Interview Exklusiv

Bundesbank-Vorstand: „Derzeit sehe ich keine Blasenbildung“

18.11.13 03:00 Uhr

Joachim Nagel, der Bundesbank-Vorstand, über die Gefahr von Preisblasen, den Reformwillen in den Krisenländern und neu entstehende Schattenbanken.

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von Peer Leugermann, Euro am Sonntag

Mit der überraschenden Senkung des Leitzinses auf das Rekordtief von 0,25 Prozent hält die Europäische Zentralbank (EZB) an ihrer ultralockeren Geldpolitik fest. Bundesbank-Vorstand Joachim Nagel sieht in dieser Geldpolitik jedoch keinen Widerspruch zu seiner Forderung, die Märkte nicht an das billige Geld zu gewöhnen.

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€uro am Sonntag: Der DAX ­notiert auf neuen Höchstniveaus — ist das Vertrauen an den Märkten zurück?
Joachim Nagel: Zumindest in einem erkennbar größeren Maß als noch im vergangenen Jahr. Wie nachhaltig das aktuelle Vertrauen ist, müssen wir noch sehen, denn trotz der erfreulichen Entspannungs­tendenzen gibt es noch einige Risikofaktoren.

Die wären?
Zum Beispiel stellt das anhaltende Niedrigzinsumfeld die Marktteilnehmer vor große Herausforderungen, denn die niedrigen Zinsen lassen viele Anleger nach alternativen Anlagemöglichkeiten suchen.

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Und lassen Blasen entstehen?
Derzeit sehe ich keine Blasenbildung. Aber jedem Anleger muss bewusst sein, dass Märkte auch Rückschlagpotenzial haben. Besonders wenn die Volatilität an die Märkte zurückkehrt.

Oder die Liquidität wegen des Auslaufens der expansiven Geldpolitik an den Märkten zurückgeht?
Die Liquiditätsversorgung ist derzeit sicherlich weltweit sehr großzügig. Die bloße Ankündigung der amerikanischen Notenbank Fed, ihr Ankaufprogramm zu verlangsamen, also das sogenannte Tapering, hatte im Sommer zu größeren Marktbe­wegungen geführt. Das zeigt deutlich, dass den Anlegern diese au­ßergewöhnliche Situation auch bewusst ist.

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Was Sie begrüßen?
Prinzipiell ja, denn die Kapitalmarktteilnehmer müssen von den Notenbanken das klare Signal bekommen: Geht nicht davon aus, dass die derzeitige Situation dauerhaft bestehen bleibt. Sonst führt die aktuelle Liquiditätsumgebung zu Fehlallokationen.

Vergangene Woche wurde der ­EZB-Leitzins erneut gesenkt — ist das ein klares Zeichen: Es geht nicht ewig so weiter?
Zunächst einmal unterstreicht es, dass das Eurosystem und die Fed sich in unterschiedlichen Situationen befinden und ihre Geldpolitik entsprechend ausrichten. Im Euro­raum ist der konjunkturelle Aufschwung derzeit leider nur ein zartes Pflänzchen. Die USA sind hier schon einen Schritt weiter.

Angeblich hat die Bundesbank ­zuletzt immer gegen eine Leitzinssenkung im EZB-Rat gestimmt. Stimmt das?
Die Entscheidungen im EZB-Rat haben wir in der Vergangenheit nicht öffentlich kommentiert und wir werden dies auch in Zukunft nicht tun. Wir haben darauf hingewiesen, dass die reichliche Liquiditätsausstattung mit Blick auf die Finanzstabilität nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen ist.

Wie ein abflauender Reformeifer der Krisenländer?
Sollte ein Finanzpolitiker auch nach den Erfahrungen der Krise noch glauben, sich ohne eine solide Haushaltspolitik langfristig refinanzieren zu können, scheint er die vergangenen Jahre verschlafen zu haben. Ich denke, diese Botschaft ist vollkommen klar.

Trotzdem lösen die Notenbanker mit der Zinssenkung weiter die ­Finanzierungsprobleme einiger EU-Staaten.
Dieser Eindruck ist vollkommen falsch. Wir als Geldpolitiker können in der Finanzkrise nur eine beschränkte Zeit Überbrückungshilfe leisten. Eine nachhaltige Lösung muss und kann nur durch die Finanzpolitik und konsolidierte Haushalte erfolgen. Das ist für die be­troffenen Länder auch gesellschaftlich ein schmerzhafter Anpassungsprozess. Aber so sehr es auch nach einer Phrase klingt, er ist alternativlos.

Und wie sieht es bei der Regulierung der Finanzmärkte aus?
Trotz der erzielten Erfolge habe ich noch Sorgen. Dazu gehört, dass manche Risiken aus den Bankbilanzen in den Bereich von Schattenbanken wandern, um Regulierungsanforderungen zu umgehen. Darüber hinaus birgt der Hochfrequenzhandel Gefahren. Eines hat uns die Krise schließlich gelehrt: Wir dürfen nicht mehr nur auf die Bankbilanzen schauen, sondern müssen über den Tellerrand hinausblicken.

Droht der Stresstest nicht Geldhäuser wieder in Finanznot zu bringen und so die Krise zu verschärfen?
Darüber wird natürlich spekuliert, aber ich denke, dass das auszuhalten sein wird. Wir müssen die Banken dieser strengen Prüfung unterziehen, um das Finanzsystem für die Zukunft robuster aufzustellen.

Also keine Angst vor Zombie-­Banken?
Das Wort Angst gefällt mir in dem Zusammenhang nicht. Der Stresstest ist eine Gelegenheit für die Banken zu zeigen, dass sie auch für Krisenphasen gut gerüstet sind und die Zeit genutzt haben.

Kurzvita

Doktor der Märkte
Seit 2010 ist Dr. Joachim Nagel Mitglied im sechsköpfigen Führungsgremium der Deutschen Bundesbank und als Vorstand für die Finanzmärkte zuständig. Der 47-jährige promovierte Volkswirt gilt als ausgewiesener Fachmann, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger Thilo Sarrazin seine Karriere bereits 1999 bei der Zentralbank begann. Vor seinem Aufstieg an die Spitze der Bank arbeitete er acht Jahre im Bereich „Märkte“, zuletzt als Zentralbereichsleiter.

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