Wie wahrscheinlich ist jetzt ein Aktiencrash, Folker Hellmeyer?
Im Interview spricht der Chefvolkswirt von Solvecon Invest, Folker Hellmeyer, über Crashgefahren, das Coronavirus und Gold als Anlageklasse.
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Von Benjamin Summa
Herr Hellmeyer, das sich weltweit immer stärker ausbreitende Coronavirus hat die Börsen auf Talfahrt geschickt. Welche Auswirkungen wird der Erreger Ihrer Einschätzung nach auf die globale Wirtschaft haben?
Folker Hellmeyer: Die Aktienkurse brechen derzeit ein, viele Lieferketten sind empfindlich gestört, wichtige Messen wurden abgesagt, generell wird die Reisetätigkeit eingeschränkt: Keine Frage, das Virus wird sich natürlich auf die globale Wirtschaftsentwicklung auswirken. Im Gesamtjahr 2020 rechne ich mit 0,1 bis 0,2 Prozent Wachstumsrückgang. Damit wachsen wir aber noch immer mit drei Prozent, das wäre mit dem Wirtschaftswachstum des Vorjahres vergleichbar. Im ersten Halbjahr werden die Folgen des Virus stärker zu spüren sein, im zweiten Halbjahr rechne ich damit, dass zurückgestaute Geschäfte nachgeholt werden und wir dann eine positive wirtschaftliche Entwicklung sehen werden - diese wird dann auch ins kommende Jahr hineinwirken. Die pessimistische Stimmung, die wir jetzt haben, weicht also meiner Einschätzung nach im weiteren Jahresverlauf einer optimistischen. Ich möchte davor warnen, in den Panik-Modus zu wechseln und die Auswirkungen des Virus zu überschätzen.
War das jetzt möglicherweise der Startschuss für eine längere Korrekturphase, also eine echte Trendwende an den Aktienmärkten?
Man darf in meinem Beruf niemals nie sagen. Aber ich favorisiere diese Sichtweise nicht ansatzweise. Wir haben jetzt zwei Jahre lang unterproportionale Investitionstätigkeiten wegen des US-chinesischen Handelskonfliktes gesehen. Die Unternehmen müssen jetzt diese Investitionen nachholen. Und genau das erkennen wir bereits an den positiven Sentiment-Indizes. Zudem wächst die Weltbevölkerung und durch die chinesische Belt and Road Initiative werden sich auf Sicht von zehn Jahren 1,5 Milliarden Menschen vom Rand der Weltwirtschaft ins Zentrum bewegen . Ich mache mir also überhaupt keine Wachstumssorgen. Die Frage ist, wo das Wachstum anfallen wird und wo man sich investiv aufstellt. Meiner Ansicht nach wird es also so bald keine Trendwende an den Aktienmärkten geben.
Die Ausbreitung des Coronavirus bringt die Notenbanken in die Bredouille, da die wirtschaftlichen Risiken durch eine mögliche Pandemie noch nicht kalkuliert werden können. In den USA könnte die Fed ihre Zinspause unter dem Eindruck der Corona-Krise noch dieses Jahr beenden. Wie ist Ihre Lesart hier?
Die Amerikaner werden alles daransetzen, ihre Bevölkerung bei Konsumlaune zu halten. Das schafft man dadurch, dass Kreditkosten über Zinssenkungen reduziert werden, und durch eine weitere Steuersenkung, die Präsident Trump für den Mittelstand bereits angekündigt hat. Ich erwarte vor diesem Hintergrund mindestens zwei Zinssenkungen in den USA. Das Thema "Anlagenotstand" wird damit noch viel virulenter.
Die USA und China haben Mitte Februar ein Teilabkommen unterzeichnet, mit dem der Handelsstreit zwischen beiden Ländern entschärft werden soll. Ist der Handelskrieg bald vom Tisch oder nur auf die Zeit nach der US-Wahl vertagt?
