Tatbeteiligung

Wirecard-Aktie unter 2 Euro: Schlüsselfigur im Skandal legt Geständnis ab - Wirecard könnte durch Regeländerung schon im August aus dem DAX fliegen

17.07.20 17:54 Uhr

Wirecard-Aktie unter 2 Euro: Schlüsselfigur im Skandal legt Geständnis ab - Wirecard könnte durch Regeländerung schon im August aus dem DAX fliegen | finanzen.net

Im milliardenschweren Bilanzskandal beim Zahlungsdienstleister Wirecard packt ein zentraler Beschuldigter aus.

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Der wegen Betrugsverdachts inhaftierte Ex-Chef der Wirecard-Tochter Cardsystems Middle East räumte nach Angaben seines Anwalts im Verhör der Staatsanwaltschaft München eine Tatbeteiligung ein. "Mein Mandant hat sich freiwillig dem Verfahren gestellt und steht - im Gegensatz zu anderen - zu seiner individuellen Verantwortung", sagte dessen Strafverteidiger Nicolas Frühsorger am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. Die Münchner Staatsanwaltschaft lehnte eine Stellungnahme ab.

Der deutsche Manager hatte sich Anfang der vergangenen Woche gestellt, wie die Staatsanwaltschaft am Tag seiner Verhaftung mitgeteilt hatte. Er war dafür aus den Vereinigten Arabischen Emiraten nach München gereist. Im Emirat Dubai spielte die Cardsystems Middle East eine zentrale Rolle im skandalumwitterten Asiengeschäft von Wirecard. Dort wähnen die Ermittler einen Schwerpunkt der mutmaßlichen milliardenschweren Manipulationen der Wirecard-Geschäftszahlen.

Eine weitere wichtige Tochter des Zahlungsabwicklers ist in Dublin angesiedelt. In der irischen Hauptstadt hatte die Polizei auf Wunsch der deutschen Strafverfolger vor wenigen Tagen Geschäftsräume von Wirecard durchsucht.

Der Manager aus Dubai wurde nach Angaben der Staatsanwaltschaft bereits am Tag seiner Verhaftung vernommen. Danach redete er erneut ausführlich mit den Ermittlern. "Zu den Einzelheiten werden wir uns allerdings ausschließlich gegenüber der Staatsanwaltschaft München äußern", erklärte sein Anwalt. Der Manager sitzt wegen Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl stützt sich unter anderem auf den dringenden Verdacht des schweren gemeinschaftlichen Betrugs.

Der bis in den Dax aufgestiegene Konzern war nach Aufdeckung eines 1,9 Milliarden Euro großen Bilanzlochs in die Insolvenz gerutscht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugs, Untreue, Bilanzfälschung und Marktmanipulation gegen mehrere Manager. Vorstandschef Markus Braun trat zurück und hat sich ebenfalls der Staatsanwaltschaft gestellt. Vorstand Jan Marsalek, der für das Tagesgeschäft zuständig war, ist dagegen nach seiner fristlosen Entlassung untergetaucht. In Deutschland ist eine Debatte über Versäumnisse von Behörden und Wirtschaftsprüfern entbrannt, denen die Bilanzfälschungen lange verborgen geblieben waren.

Regeländerung geplant: Fliegt Wirecard schon im August aus dem DAX?

Die Deutsche Börse will nach dem Wirecard-Skandal die Regeln für die Zugehörigkeit zum Leitindex DAX ändern.

Künftig sollen Unternehmen nach einem Insolvenzantrag kurzfristig aus den DAX-Auswahlindizes ausscheiden, schlug der Börsenbetreiber am Freitag vor. Sollten die Marktteilnehmer dem Vorschlag zustimmen, könnte Wirecard bereits im August statt im September aus dem DAX fallen.

Der Zahlungsanbieter war Ende Juni pleitegegangen. Es war das erste DAX-Unternehmen in der über 30-jährigen Geschichte des Leitindexes, das Insolvenz anmeldete. Dennoch gehört der Konzern weiterhin dem Dax an und würde nach den aktuellen Regeln erst im September ausscheiden. Das hatte für viel Unverständnis gesorgt und die Deutsche Börse unter Druck gesetzt. Sie will die Marktteilnehmer bis zum 7. August befragen und die Ergebnisse vor dem 13. August bekanntgeben. "Sollten sich die Marktteilnehmer dafür aussprechen, beabsichtigen wir das Regelwerk nach Abschluss der Konsultation mit einer Frist von einer Woche anzupassen", erklärte der Börsenbetreiber. Dann würde Wirecard aus dem Leitindex DAX verschwinden.

