Lehman Brothers-Pleite

Der Insolvenz-Veteran: "Es kann wieder passieren"

09.05.15 21:00 Uhr

Der Insolvenz-Veteran: "Es kann wieder passieren" | finanzen.net

Der Insolvenzrichter von Lehman Brothers, James Peck, über dramatische Stunden in der Finanzkrise, das Aufräumen eines 600-Milliarden-Dollar-Scherbenhaufens und die Gefahr neuer Bankpleiten.

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von Alexander Sturm, €uro am Sonntag

Als am Morgen des 15. September 2008 die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers die Finanzwelt erschüttert, ahnt James Peck nicht, was auf ihn zukommt. Kurz darauf wird er Insolvenzrichter von Lehman und steht im Epizentrum der ­Finanzkrise. Wenige Tage nach dem Zusammenbruch genehmigt er ­inmitten panischer Börsen den Notverkauf von Lehmans US-Geschäft. 2011 handelt er mit den Gläubigern einen Liquidierungsplan aus, kann nach und nach 80 Milliarden Dollar an sie auszahlen - angesichts der 600 Milliarden Dollar Schulden von Lehman hatte das niemand für möglich gehalten. Heute kann Peck entspannt zurückblicken auf seine Zeit als Lehman-Abwickler, die ihn zahllose Nacht- und Wochenendschichten kostete und mit 42 000 Aktenein­trägen dokumentiert ist. Beim Interview in einem Hotel in Frankfurt gibt er sich bescheiden. Während er leise und überlegt spricht, lässt sich erahnen, wie er in jenen Stunden als Ruhepol im Lehman-Chaos wirkte. Doch dann merkt man, wie auch ihm die Verantwortung als oberster Abwickler zu schaffen machte.

€uro am Sonntag: Herr Peck, als Insolvenzrichter von Lehman betreuten Sie die größte Bankenpleite der USA. Wie war es, die Krise im Maschinenraum zu erleben?
James Peck: Lehman war ein sehr emotionaler Fall. Er begann ohne jegliche Planung - anders als bei den Insolvenzen von American Airlines oder General Motors. Die Pleite kam unerwartet und war noch dazu ­erdrückend im Ausmaß. Lehman schickte Schockwellen durch das globale Finanzsystem. Für alle, die im Epizentrum dieses Erdbebens standen, war dies eines der denkwürdigsten Ereignisse ihres Lebens. Es ist einer dieser Momente, an die man sich noch Jahre später erinnert. Wo warst du, als John F. Kennedy ­ermordet wurde? Was hast du gerade getan, als du von den Anschlägen vom 11. September gehört hast? In der Finanzwelt war Lehman ein ähnlich bedeutendes Ereignis.

Wie haben Sie reagiert, als Sie das Mandat für Lehman bekamen?
Der Fall wurde zunächst behandelt wie jeder andere. Der Auftrag wurde zufallsbedingt vergeben. Erst wurde das Mandat einem anderen Richter zugeteilt. Doch er musste wegen Voreingenommenheit ablehnen, weil seine Frau für eine Kanzlei arbeitete, die Lehman vertrat. Dann riefen sie mich an. In jenem Moment hat sich mein Leben verändert. Als Insolvenz­experte war ich in Fachkreisen einigermaßen bekannt, doch mit Lehman kannten plötzlich Leute aus der ganzen Welt meinen Namen.

Hatten Sie Zeit zu überlegen, ob Sie die Aufgabe annehmen wollen?
Nein, eine Absage war keine Option.

Waren es Ihnen da bewusst, dass Sie Teil der Finanzkrise würden?
Nein, absolut nicht. Auch wenn mir bewusst war, dass etwas Bedeutendes passierte. Aber ich versuchte, Lehman als normalen Fall zu begreifen. Es war ein Akt mentaler Gymnastik, diesen Fall in meinem Kopf herunterzuspielen und mich nicht davon erdrücken zu lassen. Neben Lehman hatte ich fünf andere Fälle mit je über einer Milliarde Dollar Gläubigerforderungen auf dem Schreibtisch. Kurz zuvor war auch der Fall des Anlagebetrügers Bernard Madoff bei mir gelandet. Den konnte ich abtreten, weil ein Familienmitglied Investor bei Madoff war. Sonst hätte ich Lehman und Madoff machen müssen. Vielleicht wäre ich dann heute nicht hier, weil ich vor Erschöpfung gestorben wäre.

