Invesco-Chefökonom: "Geld kommt nicht aus dem Helikopter"
John Greenwood, Chefökonom der Investmentgesellschaft Invesco, über Paralleluniversen in der Wirtschaft und die unbegründete Furcht vor Inflation.
von Andreas Hohenadl, Euro am Sonntag
In Sachen Geldpolitik ist John Greenwood ein ausgewiesener Experte. Schließlich gilt er als Architekt des Währungssystems in Hongkong. Zu Beginn der 80er-Jahre setzte in der damaligen britischen Kronkolonie eine Welle von Kapitalflucht ein. Denn die Zukunft der Kolonie, die 1997 an China zurückfallen sollte, schien äußerst ungewiss. Greenwood, der zu dieser Zeit in Hongkong arbeitete, machte sich für eine Bindung des Hongkong-Dollar an den US-Dollar stark.
1983 setzte er sich mit seinem Vorschlag durch. Ein sogenanntes Currency Board wurde eingerichtet, und der Wechselkurs konnte sich stabilisieren. Ungeheure Geldmengen, die vorher abgeflossen waren, strömten auf die Halbinsel zurück.
Auch heute ist Greenwood, der in London als ökonomischer Vordenker für die Investmentgesellschaft Invesco arbeitet, ein gefragter Mann. Unter anderem berät er als Mitglied eines wissenschaftlichen Schattenrats die Bank of England und publiziert in Zeitungen wie dem „Wall Street Journal“ und der „Financial Times“. Wie so viele seiner Kollegen aus der Ökonomenzunft verfolgt Greenwood derzeit kritisch die Geldpolitik der großen Notenbanken.
€uro am Sonntag: Herr Greenwood, wie wird die Weltwirtschaft im kommenden Jahr aussehen?
John Greenwood: Bildlich gesprochen werden wir es mit zwei Paralleluniversen zu tun haben. Das eine bilden die entwickelten Volkswirtschaften mit den USA, Großbritannien, der Eurozone und Japan, das andere die aufstrebenden Schwellenländer vor allem Asiens und Lateinamerikas. Wobei diese Paralleluniversen nicht im engen Wortsinn zwei abgeschottete Welten sind. Durch die Globalisierung gibt es natürlich viele Schnittflächen und Verknüpfungen.
Wie kommen Sie zu dieser zweigeteilten Sicht der Dinge?
Nun, im Westen werden sowohl die Staats- als auch die Privathaushalte noch lange Zeit damit beschäftigt sein, ihre Bilanzen in Ordnung zu bringen. Die Wachstumsraten werden allenfalls moderat ausfallen. Im Gegensatz dazu haben wir in vielen Schwellenländern starkes, von der Binnennachfrage getriebenes Wachstum. Die Zentralbanken dort werden zunehmend auf eine restriktivere Geldpolitik umschalten.
Können Sie näher erläutern, was Sie mit den Bilanzproblemen des Westens meinen?
Ein ganzes Jahrzehnt lang hatten wir heftiges Geld- und Kreditwachstum. Diese Liquidität floss in Vermögenswerte wie zum Beispiel Immobilien, wo die Preise stiegen und stiegen. Dann kam die Finanzkrise, und die Liquidität trocknete aus. Auch die Preise für Vermögenswerte gingen zurück. Doch sind sie noch immer auf einem Niveau, das über dem Level der persönlich verfügbaren Einkommen liegt. Den Leuten fällt es schwer, den Schuldendienst für ihre Vermögenswerte zu leisten. Nun könnten sie sich ja von Besitz trennen. Doch sind zum Beispiel die Preise für Immobilien so stark zurückgegangen, dass viele lieber abwarten und diesen Verlust nicht realisieren. Stattdessen sparen sie und versuchen, sich zu entschulden. Doch nicht nur die Privathaushalte müssen kürzertreten, auch auf Staatsebene müssen die Ausgaben zurückgeschraubt werden. Schließlich sind in den westlichen Industrieländern durch die massiven Konjunkturprogramme enorme Schulden entstanden.
Wie lange wird es dauern, bis die Aufräumarbeiten bei den Bilanzen abgeschlossen sind?
Dazu ist eine lange Zeitspanne nötig. Besonders im Hinblick auf die privaten Verbraucher müssen Sie bedenken: Banken können durch verschiedene Maßnahmen ihr Kapital erhöhen, Privathaushalte können das nicht. Sie können nur ihre Ausgaben drosseln, und das werden sie noch einige Jahre lang tun. Wenn wir auf die Historie blicken, dauert es nach einer schweren Finanzkrise wie dieser im Schnitt sechs Jahre, bis die Bilanzen wieder konsolidiert sind. In dieser Zeit werden die Zinsen niedrig bleiben.