Finanzministerium: Aufsicht ist Vorwürfen gegen Wirecard intensiv nachgegangen

Das Bundesfinanzministerium hat sich im milliardenschweren Wirecard-Bilanzskandal hinter die Aufsichtsbehörden gestellt.

Die Vorwürfe gegen den mittlerweile insolventen Zahlungsabwickler hätten sich über Jahre gestreckt. "Diesen Vorwürfen ist nachgegangen worden", sagte ein Sprecher von Finanzminister Olaf Scholz am Freitag in Berlin. "Es sind auch Maßnahmen getroffen worden." Der Sprecher verwies auf Bußgelder, Prüfungen und Durchsuchungen. Allerdings sei das ganze Ausmaß erst zuletzt bekanntgeworden.

Das Ministerium will "zeitnah" eine Reform der Aufsichtsstrukturen vorstellen. Dazu gebe es momentan noch Abstimmungen innerhalb der Regierung. Für reformbedürftig hält das Finanzministerium das zweistufige System der Bilanzprüfung. Hier sollen der Finanzaufsichtsbehörde BaFin mehr Möglichkeiten gegeben werden. Außerdem müsse es eine effektivere Kontrolle der Wirtschaftsprüfer geben. Bis zum Jahr 2018 seien die Abschlüsse von Wirecard für in Ordnung befunden worden, bemängelte der Sprecher des Finanzministeriums.

Laut einer Regierungssprecherin findet es Bundeskanzlerin Angela Merkel richtig, dass das Finanzministerium den Fall aufkläre und die Öffentlichkeit informiere. "Merkel arbeitet mit allen Ministern vertrauensvoll zusammen."

Wirecard-Banken können Forderungen selbst zu Ramschpreisen kaum verkaufen

Die Insolvenz der Wirecard AG trifft einige der Banken, die Kredite an den einstigen Überflieger unter den Fintechs vergeben haben, schmerzlich. Einige der größten Geldhäuser Europas rechnen laut informierten Personen damit, dass sie nur gut 20 Prozent der insgesamt fast 2 Milliarden US-Dollar zurückbekommen, die Wirecard ihnen schuldet. Derweil haben manche Banken, die ihren Teil der Kreditforderung abstoßen wollen, Schwierigkeiten, Käufer zu finden - selbst zu einem Preis von wenigen Cent pro Euro. Auch wenn der Insolvenzverwalter von Wirecard versucht, die Vermögenswerte des Unternehmens zu verkaufen, um Schulden zu begleichen.

Die Probleme untermauern die Erwartungshaltung einiger Investoren, Investmentbanker und Restrukturierungsexperten, dass die Kreditgeber und andere Gläubiger des Zahlungsdienstleisters wahrscheinlich zu großen Teilen leer ausgehen werden. Die Betrugsvorwürfe gegen Wirecard wegen seiner Rechnungslegung werden zur Folge haben, dass potenzielle Käufer die Bücher des Unternehmens durchforsten, um die Geschäfte zu bewerten. Aber das braucht Zeit, erhöht das Risiko, dass Wirecard-Kunden in Scharen zur Konkurrenz wechseln, und untergräbt jegliche Bemühungen, mit dem Verkauf von Vermögenswerten Wert zu erzielen.

Die Schuldenlast von Wirecard umfasst eine revolvierende Kreditfazilität in Höhe von 1,75 Milliarden Euro. Die britische Lloyds Banking Group ist einer der 15 Kreditgeber dieser Fazilität. Wirecard schuldete ihr rund 120 Millionen Euro, dennoch hat die Bank die Forderung laut mit der Transaktion vertrauten Personen vor Kurzem zum Preis von nur rund 18 Cent je Euro an Hedge-Fonds mit einem Fokus auf notleidende Kredite verkauft. Das deutet darauf hin, dass die Bank nicht erwartet hat, dass ein Insolvenzverfahren einen großen Wert für die Betroffenen generieren würde.

Nicht alle schreiben ihr Geld schon ab

Dann, vergangene Woche, versuchte eine andere Bank, die sich an der revolvierenden Kreditfazilität von Wirecard beteiligte, 200 Millionen Euro des Kredits zu verkaufen, wie Informanten sagten. Die Versteigerung sei jedoch gescheitert. Um welche Bank es sich handelte, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.

Dennoch werfen nicht alle Banken das Handtuch. Barclays gehört zu denen, die einen Teil der Schulden behalten, wie eine mit der Angelegenheit vertraute Person sagten, in Barclays Fall eine Summe von 120 Millionen Euro.

