derzeit bei 4,4 Prozent, wie das Institut für Weltwirtschaft Kiel errechnet hat. Allerdings weisen die Forscher darauf hin, dass der Index die Schwerindustrie übergewichte. Sie gehen daher eher von einem Wachstum von 6,6 Prozent für das Gesamtjahr aus - also nur knapp unter der offiziellen Prognose.

Aller Unsicherheit über den Zustand der chinesischen Wirtschaft zum Trotz gibt es doch eine Gewissheit: Chinas Regierung tut alles dafür, das Wachstum zu stützen. Denn nichts fürchten die Machthaber mehr als einen abrupten Einbruch der Wirtschaft und Unruhen in der Bevölkerung.

Auswirkungen der China-Turbulenzen...
... auf Handelspartner
Japan exportiert jährlich Waren im Wert von fast 150 Milliarden US-Dollar nach China, die Turbulenzen beobachtet man mit Sorge. Die deutschen China-Exporte liegen bei 84 Milliarden Dollar.

... auf die Börsen
Technologie aus Japan, Erz aus Australien, Autos aus Deutschland, Konsumgüter aus den USA: China nimmt vielen Ländern verschiedenste Waren ab. Kein Wunder, dass die auf eine Wirtschaftsschwäche hindeutende Renminbi-Abwertung auch die Börsen in den Industrieländern vorübergehend auf Talfahrt schickte. Auf den Anleihemärkten hinterließ der Schritt ebenfalls Spuren. Anleihen besonders konjunktursensibler Unternehmen gaben nach und außerhalb Chinas begebene Renminbi-Anleihen (Dim-Sum-Bonds) erlitten die größten Verluste seit 2011. Auf den Devisenmärkten verlor der Dollar zum Euro an Wert. Der Grund: Anleger spekulierten darauf, dass die US-Notenbank Fed die erste Zinserhöhung seit der Finanzkrise aus Angst vor einer durch die China-Schwäche ausgelösten wirtschaftlichen Abkühlung verschieben könnte.

... auf die Rohstoffpreise
China ist der größte Rohstoffimporteur der Welt. Deshalb schlägt die Konjunkturabkühlung voll auf die Rohstoffpreise durch, die ohnehin durch Faktoren wie ein Überangebot an den Metall- und Ölmärkten unter Druck stehen. In den vergangenen Tagen beschleunigte sich der Ausverkauf. Einige Rohstoffe sind nun so billig wie zuletzt in der Finanzkrise. Erste Beobachter sprechen bereits von einem "übertriebenen Preisrückgang".

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Bildquellen: Aleksey Klints / Shutterstock.com, William Potter / Shutterstock.com

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