Viel billiges Geld, hohe Staatsverschuldung – viele Menschen fürchten sich vor einem starken Inflationsanstieg. Sie auch?
Nein, absolut nicht. Wenn der Staat und die Verbraucher ihre Bilanzen in Ordnung bringen, ist dieser Prozess von Natur aus deflationär. Der entscheidende Punkt für Inflation ist das Wachstum von Geldmengen und Krediten. Wenn wir in die USA blicken, haben wir dort faktisch null Geldmengen- und Kreditwachstum. Denn einerseits sind die Banken bei der Geldvergabe immer noch zögerlich, auf der anderen Seite ist auch die Nachfrage nach Krediten zurückgegangen. Die Haushalte wollen sich ja entschulden, und die Unternehmen bleiben vorsichtig. Mit Hinblick auf die Inflationsängste kann ich also beruhigen: Geld wird nicht geschaffen, indem es vom Helikopter abgeworfen wird, sondern indem Banken Kredite vergeben, was sie im Moment nicht tun.
Die entwickelten Volkswirtschaften haben also noch eine längere Schwächephase vor sich. Dagegen scheint der Aufschwung in den Emerging Markets kaum zu stoppen.
Ja, denn in vielen Schwellenländern sind die öffentlichen und privaten Haushalte in einem sehr viel besseren Zustand. Vor allem die Länder Asiens haben aus der Finanzkrise von 1997/98 gelernt und sich in der Folgezeit sehr vorsichtig verhalten. Sie waren deshalb auch nicht in die jüngste Kredit- und Immobilienblase involviert. Aufgrund der guten Bilanzsituation konnte in diesen Ländern auch die Geld- und Fiskalpolitik schnell und effektiv wirken. So ist Asien, aber auch Lateinamerika auf einen starken Wachstumspfad zurückgekehrt. Einige Regierungen mussten bereits die Zinsen anheben. Dennoch ist Inflation zum jetzigen Zeitpunkt – mit Ausnahme Chinas und Indiens – noch kein ernstliches Problem. Alles in allem also ein hervorragender Einstiegszeitpunkt für Investoren.
Bleiben wir einmal in der asiatischen Region. Welche Perspektiven sehen Sie für die Industrienation Japan?
Das Land hat nach wie vor ungelöste strukturelle Defizite: eine extrem hohe Staatsverschuldung und regelmäßige Haushaltsdefizite, eine alternde Gesellschaft und einen rückläufigen Anteil der arbeitenden Bevölkerung. Weitreichende Reformen wären nötig, um Produktivität und Innovation zu erhöhen und dadurch das Wachstum des privaten Sektors anzutreiben. Doch bisher schwache Regierungen haben es versäumt, diese Probleme wirklich anzugehen. Japan ist zu einer Wirtschaftsleistung verdammt, die unter seinen Möglichkeiten liegt. Und das wird meiner Ansicht nach in den kommenden Jahren so bleiben.
Sind für Anleger Ihrer Meinung nach also nur die Schwellenländer interessant?
Die sind sicherlich am interessantesten. Doch auch in den USA und Europa wird es weiter Chancen an den Kapitalmärkten geben. Solange der Westen nicht dem Weg Japans in eine anhaltende Deflation folgt, sollten sich ein niedriges Zinsniveau, niedrige Inflationsraten und eine nachhaltige Reduzierung der Staatsausgaben positiv auf die meisten Anlageklassen auswirken. Ich bin also keineswegs bearish hinsichtlich Aktien eingestellt. Noch viel weniger bezüglich der Rentenmärkte, denen von der Inflationsseite keine Gefahr droht. Und auch Rohstoffe werden meiner Ansicht nach ihren Aufwärtstrend fortsetzen. Denn ihre Preise werden gleich von zwei Faktoren getrieben: zum einen von einer starken Nachfrage aus den Schwellenländern, zum anderen von Inflationsängsten in den westlichen Industrieländern – auch wenn diese Ängste, wie gesagt, unbegründet sind. Trotzdem sorgen sie dafür, dass Anleger vermehrt in Sachwerte investieren, also viel Geld auch in Rohstoffe und Rohstofffonds fließt.
Zur Person:
John Greenwood
Chefökonom bei Invesco Ltd.
John Greenwood erlangte große Aufmerksamkeit in der Welt der Geldpolitik, als auf sein Betrei-
ben 1983 der Hongkong-Dollar an den US-Dollar gekoppelt wurde. Heute ist er Chefökonom
bei Invesco in London und Mitglied eines Beratergremiums für die Bank of England.