Wirecard hatte Schulden von mehr als 3 Milliarden Euro, als das Unternehmen im vergangenen Monat Insolvenz anmeldete, nachdem es eingestanden hatte, das 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz wahrscheinlich gar nicht existierten. Der Aktienkurs brach daraufhin um 98 Prozent ein und Aktieninvestoren, die in der Reihe der Gläubiger ganz hinten stehen, haben das größte Risiko leer auszugehen.

Dagegen sind Bankkreditgeber in der Regel in der besten Position, im Rahmen einer Restrukturierung das zurückzuerhalten, was ihnen geschuldet wird. Wirecard versucht, sein Kerngeschäft mit Zahlungsdiensten, das Einzelhändler, Verbraucher und das allgemeine Finanzsystem sowie andere Teile seines Geschäftes verbindet, zu verkaufen, um den Gläubigern ihr Geld zurückzuzahlen. Anfang dieses Monats teilte das in Aschheim bei München ansässige Unternehmen mit, dass mehr als 100 potenzielle Käufer Interesse angemeldet hätten.

Da sich herausgestellt hat, dass der Barmittelbestand von Wirecard nicht mit den testierten Ergebnissen übereinstimmt, müssen die Mitglieder des 15 Banken umfassenden Konsortiums nun im zweiten Quartal umfangreiche Rückstellungen für die Kreditfazilität vornehmen, wie mit der Angelegenheit vertraute Personen sagten. Die federführenden Banken für den Kredit vom Juni 2018 waren die niederländische ING Groep und ABN Amro sowie die deutsche Commerzbank und LBBW.

Trübe Aussichten für Gläubiger

Die trüben Aussichten für die Wirecard-Gläubiger spiegeln sich im Preis der anderen ausstehenden Schulden wider. Unternehmensanleihen, die von Wirecard emittiert wurden, werden zu 13 Prozent des Nennwertes gehandelt und Wandelanleihen mit einem geringeren Anspruch auf Wirecard-Vermögen wechselten in der vergangenen Woche laut Marktdaten zu 12 Prozent den Besitzer. Der Anspruch der Inhaber von Unternehmensanleihen auf die Vermögenswerte von Wirecard ist ähnlich gelagert wie der Anspruch der kreditgebenden Banken, während die Wandelanleihen laut Emissionsprospekten zwar auf Wirecard, nicht aber auf deren operative Tochtergesellschaften zurückgreifen.

Der Insolvenzverwalter von Wirecard reagierte nicht auf Anfragen zur Stellungnahme.

Wirecard begann 2011 mit der Kreditaufnahme bei Banken, wie aus öffentlich zugänglichen Daten von Dealogic hervorgeht. Dabei führte die Commerzbank ein Konsortium an, dem ab 2018 französische, amerikanische und chinesische Banken angehörten. Nun ist Wirecard das jüngste Unternehmen, bei dem den Banken Verluste durch mutmaßlichen Unternehmensbetrug drohen. Weitere Fälle aus jüngster Zeit sind das chinesische Kaffeeunternehmen Luckin Coffee, das eingestehen musste, dass einige Mitarbeiter Verkäufe gefälscht haben, und der Ölhändler Hin Leong Trading aus Singapur, dem vorgeworfen wird, über mehrere Jahre versteckte Verluste aus Termingeschäften in Höhe von rund 800 Millionen Dollar erlitten zu haben und der Insolvenzschutz beantragt hat.

Bisherige Aktionärsklagen in Deutschland und den USA richteten sich gegen Führungskräfte von Wirecard und gegen den Wirtschaftsprüfer Ernst & Young, der sagt, er sei zusammen mit allen anderen getäuscht worden.

Investoren in notleidende Kredite, die Teile des Wirecard-Kredites aufkaufen, haben ein potenzielles Mitspracherecht bei der Verteilung der Erlöse aus dem Verkauf von Vermögenswerten unter den Gläubigern. Sie könnten auch von gerichtlichen Schritten gegen das Management von Wirecard oder deren Wirtschaftsprüfer profitieren, sagten einige Insolvenzschutz-Experten. Ein solcher Prozess könnte jedoch Jahre dauern und der Ausgang ist ungewiss, was hilft, die Entscheidung von Lloyds, lieber jetzt einen Verlust einzufahren, zu erklären.

Allerdings könnte die Nachfrage nach den Bankschulden von Wirecard selbst bei den Investoren mit dem größten Risikoappetit nachlassen, da sich immer mehr Fragen zur Werthaltigkeit der über Jahre zurückreichenden Finanzkonten stellen.

Im XETRA-Handel begab sich die Wirecard-Aktie erneut auf Talfahrt und verlor zum Handelsschluss 5,66 Prozent auf 1,98 Euro.

München (Reuters) / (Dow Jones)

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Bildquellen: Wirecard, CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images

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