Wirecard-Aktie -35%: CEO Markus Braun tritt zurück - DWS will Wirecard und Ex-Wirecard-Chef Braun verklagen
Der Zahlungsabwickler Wirecard hat in der Nacht abermals Unklarheiten in seiner Bilanz 2019 eingeräumt und deutlich gemacht, dass er sich in der Angelegenheit als Geschädigter sieht. Nun gab CEO Markus Braun seinen sofortigen Rücktritt bekannt.
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Die Betrugsvorwürfe gegen Wirecard haben den CEO zu Fall gebracht. Wie der DAX-Konzern mitteilte, ist Vorstandschef Markus Braun im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. Markus Braun hat den in Not geratenen Konzern nach seinen Worten aus eigenem Antrieb verlassen. Wirecard habe ein exzellentes Geschäftsmodell, herausragende Technologie und ausreichende Ressourcen für eine große Zukunft, schrieb Braun am Freitag in einer auf Englisch verfassten persönlichen Erklärung an Mitarbeiter und Aktionäre. "Ich will diese Zukunft nicht belasten."
Er habe den Vorsitzenden des Aufsichtsrats am Vormittag über seine Entscheidung informiert. "Mit meiner Entscheidung respektiere ich die Tatsache, dass die Verantwortung für alle geschäftlichen Transaktionen beim Vorstandschef liegt."
Braun führte das Unternehmen seit 2002 und war die dominante Figur. Er war schon 2019 unter massiven Druck durch Anleger geraten, die dem studierten Wirtschaftsinformatiker mangelnde Information und schlechtes Krisenmanagement vorwarfen. Freis hingegen ist unbelastet von der Vergangenheit. Der US-Anwalt und Analyst ist Spezialist für Wirtschaftsverbrechen: Freis war von 2007 bis 2012 Chef der Einheit zur Bekämpfung der Finanzkriminalität im US-Finanzministerium, wie er auf seiner LinkedIn-Seite schreibt.
Interims-CEO wird James H. Freis, der erst am Vortag vorzeitig zum Compliance-Vorstand bestellt worden war. Denn der Aufsichtsrat des bedrängten Unternehmens hatte am Donnerstagabend noch Vorstandsmitglied Jan Marsalek kalt gestellt, der als Vertrauter Brauns galt. Marsalek war für das Tagesgeschäft verantwortlich und ist nun vorerst suspendiert.
Anlegerschützer begrüßen Rücktritt des Wirecard-Chefs
Der Führungswechsel bei dem von einem Bilanzskandal erschütterten DAX-Konzern Wirecard ist bei Anlegerschützern auf Zustimmung gestoßen.
"Der Rücktritt ist konsequent und überfällig", sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Marc Tüngler, am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters. Durch den Abgang von Vorstandschef Markus Braun sei der Weg für eine Aufklärung freier geworden. "Das kann aber erst der Anfang sein", betonte DSW-Experte Tüngler. "Wir erwarten weitere Schritte. "Vor allem muss geklärt werden, wo das Geld geblieben ist."
Die Ungereimtheiten bei Wirecard haben bei Aufsichtsräten Sorgen vor einer Beschädigung des Börsenstandorts Deutschland ausgelöst. "Der Fall macht einen sprachlos. Die Kontrollmechanismen haben offenbar versagt", sagte der Vorstandsvorsitzende der Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland (VARD), Peter Dehnen, zu Reuters. Zwei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sei es bislang nicht gelungen, Klarheit zu schaffen. Die offenen Fragen müssten rasch geklärt werden. "Geschieht dies nicht oder erweist sich, dass die genannten Gelder weg sind, werden noch mehr aus der Aktie aussteigen." Schon jetzt sei der Börsenwert so stark gefallen, dass ein Investor das Unternehmen vergleichsweise günstig übernehmen könnte. "Es ist viel Vertrauen verspielt worden. Dies ist eine Gefahr für den Börsenstandort Deutschland. Wir brauchen mehr Aktionäre und nicht weniger."
Veröffentlichung des Jahresabschlusses erneut verschoben
Nachdem Wirecard-Vorstandschef Markus Braun und seine Kollegen am Donnerstag auf Tauchstation gegangen waren, erklärte der nunmehr ehemalige CEO in einem auf der Homepage veröffentlichten Videostatement: "Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirecard AG in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes zum Geschädigten geworden ist."
Unabhängig von einem möglichen Betrugsfall, wie es Konzernchef Markus Braun nannte, haben die Finanzaufsicht Bafin und die Münchner Staatsanwaltschaft angekündigt, den Fall unter die Lupe nehmen zu wollen.
Eigentlich sollte Wirecard am Donnerstag die mehrfach verschobene Veröffentlichung des Jahresabschlusses nachholen. Daraus wurde nichts, denn für das Testat, das die Wirtschaftsprüfer dem Abschluss vor der Veröffentlichung hätten geben müssen, fehlten entscheidende Belege. Knackpunkt sind Bankguthaben über 1,9 Milliarden Euro, was einem Viertel der Bilanzsumme des Konzerns entspricht.