Wie viele Leute haben am Fall ­Lehman gearbeitet?
Ich weiß es nicht - unzählige Anwälte, Finanzberater und Banker. Ein großes Problem war, dass in der ersten Woche nach der Pleite weite Teile des US-Geschäfts von Lehman an die britische Bank Barclays verkauft wurden. Tausende Angestellte verließen Lehman, viele Daten waren schwer zu bekommen. All die Tochterfirmen in London, Frankfurt, Zürich zerbrachen in verschiedene Insolvenzfälle und kamen vor verschiedene Richter. Sie zu harmonisieren war das Schwierigste.

Wo fängt man bei so einer ­gigantischen Bankenpleite an?
Das entschieden die Anwälte und Berater, die die Interessen der einzelnen Stakeholder vertraten. Sie brachten die Angelegenheiten vor Gericht und meine Aufgabe war es, über deren Rechtmäßigkeit zu entscheiden. Das Problem war, die vielen Einzelteile des Prozesses zu managen. Zudem war vieles sehr kompliziert. Die Derivategeschäfte von Lehman ließen sich nur schwer ­bewerten und wurden noch nie vor Gericht bewertet. Das machte es für alle Anwälte und mich sehr hart.

Wissen Sie, wie viele Arbeitsstunden Sie mit Lehman verbrachten?
Nein, ich kann es mal schätzen. Ich arbeitete viel an Wochenenden und Abenden. Es gab Hunderte, teils Tausende Anwälte, die mir Beweismittel und Erklärungen lieferten. Aber entscheiden musste ich allein. Manchmal fühlte ich mich einsam.

Welche Phase der Insolvenz war im Rückblick am heikelsten?
Der Verkauf von Lehmans US-Geschäft an Barclays in der ersten ­Woche. Das ging an die Grenzen rechtsstaatlicher Verfahren. Üblicherweise sind die Parteien in Gerichtsverfahren berechtigt zur Analyse der Sachlage und zur Anhörung. Es muss genug Zeit sein, die Dinge zu begreifen. Der Verkauf ging aber in fünf Tagen über die Bühne. Zwei Tage nach Lehmans Pleite fand die erste Anhörung statt. Da musste ich schon den Verkaufsprozess zulassen. Und am Freitag, dem 19. September, war die Anhörung zum Verkauf. In einer unfassbar engen Zeitspanne mussten alle die Transaktion verstehen und juristisch eine Antwort geben. Alles musste am Wochenende erledigt sein, bevor die Börse Sonntagnacht wieder öffnete. Am Ende habe ich den Verkauf genehmigt.

Haben Sie solch einen Notverkauf jemals wieder gesehen?
Nein. So etwas werde ich nicht mehr erleben. Auch weil die Regulierer es nicht mehr zulassen würden.

Wie meinen Sie das?
Die Regulierer hatten ja die Pleite von Lehman bewusst zugelassen. Zuvor gab es schon einige Firmen, die der Staat aufgefangen hatte. Die Hilfe für den Versicherer AIG und die Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac, der staatlich unterstützte Verkauf von Bear Stearns an JP Morgan. Es war schon vor Lehman eine Panik im Markt, die ich so nie erlebt hatte. Die Regulierer hatten erwartet, dass der Markt auf die Pleite von Lehman eingestellt war. Die Märkte hatten aber nicht damit gerechnet, selbst die Angestellten von Lehman nicht. Auch deshalb waren die Schockwellen so heftig. Im Rückblick war es ein Fehler, Lehman pleitegehen zu lassen.

