Mehr als 4.000 Kläger fordern Schadenersatz von Pharmakonzern Merck
Mehr als 4.000 Kläger fordern in Frankreich Schadenersatz vom deutschen Pharmahersteller Merck.
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Rund 200 Kläger erschienen am Montag zum Auftakt eines Zivilprozesses in der Gemeinde Villeurbanne bei Lyon. Sie fordern mit einer Sammelklage 10 000 Euro Schadenersatz pro Person. Die Verhandlung wurde aus Platzgründen in ein Kongresscenter verlegt.
Hintergrund ist, dass Merck in Frankreich die Zusammensetzung seines Schilddrüsenmedikaments Levothyrox geändert hatte. Patienten hatten sich über unerwünschte Nebenwirkungen der neuen Rezeptur beschwert. Rund drei Millionen Menschen sind in Frankreich auf das Medikament angewiesen.
Die Kläger werfen dem Pharmahersteller vor, nicht ausreichend über die veränderte Rezeptur und mögliche Auswirkungen aufgeklärt zu haben. "Sie haben nicht im geringsten darüber informiert", sagte Opferanwalt Christophe Lèguevaques in seiner Eröffnungsrede. Merck habe bewusst Informationen zurückgehalten, um die Öffentlichkeit zu täuschen. Dabei sei es dem Pharmahersteller nur ums Geld gegangen.
Merck weist die Anschuldigungen zurück und erklärt, ausreichend über die Änderungen informiert zu haben. Ärzte und Apotheker sowie Merck selbst hätten aufgeklärt. Der Pharmahersteller argumentiert außerdem, dass das Gericht in Lyon nicht zuständig sei. Ein Anwalt des Unternehmens forderte, den Fall an ein höheres Gericht, das Tribunal de Grande Instance, zu verweisen - nur dort könne über diese Fälle von mutmaßlicher Körperverletzung entschieden werden.
Die Zivilklage der Levothyrox-Patienten in Lyon zielt allerdings nicht auf Körperverletzung, sondern auf "fehlende Information" und "Schaden durch Angst" ab, weil die Patienten nicht gewusst hätten, weshalb sie plötzlich gesundheitliche Probleme hatten.
Merck hatte die neue Zusammensetzung auf Bitte der französischen Medikamentenbehörde ANSM entwickelt. Diese neue Formel war von Ende März 2017 an in Apotheken erhältlich. "Diese Abwandlungen ändern weder etwas an der Wirksamkeit noch an der Verträglichkeit des Medikaments", hatte ANSM damals mitgeteilt. Grund für die Änderung der Formel soll eine bessere Haltbarkeit gewesen sein.
"Wochen oder Monate lebten die Betroffenen in Unsicherheit und wussten nicht, was die Ursache ihrer Beschwerden ist", schilderte Beate Bartès, Präsidentin von "Vivre sans Thyroide", einem Verein für Menschen, die an Schilddrüsenerkrankungen leiden, am Rande des Prozesses. Über Gruppen in sozialen Netzwerken hätten sich schließlich viele über die Beschwerden ausgetauscht - und so mitbekommen, dass mehrere unter ähnlichen Symptomen leiden.
Diese Nebenwirkungen sind zum Beispiel Müdigkeit, Haarausfall oder Gewichtszunahme. Auch Aline Bonanno litt unter extremer Müdigkeit. Sie ist eine der mehr als 4000 Klägerinnen. Sie habe einem Arzt ihre Probleme geschildert, der habe ihr zunächst zu Vitaminen geraten, erzählte sie. Auch sie ist dann in sozialen Netzwerken darauf aufmerksam geworden, dass ihre Beschwerden mit dem Medikament zu tun haben könnten.
Nach Angaben von Merck hat die große Mehrheit der Betroffenen den Übergang auf die neue Mixtur gut überstanden. Nur bei weniger als einem Prozent habe es Probleme gegeben. Bis Ende 2018 verkauft Merck nach Aufforderung der französischen Behörden weiter die alte Mixtur, um den Übergang zu erleichtern - dem Unternehmen zufolge greifen aber nur sehr wenige darauf zurück. "Viele Betroffene beschaffen sich das Medikament mittlerweile im Ausland, weil es in Frankreich so schwer zu bekommen ist", klagte Bartès von "Vivre sans Thyroide".
VILLEURBANNE (dpa-AFX)
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Bildquellen: Merck 2016, Merck KGaA
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