"Wir sind von unserem Abschlussprüfer EY in Deutschland darüber informiert worden, dass ein Bestätigungsvermerk für den Jahresabschluss 2019 aufgrund unberechtigter Bankbestätigungen weitere Prüfungshandlungen erfordert", sagte Braun in dem Video. Dies sei auf Mitteilungen von zwei Banken, die Treuhandkonten verwalten, an EY zurückzuführen.
"Laut EY gibt es Hinweise darauf, dass den Wirtschaftsprüfern von einem Treuhänder oder aus dem Bereich dieser Banken zu betrügerischen Zwecken falsche Saldenbestätigungen vorgelegt wurden", so Braun weiter. "Der Treuhänder, der seit 2019 mandatiert ist, steht im ständigen Kontakt mit den Banken und der Wirecard AG. Es ist derzeit unklar, warum die beiden Banken den Wirtschaftsprüfern gegenüber erklärt haben, dass die Bestätigungen gefälscht sind. Der Treuhänder hat der Wirecard AG angekündigt, dass er den Sachverhalt kurzfristig mit den beiden Banken klären wird", sagte Braun weiter.
Die Anleger hatten am Donnerstag ein vernichtendes Urteil über Wirecard gefällt und der Aktie des DAX-Konzerns am Donnerstag einen beispiellosen Einbruch von über 60 Prozent beschert.
Wirecard spricht mit Banken über Kreditlinien
Wirecard arbeitet an der Abwendung der drohenden Kündigung von milliardenschweren Krediten. Der Konzern führe "konstruktive Gespräche" mit den kreditgebenden Banken über die Fortführung der Kreditlinien und die weitere Geschäftsbeziehung, teilte der von einem Bilanzskandal erschütterte DAX-Konzern mit.
Die Banken können Kredite der Wirecard AG in Höhe von rund 2 Milliarden Euro kündigen, wenn bis am heutigen Freitag kein testierter Jahresabschluss vorliegt. Das hatte der Konzern am Donnerstag mitgeteilt, als er die abermalige Verschiebung des Jahresabschlusses wegen des fehlenden Testats der Wirtschaftsprüfer ankündigte.
Philippinische Bank: Wirecard-Treuhandkonto existiert bei uns nicht
Inzwischen erklärte die philippinische Bank BDO Unibank, bei der angeblich eines von zwei fraglichen Treuhandkonten für Wirecard geführt wurde, dass das deutsche Unternehmen kein Kunde sei: "Das Dokument, in dem die Existenz eines Wirecard-Kontos bei BDO behauptet wird, ist ein manipuliertes Dokument, das gefälschte Unterschriften von Bankangestellten trägt", hieß es in der Stellungnahme des in der Stadt Makati ansässigen südostasiatischen Geldhauses. "Der Fall ist an die Zentralbank der Philippinen berichtet worden." Zuvor hatte die US-Nachrichtenagentur Bloomberg über die Stellungnahme berichtet.
Im Mittelpunkt des Bilanzskandals stehen zwei asiatische Banken und ein Treuhänder, der seit Ende vergangenen Jahres für Wirecard die Konten verwaltet.
DWS will Wirecard und Ex-Wirecard-Chef Braun verklagen
Die Fondsgesellschaft DWS macht Ernst und geht rechtlich gegen den Zahlungsdienstleister Wirecard und dessen Ex-Chef vor. "DWS wird Wirecard und Markus Braun persönlich verklagen", sagte ein DWS-Sprecher dem Handelsblatt. Was für eine Klage genau die Fondsgesellschaft einreichen will, wollte der Sprecher nicht konkretisieren. Es dürfte aber vor allem um Schadenersatz gehen, schreibt die Zeitung. Am Vortag hatte die DWS nach einem beispiellosen Einbruch des Aktienkurses um knapp 62 Prozent mitgeteilt, dass sie rechtliche Schritte prüfen werde.
In Kreisen der Fondsgesellschaft war laut Handelsblatt von einem "beispiellosen Organversagen von Vorstand und Aufsichtsrat Wirecards" die Rede. Die DWS war laut der Zeitung eine Zeitlang überproportional stark in Wirecard-Aktien investiert, hatte aber im Februar damit begonnen, ihre Bestände zu reduzieren. Ab Mitte Mai habe es keine Übergewichtung von Wirecard-Aktien gegeben, hieß es laut der Zeitung in Finanzkreisen. Bis Donnerstagabend habe die DWS Wirecard aus allen aktiv gemanagten Fonds entfernt.
Auch Union Investment prüft Klage gegen Wirecard
Immer mehr Anleger stehen in den Startlöchern für Klagen gegen Wirecard.
Auch die Union Investment, die bis vor kurzem einer der größten Investoren des Zahlungsabwicklers war, denke über eine Klage nach, sagte ein Sprecher der Fondsgesellschaft am Donnerstag zu Reuters. "Die Berichterstattung zu Wirecard hat die Union Investment zum Anlass genommen, auch in diesem Fall eine mögliche Beeinträchtigung von Anlegerinteressen und eine Einleitung rechtlicher Schritte zu prüfen." Zuvor hatte die Fondsgesellschaft DWS sowie Vertreter von Kleinanlegern einen solchen Schritte angekündigt.