Ich freue mich darüber, dass die beteiligten Parteien ein Teilabkommen hinbekommen haben. Aber es wäre absolut naiv, davon auszugehen, dass damit eine baldige Lösung in Sicht wäre. Dieser Handelskonflikt ist Ausdruck eines größeren Konfliktes: Es geht um globale Macht und geopolitische Interessen. Dieses Jahr wird es an der Handelsfront ruhig bleiben, denn wir haben ein Wahljahr in den USA, da möchte Donald Trump Erfolge einfahren. Wenn er wiedergewählt werden sollte, dann werden wir uns mit dem Thema "Handelskrieg" wieder stärker auseinandersetzen müssen. Aber ich bin ganz entspannt: Wir sehen, dass sich China sukzessive von den USA abnabelt, weil Amerika nicht mehr als verlässlicher Partner gilt. China hat viele Strukturreformen auf den Weg gebracht: 300 Milliarden Steuersenkung, über 500 Milliarden zusätzliche Liquidität. Import- und Exportzölle wurden für viele Länder gesenkt; damit ist eine Erhöhung des Potenzialwachstums eingeläutet worden. China wird auch für ausländische Unternehmen zunehmend attraktiver. Wenn in Zukunft dann wirklich die Zölle zwischen den USA und China empfindlich erhöht werden sollten, dann würde das der amerikanische Steuerzahler ausbaden müssen. Damit würden die Investitionsbedingungen des Standortes USA geschwächt. Wer gewinnt dieses Spiel also am Ende? China!
Viele Privatanleger sind von der Ankündigung einiger Banken, Negativzinsen zu erheben, bis ins Mark erschüttert. Was denken Sie: Werden sich die Anleger an diese neue Situation gewöhnen oder machen sie sich auf die Suche nach alternativen Anlageklassen?
Ich wünschte mir, dass sie Investoren werden. Ich bin hier jedoch sehr skeptisch. Es ist eine dreiste Forderung, dass es immer positive Zinsen geben müsse. Wo ist dieses Recht verbrieft? Übrigens: Als es fünf Prozent Sparzinsen gab, lag der Preisanstieg bei sechs Prozent. Unterm Strich gab es häufig negative Realzinsen. Mit "klassischem Sparen" konnte und kann man nicht reich werden, Geldwerte sind zudem fragil: Denken Sie an Deutschlands Hyperinflation, Währungswechsel etc. Aktien von Unternehmen, die unverzichtbar für die Grundversorgung der Weltwirtschaft sind, hatten und haben Zukunft. Übrigens sind die Managements dieser Unternehmen häufig besser als die Managements in der Politik. Und wer Zinsen kauft, der kauft immer die Politik.
Überrascht es Sie, dass der Goldpreis - trotz Zwischenkorrekturen - in den vergangenen Monaten derart zugelegt hat und die Menschen wieder so stark zu Gold greifen?
Nein, das hat mich überhaupt nicht überrascht. Ich bin seit 2001 ein großer Fürsprecher des Goldinvestments. Ich sehe auch weiterhin großes Potenzial: Die Welt wendet sich Stück für Stück vom US-Dollar ab. Die aufstrebenden Länder treiben Handel in ihren eigenen Währungen. Und die smarten Zentralbanken bauen parallel dazu immer mehr Edelmetallreserven auf, weil Gold nicht sanktionierbar ist - und weil Gold übrigens auch die beste Währung ist: Es hat keine Haushalts- oder Außenhandelsdefizite, es hat keinen demografischen Faktor. Gold liefert einfach eine natürliche Knappheit, die aber fraglos manchmal durch Futuremärkte in den USA eingeschränkt wird. Aber das sind nur temporäre Irritationen, die Chancen zum Einstieg darstellen. Das Niedrigzins-Niveau reduziert die Alternativkosten, Gold zu halten, deutlich. Und damit wird Gold auch im professionellen Lager der Anleger als Alternative immer interessanter.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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Bildquellen: Chefvolkswirt der Bremer Landesbank