Ökonomen-Stimmen 2: Sieg der Union bei der Bundestagswahl

24.02.25 10:32 Uhr

(neu: Commerzbank, LBBW, ING, Institut der deutschen Wirtschaft; aktuelle Stimme der Dekabank)

FRANKFURT (dpa-AFX) - In Deutschland bahnt sich ein Machtwechsel an: Die Union hat die Bundestagswahl klar gewonnen und dürfte mit Friedrich Merz den nächsten Kanzler stellen. Nach dem vorläufigen Ergebnis kommt die rechte AfD auf Platz zwei. Dahinter folgen die SPD, die auf ein historisches Tief abstürzt, sowie die Grünen. Die Linke ist überraschend stark im Bundestag vertreten. BSW und FDP scheitern dagegen an der Fünf-Prozent-Hürde und verpassen den Einzug ins Parlament. Nun läuft alles auf ein Bündnis aus Union und SPD hinaus, denn eine schwarz-grüne Koalition hat keine Mehrheit.

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Einschätzungen von Ökonomen zu den Folgen der Bundestagswahl im Überblick:

Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank

"Die Aussichten für eine erfolgversprechende Regierungsbildung wurden zwar im Foto-Finish entschieden, aber jetzt stehen die Chancen für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und für stabile politische Verhältnisse nicht schlecht. Das Wahlergebnis wird die ersten zarten Erholungstendenzen in der deutschen Konjunktur unterstützten. Aus Sicht von Wirtschaft und Kapitalmärkten ist es jetzt wichtig, schnell eine Regierung und ein Wirtschaftsprogramm aufzustellen, die den notwendigen Strukturwandel in der deutschen Wirtschaft unterstützen und der Wirtschaft wieder mehr Freiraum für unternehmerische Entscheidungen geben. Verbesserte Angebotsbedingungen bei sozialer Absicherung, das könnte ein erfolgversprechendes Wirtschaftsrezept einer neuen Koalition sein."

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Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank

"Eine künftige Koalition von Union und SPD dürfte sich auf mehr Geld für die Infrastruktur verständigen und das am Ende trotz einer Sperrminorität von AfD und Linkspartei auch durchsetzen. Das wäre gut für die Unternehmen. Aber Union und SPD haben in den meisten anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik deutlich unterschiedliche Meinungen - etwa in der Steuer-, Sozial- und Klimapolitik. Das dämpft die Aussicht auf einen echten Neustart in der Wirtschaftspolitik, der nach fünfjähriger Stagnation des Bruttoinlandsprodukts dringend notwendig wäre."

Jens-Oliver Niklasch, Volkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW)

"Die anstehenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD werden anspruchsvoll und vermutlich langwierig. Wenn die SPD Zugeständnisse in der Migrationspolitik macht, kann sie dafür vermutlich von der Union Entgegenkommen in Sachen Steuern und Mindestlohn erwarten. (...) Die anstehenden Aufgaben wie grüne Transformation, Integration, Alterung, innere und äußere Sicherheit werden nur mit zusätzlicher Kreditaufnahme zu finanzieren sein. Aber nicht vergessen: AfD und Linkspartei haben zusammen eine Sperrminorität im Bundestag, was eine schnelle Verfassungsänderung zumindest erschwert."

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Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der Bank ING

"Der eher positive psychologische Effekt des politischen Führungswechsels könnte durch komplizierte Koalitionsverhandlungen schnell wieder zunichtegemacht und gedämpft werden. Das Risiko ist groß, dass nach der Wahlnacht die Sehnsucht nach einer grundlegenden Überholung der deutschen Wirtschaft anhält; es ist schwer vorstellbar, dass die nächste Regierung in der Lage sein wird, viel mehr für die Wirtschaft zu erreichen als einen kurzzeitigen positiven Effekt durch einige Steuersenkungen, kleine Reformen und etwas mehr Investitionen. Das heißt, es sei denn, die nächste Regierung hat die Zeichen der Zeit wirklich erkannt."

Michael Hüther, Direktor Institut der deutschen Wirtschaft

"Die Zeit drängt. Deutschland ist nur stark, wenn seine Wirtschaft es auch ist. Dafür brauchen wir schnellstmöglich eine handlungsfähige Bundesregierung, die anpackt: Sicherheitspolitisch im Verbund mit den europäischen Partnern, und national bei der Überwindung der Investitionsschwäche, bei der Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme, beim Abbau von Bürokratie und wie die Themen alle heißen. Die Parteien der Mitte müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Es geht um wirksame Staatlichkeit."

Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank

"Merz könnte ein Kanzler mit wenig fiskalischem Spielraum sein. Populistische Parteien vom politischen Rand haben zusammen mehr als ein Drittel der Sitze im Deutschen Bundestag gewonnen. Gemeinsam können sie jede Änderung des deutschen Grundgesetzes blockieren, das nur mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden kann. Die Populisten können somit jede Lockerung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse blockieren, einschließlich der Aufstockung des bestehenden Sonderfonds für die Verteidigung oder der Schaffung eines neuen Sonderfonds. In einer Zeit, in der es von entscheidender Bedeutung ist, die Ausgaben für das Militär und die Ukraine zu erhöhen und die Steuerlast für Arbeitnehmer und Unternehmen zu senken, könnte Deutschland Schwierigkeiten haben, den fiskalischen Spielraum dafür zu finden."

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank

"Die neue Bundesregierung wird in den kommenden vier Jahren die Versäumnisse der jahrzehntelangen Investitionsversäumnisse nicht korrigieren können. Entscheidend ist deshalb, dass nicht nur zwischen den Koalitionspartnern, sondern unter allen demokratischen Parteien ein Konsens über die Notwendigkeit von großangelegten Infrastrukturinvestitionen besteht. Für den Bildungssektor, die Verkehrsinfrastruktur, die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und die Verteidigung muss ein langfristiger Finanzierungsrahmen in Form von Sondervermögen geschaffen werden, der weit über die Legislaturperiode hinausreicht. In diesem Falle könnten Unternehmen ebenfalls beginnen, verlässlich zu investieren. Damit würden die Weichen für einen nachhaltigen Aufschwung gestellt werden."

Robin Winkler, Chefvolkswirt Deutschland der Deutschen Bank

"Trotz der Aussicht auf eine effektivere Regierungskoalition in den nächsten vier Jahren besteht die Sorge, dass eine Große Koalition selbst neben den Grünen keine Mehrheit für Änderungen der Verfassung haben wird, da die drei Parteien zusammen knapp 66 Prozent der Sitze halten. Dies bedeutet, dass alle Verfassungsänderungen, einschließlich der Schuldenbremse, auf die Unterstützung der Linken oder der AfD angewiesen wären. Wir glauben, dass die Märkte dies als negativ betrachten könnten, da es die Wahrscheinlichkeit eines entscheidenden finanzpolitischen Wechsels in Deutschland verringert."

Michael Heise, Chefökonom bei HQ Trust

"Nach Lage der Dinge wird die CDU/CSU mit der SPD (...) eine Wirtschaftswende verhandeln müssen. Hohe Steuern, steigende Energiekosten, hohe Lohnnebenkosten, übermäßige Bürokratie und infrastrukturelle Defizite müssen gezielt abgebaut werden. Die Verhandlungen werden schwierig werden. Auch die geschwächte SPD wird sich den Notwendigkeiten einer Wirtschaftswende angesichts des wirtschaftlichen Abstiegs jedoch nicht völlig verschließen können. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen ist unerlässlich, um Deutschland, das unter der Ampelregierung wieder zum kranken Mann Europas geworden ist, auf den Erfolgskurs zurückzuführen."

Greg Fuzesi, Analyst bei JPMorgan

"Wir stellen fest, dass die Linke die Schuldenbremse ganz abschaffen will. (...) Eine Einigung könnte daher möglich sein, auch wenn sie unsicher wäre und Zeit in Anspruch nehmen würde. Wenn aber eine Reform der Schuldenbremse von der Linken abhängt, muss die Regierungskoalition den Koalitionsvertrag möglicherweise auf der Grundlage der aktuellen Schuldenbremse verfassen."

Matthias Hoppe, Portfoliomanager bei Franklin Templeton

"Die Bildung einer neuen Regierung bietet die Gelegenheit für Strukturreformen, um die angeschlagene Wirtschaft zu stützen. Die von den Finanzmärkten, insbesondere von internationalen Anlegern, am sehnlichsten erwartete Reform ist die verfassungsmäßige Schuldenbremse (...). Wir bleiben zwar skeptisch, ob die nächste Regierung dazu in der Lage sein wird, aber die aktuelle geopolitische Lage und ein möglicher Handelskonflikt mit den USA könnten genügend Druck auf die Politiker sowohl in Deutschland als auch in der Europäischen Union ausüben, um Reformen anzustoßen. Wir würden jedoch davor warnen, kurz- und mittelfristig zu optimistisch zu sein."

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