So reagiert die Wirecard-Aktie
Die Mitteilungen zum Chefwechsel und den Verhandlungen mit den Banken stoppten den von Pleiteängsten getriebenen rapiden Kursverfall an der Börse. Bis zum Handelsende fielen die Papiere auf XETRA um 35,29 Prozent auf 25,82 Euro. Im Tagestief waren sie um 51,73 Prozent auf 19,26 Euro abgesackt.
Am Donnerstag waren sie bereits um fast 62 Prozent in die Tiefe gerauscht, nachdem Wirecard wegen milliardenschwerer Unklarheiten in der Bilanz seinen Jahresabschluss erneut nicht vorlegt hatte. Das war der zweitgrößte Tagesverlust eines DAX-Titels in der fast 32-jährigen Geschichte des deutschen Leitindex.
Gegen Wirecard waren in der Vergangenheit immer wieder - insbesondere von der Financial Times - Vorwürfe wegen unsauberer Geschäftspraktiken erhoben worden. Am Aktienmarkt war der Kurs darauf immer wieder stark unter Druck geraten, konnte sich dann aber wieder erholen.
Im Allzeithoch hatte das Papier im September 2018 bei 199 Euro gelegen. Im September 2018 schaffte Wirecard dann auch den Aufstieg in die erste deutsche Börsenliga DAX und verdrängte dort das Urgestein Commerzbank.
Der Platz der Wirecard-Aktie im DAX scheint derweil trotz des aktuellen Dramas zumindest auf kürzere Sicht noch nicht gefährdet. Generell und unabhängig vom Fall Wirecard gilt, dass eine Aktie bei einer Insolvenz nur dann aus dem DAX entnommen würde, wenn der Handel im Prime Standard längere Zeit eingestellt würde. Denn generell habe ein Unternehmen die Chance, ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung mit einem guten Ausgang abzuschließen, so ein Marktexperte.
Der DAX wird zum nächsten Überprüfungstermin - das ist aktuell im September - neu sortiert- und zwar auf Basis der Ranglisten, die nach den Schlusskursen Ende August erstellt werden.
Sollte eine Aktie dann das Kriterium für einen schnellen Rauswurf ("Fast Exit") erfüllen, also in der Marktkapitalisierung oder in der Liquidtät schlechter als Platz 45 liegen, würde sie automatisch durch den besten Nachrücker ersetzt. Sollte sie in einem der beiden Kriterien schlechter als Platz 40 liegen, würde sie den DAX als regulärer Absteiger nur verlassen müssen, wenn es einen Nachrücker gibt, der in beiden Kriterien mindestens Platz 35 belegt. Und den gibt es aus derzeitiger Sicht nicht.
Analysten wie Mirko Maier von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hatten sich verwundert gezeigt über die erneute Verschiebung der Bilanzvorlage. Noch am 25. Mai habe Wirecard kommuniziert, dass für die Bilanz 2019 ein uneingeschränktes Testat erwartet werde, erklärte Maier in einer Studie. Insofern überrasche die Meldung mit den Täuschungsvorwürfen. Immer mehr Analysten äußern sich nun auch kritisch zu dem Zahlungsabwickler und raten zum Verkauf oder setzen die Bewertung erst einmal aus. Letzteres tat auch Maier.
Metzler hat das Papier suspendiert, weil man sich außerstande sieht, angesichts der existenziellen Krise bei Wirecard einen fairen Wert als Basis eines neuen Kursziels für den Zahlungsdienstleister zu ermitteln. Bei Citi spricht man von einer ganz erheblich gestiegenen Risikolage. Ein Kursziel sei angesichts der neuen Lage nicht zu ermitteln, da eine Bewertungsmethode nicht anwendbar sei.
Spekulanten erhöhen Wetten auf weiter fallende Wirecard-Aktien
Hedgefonds haben ihre Wetten auf fallende Wirecard-Aktien deutlich erhöht.
Die Netto-Leeverkaufspositionen liegen inzwischen bei fast 17 Prozent, wie am Freitag aus Daten des Bundesanzeigers hervorging. Am Mittwoch, bevor der Bilanzskandal um Wirecard so dramatische Züge annahm, waren noch zehn Prozent der Wirecard-Aktien an Spekulanten ausgeliehen. Die größte Position hält mit 2,5 Prozent inzwischen der Hedgefonds Coatue. Auf den US-Fonds TCI mit seinem prominenten Manager Chris Hohn entfallen gut 1,5 Prozent.
Mit Leerverkäufen wetten Anleger auf fallende Kurse. Dabei verkaufen sie Wertpapiere, die sie sich zuvor gegen eine Gebühr leihen. Sinkt der Preis bis zum Rückgabe-Datum, können sie sich am Markt billiger mit den Titeln eindecken und streichen die Differenz ein. Steigt der Kurs dagegen, droht den Leerverkäufern Verlust. Die Aktien von Wirecard hatten am Donnerstag mehr als 60 Prozent verloren, am Freitag rauschten sie um weitere 35 Prozent in die Tiefe.
Dow Jones Newswires / Reuters / dpa-AFX
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