Was hat man aus Lehman gelernt?
Lehman war ein bis dato undenk­barer Fall in der Geschichte des ­Finanzsystems, der viele Regulierungsreformen anstieß. Die Industriestaaten haben erkannt, dass es kein zweites Lehman geben darf.

Haben wir heute, über sechs Jahre nach Lehman, das Problem gelöst, dass Banken aus Angst vor den ­Folgen nicht pleitegehen dürfen?
Nein, das Too-big-to-fail-Problem gibt es immer noch.

Wie lässt sich das Ziel erreichen?
Es erfordert grenzüberschreitende Kooperation zwischen Regulierern und Notenbanken, gemeinsame Standards und die Fähigkeit, schnell zu kommunizieren. Wenn eine Bank fällt, sind die Folgen global. Es muss ein gemeinsames Management drohender Bankenpleiten geben. Notfalls an einem Wochenende.

Das kann funktionieren, wenn wieder eine solche Panik ausbricht?
Es ist noch nicht getestet worden. Es ist ein bisschen wie bei den Anfängen des US-Raumfahrtprogramms zum Mond. Manche Raketen explodierten kurz nach dem Start, andere flogen weiter. Die Technologie war noch nicht ausgereift. So ähnlich ist es beim Versuch, das Too-big-to-fail-Problem zu lösen. Meine Sorge ist, dass die Pläne auf dem Papier gut aussehen, aber in der Praxis nicht funktionieren. Panik im Finanzsystem ist schwer aufzuhalten. Es gibt ein altes Sprichwort: Gute Nachrichten verbreiten sich schnell, schlechte schneller. Wenn es Gerüchte über eine Bank gibt, kennt sie im Onlinezeitalter jeder. Kommt Angst dazu, ziehen die Leute ihr Geld ab. Geht das sehr schnell, weiß ich nicht, ob die Sicherungssysteme greifen.

Die Finanzkrise breitete sich weltweit aus, weil Lehman stark mit anderen Banken vernetzt war. Konnten die Regulierer den Dschungel des Finanzsystems seither lichten?
Nein, die Vernetzung ist genauso groß. Der Finanzmarkt funktioniert, weil Parteien Gegenparteien vertrauen, gut genug für ein Geschäft zu sein. Pleiten werden immer von Faktoren ausgelöst, die lange nicht als Risiken erkannt wurden. Dabei waren sie immer da. Das US-Finanzsystem war schon Monate vor Lehman am Boden. Die Banken hatten langfristige Verpflichtungen, finanzierten sich aber kurzfristig. In der Krise passte das nicht zusammen. Die ­Assets von Lehman waren Immobilien, die sich in der Krise nur schwer bewerten ließen. Dazu kamen komplexe Derivate. Die Bank konnte sich in der Panik nicht mehr finanzieren, da sie nicht vertrauenswürdig war. Das kann wieder passieren.

In Deutschland erlitten einige ­Privatanleger mit Lehman-Zertifikaten heftige Verluste. Warum ließen sich diese nicht auffangen?
Es gibt zahllose Geschichten von Menschen, die die Pleite traf. Viele Verfahren um Kleinanleger laufen noch. Die Aussichten kann ich schwer einschätzen. Mir ist aber sehr bewusst, dass es bei Lehman nicht nur um Big Business, sondern um viele Schicksale ging.

Kurzvita

Insolvenz-Veteran
James Peck (69) hat viele Pleiten erlebt. Nach einem Jura­studium in New York erarbeitete er sich in Wirtschaftskanzleien einen Ruf als Sanierer. Er leitete die Restrukturierung von Japan Airlines, handelte bei der Insolvenz von General Motors einen Vergleich aus. Im Ringen um eine Einigung lief er zwischen 14 Konferenzräumen hin und her. 2006 wurde Peck Richter am Insolvenzgericht des ­Southern District of New York, wo er die Lehman-Pleite betreute. Nach über fünf Jahren Arbeit an der Abwicklung, die noch heute läuft, schied er 2014 aus und arbeitet nun für die Kanzlei Morrison & Foerster.

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Bildquellen: Gaby Gerster für €uro am Sonntag

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